Süddeutsche Zeitung

Deutschland bei Handball-EM:Jetzt zählt es, Erfahrung für Olympia zu sammeln

Die EM ist für Deutschlands Handballer nicht nur schlecht gelaufen. Aber das Team muss sich jetzt für das nächste Großereignis einspielen - denn da kann es sich keine Fehler erlauben.

Kommentar von Joachim Mölter

Die Handball-Europameisterschaft dauert noch eine Woche, und die Deutschen können schon Bilanz ziehen, das ist für gewöhnlich kein gutes Zeichen. Die angestrebte Halbfinal-Teilnahme ist theoretisch noch möglich, aber die Chance verschwindend gering. Die deutsche Auswahl wird ihr Ziel wohl verfehlen, aber war das Turnier deswegen schlecht aus Sicht des Deutschen Handballbundes (DHB)? Diese Frage kann man nicht so einfach beantworten.

Der DHB ist der mitgliederstärkste Handballverband der Welt, als solcher muss er sich prinzipiell hohe Ziele setzen. Das Erreichen einer EM-Hauptrunde mit zwölf Mannschaften ist definitiv zu niedrig, die nächste Stufe ist dann eben schon das Halbfinale. Nur: Es gibt in Europa mindestens acht Länder mit ähnlichen Ambitionen und dem Potenzial, dieses Halbfinale zu erreichen.

Vier davon müssen unweigerlich scheitern, auf die eine oder andere Weise. Zwei der größten Favoriten - Olympiasieger und Weltmeister Dänemark sowie Rekordweltmeister Frankreich - kamen gar nicht über die Vorrunde hinaus. Ein weiterer Aspirant, der EM-Zweite von 2018 und diesjährige Turnier-Gastgeber Schweden, flog in der Hauptrunde hochkant aus dem Rennen: Der Rekord-Europameister blamierte sich vor eigenem Publikum gegen den Außenseiter Portugal mit seiner höchsten EM-Niederlage. Im Vergleich zu diesen drei Konkurrenten kommen die deutschen Handballer noch ganz gut weg.

Eine Debatte um den Bundestrainer, die nach den anfänglichen Schwierigkeiten in der Vorrunde unter der Oberfläche rumorte, brodelte und schwelte, kann trotzdem noch ausbrechen, auch wenn der Chefcoach Christian Prokop mit seiner Mannschaft die Kurve gekriegt zu haben scheint. Und das, obwohl ihr auf dem Spielfeld offensichtlich ein Lenker fehlte. Unter den vielen Verletzten, die für das Turnier abgesagt hatten, waren auch jene Drei, die bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land die DHB-Auswahl im vergangenen Jahr auf Platz vier gesteuert hatten: Martin Strobel, Fabian Wiede, Tim Suton. In entscheidenden Momenten fehlte nun so ein erfahrener Spielmacher; dafür hat das DHB-Team seine Sache recht ordentlich gemacht.

Olympia ist fast wichtiger als die EM

Worum geht es für die deutschen Handballer also jetzt noch in den verbleibenden EM-Spielen, wenn das Halbfinale nicht mehr drin ist? Zum einen sollen die Neulinge weiter Erfahrung sammeln auf internationalem Niveau, zum anderen soll sich die Auswahl einspielen für das nächste wichtige Ereignis, die Olympia-Qualifikation Mitte April in Berlin. Dieses Turnier ist fast wichtiger als die EM, dort geht es um den Auftritt auf der größten Bühne des Weltsports mit allen Auswirkungen auf Popularität und Vermarktbarkeit.

Dabei darf sich die deutsche Mannschaft keine Anlaufschwierigkeiten leisten wie in den drei Vorrundenspielen der Europameisterschaft. In Berlin entscheiden drei Spiele an drei Tagen über Wohl und Wehe; vier Teams treffen aufeinander, zwei kommen weiter nach Tokio. Da müssen die deutschen Handballer bei der besseren Hälfte sein. Egal, wer dann das Spiel lenkt.

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Quelle:
SZ vom 20.01.2020/vit
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