Handball-EM:Charaktertest für die deutschen Handballer

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DHB-Trainer Christian Prokop (Mitte) könnte das Spiel gegen Österreich sehr wichtig werden. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Die Chancen auf das Erreichen des EM-Halbfinales liegen für die deutschen Handballer nur im Promillebereich.
  • Gegen Co-Gastgeber Österreich wird sich die Frage beantworten: Was macht diese Mannschaft mit ihrem Trainer?
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Von Joachim Mölter, Wien

Die Schlusssirene trötete, als Zeichen, dass das Spiel beendet war; für die Handballer aus Kroatien war es gleichzeitig das Startsignal für einen Freudentanz, wie man ihn von erwachsenen Männern selten sieht. Sie hopsten wie Flummis übers Spielfeld, sprangen sich in die Arme, hüpften hin, hüpften her, immer wieder, kreuz und quer. "So ein intensives Spiel habe ich schon lange nicht mehr gespielt", sagte ihr Kapitän Domagoj Duvnjak, der einstige Welthandballer: "Es war Wahnsinn." Hendrik Pekeler, sein Klubkollege beim THW Kiel, fand das auch. "Von der Stimmung, von der Intensität, von den Emotionen her, hätte das auch das EM-Finale sein können", sagte der deutsche Abwehrchef.

Es war aber nur ein EM-Hauptrundenspiel, das sich die Handballer aus Deutschland und Kroatien am Samstagabend geliefert hatten vor 9300 Zuschauern in der Wiener Stadthalle. Aber was für ein Spektakel das war! Es ging von Anfang an hitzig zur Sache, die in etwa zu gleichen Teilen anwesenden Fans aus Deutschland und Kroatien feuerten ihre Teams zusätzlich an, zeitweise drohte die Stimmung überzukochen. Einmal schickten die Schiedsrichter innerhalb von drei Minuten fünf Spieler für je zwei Minuten zur Abkühlung auf die Bank; insgesamt gab es zwölf Zeitstrafen. Am Ende gewannen die Kroaten nach einem Fünf-Tore-Rückstand noch 25:24 (11:14), aber Duvnjak sagte: "Dieses Spiel konnte auf beide Seiten gehen."

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Die überschwängliche Freude der Kroaten rührte daher, dass sie sich bereits fürs Halbfinale in Stockholm qualifiziert haben. Dorthin wollten auch die Deutschen, aber ihre Chancen sanken nach der zweiten Turnierniederlage in den Promillebereich. "So betrunken kann man gar nicht sein, um noch an das Halbfinale zu denken", fand Bob Hanning, der Vizepräsident für Leistungssport im Deutschen Handballbund (DHB).

Theoretisch ist es vor den abschließenden Hauptrundenpartien gegen Österreich am Montag (20.30/ARD) und Tschechien am Mittwoch (20.30 Uhr/ZDF) noch möglich, unter die besten Vier zu kommen, aber dazu müsste die DHB-Auswahl in einem komplizierten Dreiervergleich vorne liegen; unter anderem müsste Weißrussland den bislang souveränen Titelverteidiger aus Spanien mit sieben oder acht Toren Unterschied bezwingen - nicht mit mehr, nicht mit weniger. Die Hoffnung, dass das eintritt, schimmert halb so hell wie ein Glühwürmchen.

"Das Halbfinale ist abgeschrieben", bekräftigte Kapitän Uwe Gensheimer, nachdem er eine Nacht über das aufwühlende Spiel geschlafen hatte. Aber die Mannschaft steckte sich schon ein neues Ziel, als sie am Sonntagmorgen zusammensaß: das Spiel um Platz fünf, das Auswirkungen auf die Setzliste der Olympia-Qualifikation hat. Eins der drei Qualifikationsturniere für Tokio wird im April in Berlin ausgetragen, diesen Heimvorteil haben sich die Deutschen als WM-Vierte 2019 gesichert. Und darauf will sich die Mannschaft jetzt einstimmen. "Es ist nicht ganz einfach, sich wieder zu motivieren" für die beiden letzten Spiele in Wien, gab Paul Drux zu, "aber es ist wichtig für uns als Team, um das positive Gefühl mitzunehmen."

Die Partie gegen Österreich gilt dabei als Charaktertest in vielerlei Hinsicht: Die DHB-Auswahl muss ihre Leistungssteigerung bestätigen, und das unter Bedingungen eines Stresstests - für den EM-Co-Gastgeber geht es noch um die Teilnahme an der Olympia-Qualifikation. "Diesem Druck müssen wir standhalten", findet Vizepräsident Hanning: "Es ist elementar wichtig für Mannschaft und Trainer, diese EM erfolgreich zu Ende zu bringen." Am Montagabend, so betonte er, werde sich zeigen: "Was macht diese Mannschaft mit ihrem Trainer? Österreich in Österreich ist der beste Gegner, um alle Fragen zu beantworten." Das klingt ungemütlich für Bundestrainer Prokop.

Der 41-Jährige hat es immerhin geschafft, die deutschen Handballer gegen Kroatien zu ihrer besten Turnierleistung zu bewegen - fand selbst Duvnjak. Die deutsche Abwehr um seine Kieler Kollegen Pekeler und Patrick Wiencek machte den Kroaten das Leben schwer, dahinter zeigte Torwart Andreas Wolff wieder entnervende Paraden. Auf dieser Basis zogen die Deutschen davon, bis auf fünf Tore (17:12/37.). Doch am Ende ging ihnen die Kraft aus, "so eine aggressive Abwehr zu spielen wie in der ersten Halbzeit, ist über 60 Minuten fast nicht möglich", sagte Gensheimer. Bei dieser EM hat die DHB-Auswahl einige Male in der letzten Viertelstunde geschwächelt, auch diesmal. Sie erzielte nur noch drei Tore, zwei per Siebenmeter.

Die Kroaten ihrerseits nutzten jeden Fehler clever aus, nahmen jeden Fehlpass dankend in Empfang. Sie haben natürlich auch im Überfluss, was den deutschen Handballern gerade fehlt: routinierte Rückraumspieler. Die allesamt bei europäischen Topklubs tätigen Duvnjak (fünf Tore), Igor Karacic (sieben), Luka Stepancic (vier) und Luka Cindric (drei) waren die maßgeblichen Leute. Die Deutschen kamen überwiegend über Außen oder per Siebenmeter zu ihren Treffern: Gensheimer, Timo Kastening und Tobias Reichmann waren je viermal erfolgreich. Aus dem Rückraum trafen bloß Philipp Weber (vier Tore) und Kai Häfner (drei) mehr als einmal. Sie warfen allerdings fast genauso oft vorbei, sechsmal.

Da machte sich bemerkbar, dass der DHB-Auswahl viele turniererprobte Spieler verletzt fehlten. "Ein, zwei Tore mehr aus dem Rückraum, und die Sache ist erledigt", fand Bundestrainer Prokop und haderte: "Mit ein bisschen mehr Cleverness stehen wir als Sieger da." Dann hätten vermutlich auch die deutschen Handballer vor Freude getanzt. So schlichen sie enttäuscht aus der Halle.

© SZ vom 20.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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