Deutschland bei der Handball-EM:Hat wirklich jemand "Halbfinale" gesagt?

Handball-EM: Trainer Prokop beim Spiel Lettland gegen Deutschland

Fassungslos am Spielfeldrand: Bundestrainer Christian Prokop (rechts).

(Foto: dpa)
  • Die deutschen Handballer erreichen die Hauptrunde der EM, rücken aber vom Ziel Halbfinale für das Turnier ab.
  • Am Donnerstag geht es mit dem Spiel gegen Weißrussland weiter: "Wir haben Defizite, an denen wir schnell arbeiten müssen", sagt Bundestrainer Prokop.
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Von Carsten Scheele

Bloß weg aus Trondheim, am Dienstagmorgen werden die deutschen Handballer die norwegische Stadt verlassen, um elf Uhr geht der Flieger nach Wien, zur Hauptrunde der Handball-Europameisterschaft. Trondheim, dieser dunkle Ort, hat der DHB-Delegation jedenfalls wenig Glück gebracht, statt einer entspannten Vorrunde hat die Nationalmannschaft hier komplizierte Tage bei wenig Sonnenlicht erlebt. Anfangs gab es zwar den Sieg gegen die Niederlande, dann die harsche Niederlage gegen Spanien, jetzt dieses schwer erzitterte 28:27 (16:11) gegen den EM-Neuling Lettland, das die deutschen Handballer gerade so im Turnier hielt.

Nein, gut ist die Stimmung nicht, im Aufsetzen sorgenvoller Mienen haben sich die Nationalspieler am Montagabend überboten. Paul Drux waren die Falten tief ins Gesicht gezeichnet, Kapitän Uwe Gensheimer sprach noch etwas monotoner als sonst, Bundestrainer Christian Prokop verschränkte nach dem Abpfiff seine Arme hinter dem Kopf. "Das wurde unnötig eng", urteilte Prokop später. Seine Mannschaft habe zwar "dieses psychologisch sehr schwierige Spiel geschafft", allerdings: "Wir haben Defizite, an denen wir schnell arbeiten müssen."

Stand jetzt scheinen diese Defizite so groß, dass an das große Ziel der DHB-Delegation - hatte wirklich jemand "Halbfinale" gesagt? - aktuell nicht zu denken ist. Gensheimer sprach sehr schnell davon, die Ansprüche runterzuschrauben, auch wenn er nicht sagte, wie viel er für angemessen hielte. Er sagte nur: "Runter." Der knappe Sieg gegen den EM-Neuling hatte aufgezeigt, dass schon eine Art wundersame Verwandlung her muss, damit diese EM noch eine Erfolgsgeschichte wird.

"Wir haben gedacht, der Sack ist schon zu", klagt Gensheimer

Die Deutschen hatten gegen Lettland alle Mittel in der Hand, um mit einem besseren Gefühl in die Hauptrunde zu starten. Der Vorsprung war zwischenzeitlich komfortabel; beim Stand von 24:17 schien die Partie bereits entschieden, Torhüter Johannes Bitter packte kräftig zu, Julius Kühn gelangen die lange ersehnten einfachen Rückraumtore, sogar Gensheimer, der zuletzt zaudernde Kapitän, traf ins Tor. Ein deutlicher Sieg hätte die Laune vor dem ersten Hauptrundenspiel am Donnerstag in Wien gegen Weißrussland gehoben. Die Interviews nach dem Spiel, die Reise nach Österreich - all dies wäre einfacher von der Hand gegangen.

Doch das DHB-Team brach ein, "wir haben gedacht, der Sack ist schon zu", kritisierte Gensheimer. Der Angriff baute Fehler um Fehler ein, die zuvor recht sichere Deckung implodierte, der Vorsprung schmolz auf drei, zwei, schließlich auf ein Tor. Prokop versuchte, die Mannschaft in den Auszeiten einzustellen, erreichte sein Team aber überhaupt nicht. Setzte in der kritischen Phase vielmehr auf Spieler, die zuvor schon nicht überzeugt hatten, wie Torwart Andreas Wolff oder Mittelmann Paul Drux. "Wenn man ehrlich zu sich selbst ist, das haben wir uns anders vorgestellt", sagte Kühn, mit acht Treffern bester Torschütze. Kühn zeigte immerhin, dass er im Turnier angekommen ist, seine Wurfkünste waren zuletzt schmerzlich vermisst worden.

Der deutsche Weg ins Halbfinale war zuvor als günstig erachtet worden, sind doch die starken Skandinavier allesamt auf der anderen Seite des Turnierbaums untergebracht. Deutschland trifft in Wien auf Weißrussland, die starken Kroaten sowie zwei Teams aus der Gruppe B, (Österreich, Tschechien, Nordmazedonien), die am Dienstag ermittelt werden. Prokop hofft, dass sich seine Mannschaft steigern kann. Man sei "noch nicht in den Leistungssphären, die wir für ein Halbfinale bräuchten. Wir sind im Moment noch nicht im Stande, Spanien oder Kroatien zu schlagen." Er fügte hoffnungsvoll an: "Aber vielleicht in zwei Spielen."

Das klang schon sehr optimistisch, denn welcher Gegner ist momentan schon machbar für das deutsche Team, wenn es sogar gegen die Letten nur zu einem solch knappen Sieg gereicht hat? Die Weißrussen haben immerhin schon Montenegro und Serbien besiegt. Die Kroaten, gegen die es am Samstag geht, haben all ihre Spiele gewonnen. "Das wird in der Hauptrunde noch schwerer, weil die Qualität noch mehr zunimmt", glaubte Rückraumspieler Kühn. Hinzu kommt, dass das DHB-Team keine Punkte mit in die Hauptrunde nehmen wird. Es muss alle Spiele gewinnen, ist vielleicht sogar auf Schützenhilfe angewiesen, etwa von Spanien. "Da kann es schnell schlecht aussehen", folgerte Kühn.

Auf den Umzug nach Wien freuen sich die Nationalspieler trotzdem. "Ist vielleicht ganz gut, wenn wir jetzt mal in ein anderes Umfeld kommen", sagte Kühn. Auch Gensheimer erklärte, es sei "gar nicht schlecht, jetzt mit ein bisschen niedrigeren Ansprüchen nach Wien zu fahren". Als könnten die deutschen Handballer bei dieser EM ab jetzt nur noch positiv überraschen.

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