Süddeutsche Zeitung

Deutsche Handballer:Gesucht: ein Team für 2024

Die deutschen Handballer sollen bei der Heim-EM in zwei Jahren wieder um den Titel mitspielen. Auf welche Spieler wird Bundestrainer Alfred Gislason künftig setzen? Ein Rundgang.

Von Carsten Scheele und Ralf Tögel

Endlich zu Hause! Die Erleichterung ist groß bei den deutschen Handball-Nationalspielern und ihren Vereinen nach der missratenen Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei. Immerhin betraten die gesunden Spieler den Flieger Richtung Heimat mit dem guten Gefühl des 30:29-Erfolgs gegen Russland im finalen Spiel. Zuvor allerdings hatte sich dieses Turnier als eine Grenzerfahrung der üblen Sorte entpuppt: Kein Tag ohne Hiobsbotschaft, insgesamt 15 Corona-infizierte Spieler, die einzeln mit Krankentransporten heimreisen mussten, logistische Kraftakte wegen andauernd nachreisender Spieler - was den Deutschen Handballbund (DHB) nebenbei eine ordentliche Stange Geld kostete. Trotzdem muss der Blick schnell wieder nach vorne gehen. Nach der Handball-WM 2023 in Polen und Schweden inklusive Qualifikation, die bereits im Frühjahr beginnt, steht 2024 ein Großereignis von gehobener Wichtigkeit an: die Europameisterschaft im eigenen Land.

Und diese kontinentalen Titelkämpfe sollen ein DHB-Fest werden, die Eckdaten sind bereits festgezurrt: Eröffnungsspiel ist am 10. Januar 2024 vor 50 000 Zuschauern in Düsseldorf, das Finale 18 Tage später in Köln. Außerdem wird der Ball in Hamburg, Berlin, Mannheim und München fliegen. Das deutsche Team dann wieder um den Titel mitspielen, einen anderen Anspruch gibt es für eine Heim-EM nicht. Wobei zunächst die wichtigste Frage geklärt werden muss: Wie sieht dieses deutsche Team eigentlich aus?

Der Bundestrainer

Wird sehr wahrscheinlich auch in den kommenden Jahren Alfred Gislason heißen. Ob der Isländer dann endlich die Chance auf eine "normale" Turniervorbereitung bekommt? Die WM 2021, Olympia 2021 und die EM 2022 standen im Zeichen der Pandemie: Spieler sagten ab, kamen überspielt beim Nationalteam an oder infizierten sich im Turnierverlauf. In den vergangenen zwei Jahren lief nichts so, wie es sich der Bundestrainer vorgestellt hatte, er konnte lediglich den Mangel verwalten und nicht wirklich zeigen, was er als erfahrener Coach draufhat. Die Ergebnisse waren entsprechend: der historisch schlechte zwölfte Platz in Ägypten, Rang sechs in Tokio und nun EM-Platz sieben. Doch Gislason ist keiner, der jammert: Er habe "richtig Bock", eine Mannschaft aufzubauen, der bei der Heim-EM der großen Sprung gelingen kann.

Der Kader

Als Gislason nach dem Russland-Spiel auf die insgesamt 28 bei dieser EM eingesetzten Spieler angesprochen wurde, musste er lachen: "So viele waren es? Ich habe gar nicht mitgezählt." Und diese 28 Spieler beinhalten die größte Anforderungen an den Bundestrainer. 18 Profis standen im ursprünglichen EM-Kader - für die sich Gislason ganz bewusst entschieden hatte. Zehn wurden während des Turniers nachnominiert und sammelten mit ihren Leistungen gute Argumente für eine Fortsetzung ihrer Karriere im Nationalteam. Und dann ist da noch die Gruppe derjenigen, die auf die EM verzichtet haben: Hendrik Pekeler, Jannik Kohlbacher, Patrick Groetzki sowie der Sonderfall Juri Knorr. Finden sie ihren Weg zurück ins Team? Nimmt man alle Spieler zusammen, sind das locker 35 Akteure, die für die anstehenden Aufgaben in Frage kommen - und von denen lediglich Johannes Bitter seinen Platz freiwillig räumen wird. Der Torwart wäre 2024 bereits 41 Jahre alt, für ihn ist endgültig Schluss.

Die Gesetzten

Nach Vorbild der Dänen, Spanier und Franzosen wird sich Gislason eine Mischung aus arrivierten Kräften und aufstrebenden Talenten zusammenbauen. Gesetzt dürften Kapitän Johannes Golla und Torwart Andreas Wolff sein, Spieler von Weltklasseformat. Auch Akteure wie Fabian Wiede, Paul Drux, die eigentlich verzichten wollten und nun aushalfen, oder Timo Kastening, Julius Kühn und Marcel Schiller sind aus dem Kader schwer wegzudenken - wenn sie fit und motiviert bleiben. Inwieweit das auch für Patrick Wiencek oder Kai Häfner gilt, die in zwei Jahren bereits 34 Jahre alt sein werden, bleibt abzuwarten. Hoffnungsträger wie Julian Köster, Lukas Zerbe und Torhüter Till Klimpke dürften ihre Plätze im künftigen Aufgebot auch eher sicher haben. Das bedeutet: Es wird Härtefälle geben.

Das neue Gesicht

Der Jüngste im Kader erspielte sich die meiste Aufmerksamkeit: Nach all den Jahren, in denen im deutschen Rückraum ein großer, wurfkräftiger Stratege auf der Mittelposition vermisst wurde, war Julian Köster eine wirklich freudige Überraschung. Dieser 21-jährige Zweitligaspieler, dem seine Nominierung ein Dauerlächeln ins Gesicht zauberte, war die Entdeckung des Turniers. Gislason hatte Köster vor allem wegen seiner Fähigkeiten als Abwehrspieler in den Kader berufen, diese werden mit denen des ehemaligen Welthandballers Domagoj Duvnjak verglichen.

Doch nach den Ausfällen der etatmäßigen Halblinken half er nicht nur auf dieser Position aus, er prägte gar das deutsche Angriffsspiel. Mit zwei Jahren mehr Erfahrung wird er bei der EM 2024 mehr als eine Ergänzungskraft sein. Spannend wird auch die Frage nach seinem Weg bis dahin: Bleibt er in Gummersbach um unter Trainer Gudjon Valur Sigurdsson zu reifen, zumal die Oberbergischen wohl in die Bundesliga aufsteigen werden? Oder wird er das Angebot eines größeren Klubs annehmen?

Der richtige Regisseur

Die letzte Aktion des Turniers offenbarte die wohl größte Baustelle im Team: Philipp Weber sagte zwar den entscheidenden Kempa-Spielzug zum Siegtreffer gegen Russland an und erwies sich als wichtiger Stratege. Als Vollstrecker, den er angesichts der fehlenden routinierten Rückraum-Kollegen oft geben musste, schien er aber überfordert: zu oft verfehlte er mit seinen Würfen das Ziel. An guten Tagen bringt der 29-jährige Magdeburger alles mit, was einen Weltklasse-Spielmacher ausmacht, das hat Gislason stets betont. Juri Knorr, 21, der eigentlich als Kronprinz für diese Position vorgesehen war, hat ungeimpft diese EM verpasst und konnte dem Trainer keine weiteren Argumente liefern, warum er 2024 unbedingt dabei sein sollte. Luca Witzke, 22, deutete in Knorrs Abwesenheit sein Können bereits an. Wie Gislason die Personalie Knorr moderiert bekommt, wird eine der wichtigsten Fragen der kommenden Monate sein.

Bis zur nächsten EM wird die Pandemie hoffentlich maximal eine Endemie sein, dann wird es auch nicht mehr heißen: endlich daheim. Dann ist die deutsche Handball-Nationalmannschaft von Beginn an zu Hause.

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