Handball-EM der Frauen:Die Lust aufs Gewinnen

Handball-EM der Frauen: Entscheidende Figur beim Sieg der deutschen Handballerinnen bei der Europameisterschaft im französischen Brest: Emily Bölk.

Entscheidende Figur beim Sieg der deutschen Handballerinnen bei der Europameisterschaft im französischen Brest: Emily Bölk.

(Foto: Fred Tanneau/afp)

Die deutschen Handballerinnen überraschen zum EM-Auftakt und gewinnen gegen Norwegen. Den entscheidenden Treffer erzielt Emily Bölk, die beim Turnier in Frankreich durchstarten könnte.

Von Michael Wilkening

Nein, einfach so wollte sie die Halle nicht verlassen. Dieser Moment war besonders, er musste aufgesogen werden. Also setzte sich Emily Bölk auf die Spielerbank in der Arena im französischen Brest, atmete noch einmal tief ein und schaute dann auf den Videowürfel. Ihre Mitspielerinnen hatten den Innenraum der Halle zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen. "Ich konnte es nicht glauben", sagte Bölk später. Doch es war tatsächlich geschehen, auf der Anzeigetafel stand immer noch das Endergebnis: Die deutschen Handballerinnen hatten das erste Spiel der Europameisterschaft 33:32 gegen Norwegen gewonnen. Die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) war im Duell mit dem Titelverteidiger der krasse Außenseiter, eigentlich sollte die Partie gegen die Skandinavierinnen dazu dienen, um sich auf die entscheidenden Duelle in der Gruppenphase gegen Rumänien am Montag und Tschechien am Mittwoch vorzubereiten. Es kam anders, die Deutschen wuchsen über sich hinaus und Bölk wurde zur entscheidenden Figur - 24 Sekunden vor dem Ende traf die 20-Jährige zum Endstand und machte die Sensation perfekt.

Es gab anschließend viele Möglichkeiten, die eigenen Emotionen auszudrücken, aber Bölk brauchte nicht viele Worte. "Das ist mega-geil", sagte die Rückraumspielerin. Vermutlich hat die neu zusammengestellte deutsche Mannschaft selbst nicht daran geglaubt, gegen die herausragende Mannschaft des zurückliegenden Jahrzehnts eine Chance zu haben. Und vermutlich lag darin das Geheimnis für den unerwarteten Coup. "Wir haben alle viel Mut gehabt, jeder ist aufs Tor gegangen", erklärte Bölk. Wer nichts zu verlieren hat, kann wenig falsch machen. Die deutschen Damen befinden sich gerade im Neuaufbau, nur sechs der 16 Spielerinnen des EM-Kaders waren im vergangenen Jahr bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land dabei. Auch Trainer Henk Groener nahm seine Arbeit erst nach dem Turnier auf, das mit dem enttäuschenden Ausscheiden im Achtelfinale endete.

Der Auftritt in Brest könnte der Beginn einer großen Karriere sein

In der Heimat waren die deutschen Damen unter dem Druck zerbrochen, den die Öffentlichkeit und des eigenen Verbandes aufgebaut hatten. Das Team war mental nicht stabil genug. Die DHB-Führung hatte das Turnier zur großen Chance für die Sportart in Deutschland erklärt, Vizepräsident Bob Hanning im Vorfeld von der "letzten Chance für den Frauenhandball" gesprochen. Wenn die Leistung des EM-Auftaktmatches gegen Norwegen kein Zufall war und eine Wiederholung findet, könnte die Aussage von Hanning schon ein Jahr später von der Realität überrollt werden.

Es könnte nicht zuletzt an Bölk gelegen haben. Vielleicht wird es in ein paar Jahren heißen, dass in Brest die internationale Karriere der Spielerin begann, die schon seit vielen Jahren ein Versprechen auf eine erfolgreiche Zukunft ist. Das Talent der Rechtshänderin ist unbegrenzt, Handballkenner trauen ihr zu, eine der besten Spielerinnen weltweit zu werden. Eigentlich sollte Bölk, deren Mutter Andrea 1993 Weltmeisterin wurde, schon bei der Heim-WM vor einem Jahr zum Star emporsteigen. Eine in der Vorbereitung wenige Tage vor dem Auftaktspiel erlittene Fußverletzung durchkreuzte diese Hoffnung jedoch. Dem Auftreten von Bölk fehlte es wegen eines maladen Sprunggelenks an Explosivität wie es dem deutschen Spiel insgesamt an Kreativität mangelte. Gegen Norwegen war das Gegenteil zu sehen. Im linken Rückraum überzeugte Bölk, traf fünf Mal und erhielt viel Unterstützung von den Kolleginnen um sie herum. Die Deutschen versprühten die Lust aufs Gewinnen, bei der WM vor einem Jahr hatte die Angst vor dem Verlieren dominiert.

Das veränderte Denken der deutschen Mannschaft ist wichtiger als taktische Feinheiten oder Wurfhärte. Es gibt ihr die Chance, schon bei diesem Turnier weit zu kommen, obwohl die Planungen von Bundestrainer Groener eher mittelfristig angelegt sind. Der Überraschungscoup gegen Norwegen öffnet die Tür für die Hauptrunde - sichert sie aber noch nicht. Bei Niederlagen gegen den EM-Fünften Rumänien und dem WM-Viertelfinalisten Tschechien droht weiterhin der vorzeitige K.o. Die ersten drei Teams der ersten Gruppenphase kommen weiter, für den Vierten ist das Turnier beendet.

Bölk und ihre Mitspielerinnen müssen ab sofort den nächsten Schritt in der Entwicklung machen, denn ein Überraschungseffekt ist in den weiteren EM-Partien nicht mehr möglich. Die Konkurrenz ist vor der deutschen Mannschaft mit ihrem Supertalent Emily Bölk gewarnt, die den Titelfavoriten Norwegen geschlagen hat.

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