Ein Krisentreffen musste her, und zwar schnell. Nur wenige Stunden, nachdem die deutsche Handball-Nationalmannschaft am Mittwoch die Corona-Fälle zehn bis zwölf bei dieser Europameisterschaft vermelden musste, wurde am Abend eilig eine Videokonferenz anberaumt. Mit dabei, aus Deutschland und in Bratislava: Vertreter des Deutschen Handballbundes (DHB) und der Handball-Bundesliga (HBL). Die große Frage, die geklärt werden musste: Ergibt es noch Sinn, die deutsche Nationalmannschaft im Starterfeld des EM-Turniers in Ungarn und der Slowakei zu belassen?
Es ergibt noch Sinn, so das Ergebnis vom Mittwochabend, allerdings dürfen wohl nicht mehr viele positive Fälle dazukommen im deutschen Lager. Man habe sich mit allen Gremien, mit den Spielern und Ärzten ausgetauscht, berichtete DHB-Vorstandschef Mark Schober: "Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir es verantworten können, im Turnier zu verbleiben."
Diese Entscheidung gelte jedoch nur für den Moment. Die Situation sei "sehr dynamisch", sagte Schober: Es könne bereits sein, dass am Donnerstag eine Situation entstehe, die einen Rückzug erforderlich mache. Die deutsche Delegation lässt nun durch die Europäische Handballföderation (EHF) prüfen, unter welchen Umständen ein möglicher Austritt aus dem Turnier in den kommenden Tagen möglich wäre. Auch eine Verlegung des ersten Hauptrundenspiels gegen Spanien (Donnerstag, 18 Uhr/ARD) wird geprüft.
Insbesondere die deutschen Spieler sprachen sich für einen Verbleib im Turnier aus
Nur einen halben Tag währte damit die Freude über das furiose 30:23 im letzten Vorrundenspiel gegen Polen, dann hatte sich die angespannte personelle Situation noch einmal erheblich verschärft. Zu den neun positiven Tests der bisherigen ersten Turnierwoche kamen am Mittwoch drei weitere: Sebastian Heymann, Christoph Steinert und Djibril M'Bengue wurden ebenfalls über einen positiven PCR-Test informiert. Das Prozedere ist mittlerweile bestens bekannt: Die Spieler müssen sofort in Isolation, dürfen ihr Einzelzimmer nicht mehr verlassen; mindestens fünf Tage lang, dann hätten sie theoretisch die Möglichkeit, sich mit zwei negativen PCR-Tests freizutesten.
Das deutsche Team in Bratislava umfasst damit mittlerweile die stattliche Anzahl von 25 Spielern: 13 von ihnen sind gegen Spanien einsatzfähig, zwölf stecken in der Isolation fest. Hinzu kommen noch einmal drei Nachrücker, die Bundestrainer Alfred Gislason am Mittwochabend nominiert hat: Aus Deutschland werden Rechtsaußen Tobias Reichmann (MT Melsungen) sowie die Rückraumspieler David Schmidt und Lukas Stutzke (beide Bergischer HC) nach Bratislava fliegen. Alle drei sollen am Donnerstag zum Team stoßen. Ob sie schon gegen die Spanier zum Einsatz kommen, ist noch offen.
Aus der Liga waren zuvor Stimmen laut geworden, die eher nach Rückzug klangen. Uwe Schwenker etwa, der Ligapräsident, hatte angemahnt, man könne bei all den coronabedingten Ausfällen doch nicht "unendlich mit Spielern aus der Bundesliga nachladen, das macht keinen Sinn". Doch am Ende entschied sich der DHB laut Schober "nach medizinischen, sportlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten" gegen einen möglichen Rückzug.
DHB-Sportvorstand Axel Kromer berichtete, dass sich insbesondere die Nationalspieler für einen Verbleib im Turnier ausgesprochen hätten. Die Stimmung sei gut nach dem Polen-Spiel, die erkrankten Spieler seien weitgehend symptomfrei oder würden nur leichte Erkältungsanzeichen spüren. Der gesunde Teil der Mannschaft hat am Mittwochabend einen weiteren, zusätzlichen PCR-Test durchführen lassen, das Ergebnis: alle Spieler negativ. Nicht in Frage für einen Einsatz gegen Spanien kommt jedoch Julius Kühn: Der Rückraumspieler war der erste positiv getestete Spieler des deutschen Teams bei der EM, er durfte sich am Mittwoch dem ersten von zwei möglichen PCR-Tests unterziehen, mit dem Ziel, sich freizutesten.
Das Ergebnis fiel aber nicht zufriedenstellend aus, obwohl Kühn sich selbst topfit fühle, berichtete Kromer. Eine Rückkehr noch bei dieser EM rückt für Kühn damit in weite Ferne.