Handball-EM:Zu zögerlich, wenn es zählt

Handball-EM: Aus dem Gleichgewicht geraten: Die deutschen Handballerinnen um Xenia Smits bekamen immer größere Probleme, je länger das Turnier bislang dauerte.

Aus dem Gleichgewicht geraten: Die deutschen Handballerinnen um Xenia Smits bekamen immer größere Probleme, je länger das Turnier bislang dauerte.

(Foto: Savo Prelevic/AFP)

Die deutschen Handballerinnen lassen die nächste Gelegenheit verstreichen, in eigener Sache zu werben: Bei der EM ziehen sie zwar in die Hauptrunde ein, werden dort aber quasi chancenlos sein.

Von Ulrich Hartmann

Von Podgorica in Montenegro nach Skopje in Nordmazedonien fliegt man über die albanischen Alpen, genannt Prokletije, die verwunschenen Berge. Um ein Haar hätten die deutschen Handballerinnen am Donnerstagvormittag nicht in diesem Charterflieger gesessen, zusammen mit den montenegrinischen und den spanischen Handballerinnen, um die beeindruckende Gebirgskette von oben betrachten zu dürfen.

Ein Treffer weniger am Vorabend im letzten Vorrundengruppenspiel bei der 21:23-Niederlage gegen Spanien und ein Gegentor mehr, dann hätte die Auswahl des Deutschen Handball-Bundes bereits wieder heimfliegen müssen, nach bloß drei Spielen bei der Europameisterschaft. Das wäre ziemlich unangenehm gewesen, aber überschwänglich waren die Spielerinnen auch so nicht.

Sie nehmen jetzt keinen einzigen Punkt mit in die Hauptrundengruppe in Skopje, wo sie gegen die Niederlande (Freitag), Frankreich (Dienstag) und Rumänien (Mittwoch) spielen. Bundestrainer Markus Gaugisch versuchte, das Beste aus dieser vertrackten Lage zu heben: "Wir haben nichts mehr zu verlieren, sondern nur noch zu gewinnen. Diese Spiele wollen wir nutzen, um zu wachsen."

Weniger optimistisch könnte man sagen: Die Träume der deutschen Handballerinnen bei dieser EM sind irgendwo in den verwunschenen Bergen verloren gegangen. Einem mühsamen 25:23-Sieg zum Auftakt gegen Polen folgten Niederlagen gegen Montenegro (25:29) und eben Spanien (21:23), so dass die beiden gegen die ausgeschiedenen Polinnen gewonnenen Zähler im weiteren Turnierverlauf verfallen. Gegen Montenegro hatten sich die DHB-Spielerinnen noch gewehrt, gegen Spanien war dann viel Chaos im Spiel. Fast nichts gelang - vielleicht auch, weil Kapitänin Emily Bölk bereits nach 20 Minuten wegen zweier Zeitstrafen der Platzverweis drohte.

2008 stand eine DHB-Frauenauswahl letztmals in einem Halbfinale

"Wir sind nicht zufrieden", sagte Axel Kromer, der Sportvorstand im DHB, wobei: Anlass zum Überschwang haben ihm die deutschen Nationalspielerinnen in seiner nun fünfjährigen Amtszeit noch nie geliefert. 2008 war eine deutsche Frauenmannschaft letztmals in einem Halbfinale. 2007 gab's mit WM-Bronze letztmals eine Medaille. Die Zähne an einer Wiederholung ausgebissen haben sich seither die Bundestrainer Rainer Osmann, Heine Jensen, Jakob Vestergaard, Michael Biegler und Henk Groener. Und auch für Gaugisch wird es mit dem Halbfinale erst einmal nichts werden.

Kromer forderte derweil Jahr für Jahr vor den großen Turnieren im selben Wortlaut, dass die Frauen "den nächsten Schritt gehen" müssten. Am Mittwochabend sprach er dann ernüchtert von einem "traurigen Weg". 2020 hatte er eine "Arbeitsgruppe Frauen-Handball" initiiert, deren erarbeitete "Strukturreform" mit professionelleren Bedingungen, zentralisierter Nachwuchsförderung und einer strafferen Ligen-Hierarchie 2021 vom DHB abgesegnet wurde. Kromer sagte damals: "Wir wollen Spielerinnen entwickeln, die nicht nur regional bekannt sind, sondern ähnlich wie bei den Männern überregional zu prominenten Persönlichkeiten werden."

Die Chance dazu vergaben die Spielerinnen bislang jedes Jahr bei den großen Turnieren. Ihre EM-Spiele werden auch diesmal wieder bloß im Internet gezeigt, bei sportdeutschland.tv. Dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen wären ihre Leistungen in Podgorica auch kaum angemessen gewesen. Aufstecken wollen die Spielerinnen freilich nicht so schnell. "Die Platzierung bei dieser EM kann auch schon relevant werden für die Olympia-Qualifikation", sagt die Rückraum- und Abwehrspezialistin Xenia Smits, "deshalb müssen wir in den nächsten drei Spielen unbedingt noch mal alles raushauen."

Die starke Vorbereitung? Davon ist bei der EM noch nicht viel zu sehen

Auch Gaugisch wirkte zuletzt enttäuscht, zumal ihm seine Mannschaft in der EM-Vorbereitung mit starken Vorstellungen noch größere Hoffnungen beschert hatte. "Den Spiel-Flow aus der Vorbereitung haben wir bei der EM bisher aber so nicht auf die Platte gekriegt", sagt er. Ihm sei beispielsweise aufgefallen, dass sich die Spielerinnen "in Entscheidungssituationen schwer tun", also in solchen Szenen, in denen sich mehrere Optionen ergeben - und man dann zur falschen greift.

"Handlungsschnelligkeit" ist deshalb ein Schlagwort, das Gaugisch für die kommenden Monate auf die Agenda nimmt: "In dieser Hinsicht müssen wir uns verbessern, auch schon im Jugendbereich: Es geht im Spiel um individuelle Qualitäten, ein bisschen weg von den großen Lösungen mit vielen Pässen hin zu schnellen Lösungen in der Kleingruppe."

Bereits gegen die Niederlande an diesem Freitag (18 Uhr) können die deutschen Handballerinnen nun weitgehend ohne Druck aufspielen. Es wäre nicht das erste Mal, wenn ihnen diese erleichterten Umstände zu einer positiven Überraschung verhelfen würden.

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