Süddeutsche Zeitung

Handball:Elektrotechniker als Identifikationsfigur

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Michael Haaß, derzeit noch Kapitän und Spielmacher beim Handball-Bundesligisten Erlangen, löst zur kommenden Saison Adalsteinn Eyjolfsson als Trainer ab.

Von Ralf Tögel

In Amerika wurde der Begriff Lame Duck geprägt, für Präsidenten oder Politiker, die noch im Amt sind, zur Wiederwahl aber nicht mehr antreten. Eine lahme Ente also, die weitgehend handlungsunfähig ist. Natürlich ist der Begriff längst vom Sport annektiert, beschrieben wird dann ein Trainer, von dem frühzeitig bekannt ist, dass er den Verein verlassen will oder muss, was sich auf Motivation oder Autorität im täglichen Trainings- und Spielbetrieb auswirken könnte. Rene Selke hat diese Befürchtung nicht. Gerade hat der Handball-Erstligist HC Erlangen verlauten lassen, dass er den Vertrag mit seinem Trainer Adalsteinn Eyjolfsson nicht verlängern wird, in der kommenden Saison wird Michael Haaß die sportliche Verantwortung tragen. Jener Michael Haaß ausgerechnet, der momentan als Kapitän und Spielmacher unter dem Isländer auf dem Feld steht. Die Saison dauert noch bis Mitte Mai, sind da nicht Probleme vorprogrammiert?

Mitnichten, sagt Erlangens Geschäftsführer Selke, denn zum einen sei der Zeitpunkt Ausdruck größtmöglicher Transparenz, zum anderen bewege man sich im Profisport. "Wir haben nichts zu verbergen und in Michael die ideale Person gefunden, um mit ihm den nächsten Schritt in die Zukunft zu gehen", erklärt Selke. Man habe sich jetzt mit Haaß geeinigt und diese Vereinbarung umgehend mitgeteilt: "Wir wollten nicht warten, bis es Gerüchte gibt und dann nebenbei sagen, ach ja, wir werden den Trainer austauschen." Zudem erhalten alle Betroffenen so Zeit, sich auf die Situation einzustellen. Und wie findet der Protagonist dieser Geschichte besagte Transparenz? Hat Eyjolfsson keine Angst, im kommenden Sommer auf der Straße zu stehen? Er antwortet mit einem Scherz: "In Island steht niemand auf der Straße, wir haben gar nicht so viele Straßen."

Eyjolfsson sieht die Sache offenbar noch entspannter als Selke, es habe schon früher Zeichen gegeben, dass "es im Sommer nicht weitergeht". Dann bemüht der Isländer noch die Königsfloskel von der Trennung in beiderseitigem Einvernehmen, die man ihm spätestens dann glaubt, wenn er davon berichtet, dass er bezüglich seiner Zukunft bereits Gespräche geführt habe. "Noch gibt es nichts zu verkünden", erklärt der 42-Jährige, "vielleicht kehre ich nach zwölf Jahren mit meiner Familie auch nach Island zurück. Es gibt viele Optionen." Dass man die Saison professionell zu Ende bringen werde, stehe für ihn außer Frage: "Ich hatte drei gute Jahre hier und gehe in Freundschaft." Bei so viel Harmonie bleibt eigentlich nur noch die Frage, wie der Rest der Saison gestaltet wird. Auch darauf haben die Erlanger Verantwortlichen eine schlüssige Antwort. Haaß, der im Dezember 36 Jahre alt wird, gibt Ende des Jahres mit dem Heimspiel gegen die MT Melsungen am 29. Dezember seinen Abschied als Aktiver und wird von Januar an für sechs Monate die U23 in der dritten Liga als Cheftrainer übernehmen. Der bisherige U23-Coach Tobias Wannenmacher bleibt dem HC als Chef des Nachwuchsleistungszentrums erhalten und wird zur kommenden Saison auf seinen U23-Trainerposten zurückkehren.

Wenn eben Haaß die Profis übernimmt. Der habe dem Verein schon vor geraumer Zeit mitgeteilt, dass er Bundesligatrainer werden möchte, erzählt Selke, fortan hätten die Verantwortlichen überlegt, wie man einen so renommierten Mann im Verein halten kann. Der 35-Jährige stand in 120 Spielen für die deutsche Nationalmannschaft auf dem Parkett, hat derzeit 514 Bundesligaspiele, auf dem Buckel und wurde Weltmeister, deutscher Pokalsieger und drei Mal Europapokalsieger. Seit Sommer 2016 ist Haaß beim HC Erlangen, bekam sofort das Amt des Mannschaftskapitäns übertragen. Man sei erst überrascht gewesen, dass ein Mann wie Haaß trotz eines abgeschlossenen Elektrotechnikstudiums Trainer werden will, sagt Selke, angesichts der Vertragssituation mit Eyjolfsson dürfte der Entschluss "für eine Integrationsfigur wie Haaß" zügig gefallen sein, zumal er dem Vernehmen nach andere Angebote hatte. Natürlich geht man ohne den Routinier im Spiel ins Risiko, aber dafür verstärkt auf Nachwuchsspieler Benedikt Kellner und Zugang Quentin Minel zu setzen, entspreche der Erlanger Philosophie.

Auch Eyjolfsson ist in seiner Entscheidungsfindung schon weiter, als er derzeit zugeben will, nach SZ-Informationen sind die Verhandlungen mit dem ambitionierten Zweitligisten Elbflorenz Dresden besonders weit gediehen.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2019
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