Süddeutsche Zeitung

Handball:Die Rückkehr zum System Sigurðsson

  • Neun Monate vor der Heim-WM kehrt der angeschlagene Handball-Bundestrainer Christian Prokop zum System seines Vorgängers zurück.
  • Prompt gelingt der Test gegen Serbien, die Spieler sind zufrieden.
  • Auch auf der Bank erhält Prokop künftig Unterstützung.

Von Joachim Mölter, Leipzig

Das Ergebnis? 26:19 (12:7), aber das war nicht so wichtig. "Serbien war sicher nicht der stärkste Gegner, das muss man sagen", sagte Steffen Weinhold, der Rückraumspieler aus Kiel. Die Leistung? "Ich war insgesamt zufrieden", sagte Christian Prokop, der Bundestrainer. Aber die Leistung war im Grunde ebenfalls egal für die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB); wichtig war, so Prokop: "Wie wir als Mannschaft auftreten." Routinier Weinhold, 31, fasste das Geschehen am Mittwoch treffend zusammen: "Heute ging es erst mal um die Stimmung. Die war wichtiger als jedes taktische Detail."

Der DHB hatte das Länderspiel in Leipzig gegen die spielerisch limitierten Serben als Einstimmung auf die Heim-WM im Januar 2019 vorgesehen. Nach der verkorksten EM in Kroatien war die Partie nun auch in anderer Hinsicht ein Stimmungstest: Ob die Spieler noch mal mit ihrem in die Kritik geratenen Trainer zusammenfinden, dem das Präsidium nur mit knapper Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen hat. Der 39 Jahre alte Prokop hatte ja bei seinem ersten großen Turnier den vom Isländer Dagur Sigurdsson übernommenen Titelverteidiger recht naiv zerlegt. Dennoch mit ihm weiterzumachen, ist ein riskantes Experiment.

Der Bundestrainer demonstriert auch seine Lernfähigkeit

In den vergangenen Tagen war nicht bloß Christian Prokop, der Bundestrainer auf Bewährung, bemüht, den Schaden zu reparieren. "Für uns ist das Thema gegessen, wir schauen nur nach vorne", versicherte der Kreisläufer Patrick Wiencek aus Kiel, mit vier Toren erfolgreichster Werfer gegen Serbien. "So ein Großereignis wie eine WM im eigenen Land erlebt man vielleicht nur einmal", erklärte der 29-Jährige: "Darum wollen wir schnell alles vergessen, darum hat heute keiner gegen Christian gearbeitet." Bei den Zielen Heim-WM 2019 (gemeinsam mit Co-Gastgeber Dänemark) und Olympia 2020 in Tokio möchte halt jeder dabei sein. "Das war ein Neuanfang für uns alle", befand Kapitän Uwe Gensheimer (Paris).

Die Serben ermöglichten der deutschen Auswahl einen weitgehend reibungslosen Neustart, sie leisteten nur in der ersten Viertelstunde nennenswerte Gegenwehr, bis zum 5:5. Die Taktik spielte zwar angeblich keine Rolle, aber Prokop griff dennoch auf einige Details zurück, um seine Lernfähigkeit zu demonstrieren. So ließ er zu Beginn zwei Linkshänder gemeinsam im Rückraum agieren, Weinhold und den Berliner Fabian Wiede. Diese Variante hatte er bei der EM 2018 kategorisch ausgeschlossen, obwohl sie sein Vorgänger Sigurdsson beim EM-Gewinn 2016 erfolgreich eingesetzt hatte.

"Ich glaube, dass wir da die Möglichkeit haben, wieder etwas variabler zu sein", sagte Weinhold nun. Sein Rückraumkollege, der Rechtshänder Julius Kühn (Melsungen), gibt zwar zu bedenken: "Man ist es gewohnt, mit einem Rechtshänder in der Rückraummitte zu spielen." Der Linkshänder Wiede in der zentralen Position sei aber "natürlich eine super Option", um Gegner zu irritieren. Für Prokop ist der vor der EM ausgemusterte Wiede jetzt auch wieder eine "wichtige Alternative".

In der Defensive hat Prokop ebenfalls umgestellt, "in Richtung des alten Systems, wo wir uns einen Tick wohler fühlen", wie Kühn sagte. Bei der EM hatte der Bundestrainer ein offensives Abwehrverhalten gefordert, nun ließ er wieder defensiver verteidigen. Dabei besetzte er mehrere Positionen neu, auch weil ihm die zentralen Abwehrkräfte Finn Lemke (Melsungen) und Hendrik Pekeler (Rhein-Neckar Löwen) fehlten. Da die ursprünglich nominierten Simon Ernst (Gummersbach), Tim Kneule (Göppingen) und Steffen Fäth (Berlin) ebenfalls nicht dabei waren, fühlte sich Axel Kromer, der Sportvorstand des DHB, bemüßigt, jede einzelne Absenz zu erklären, mit Knieschmerzen, Grippe, Kreuzbandriss, muskulären Problemen, Schulterbeschwerden. Kromer wollte Spekulationen im Keim ersticken: Es war ja angezweifelt worden, dass tatsächlich alle Nationalspieler nach der EM mit und unter Prokop weitermachen.

Nachdem die Umstellungen auf dem Feld faktisch eine Rückkehr zum System Sigurdsson sind, war die einzige wirkliche Neuerung beim Neustart, dass Teammanager Oliver Roggisch künftig auf der Trainerbank sitzt. "Eine bewusste Entscheidung", nannte Prokop die Versetzung: "Ich möchte ihn näher ans Team holen." Dem möglichen Eindruck, der frühere Weltmeister Roggisch solle aufpassen, dass Prokop keinen Unsinn treibt, widersprachen vorsichtshalber auch gleich alle. "Olli ist ein Typ, der gute Stimmung macht, der auch junge Spieler noch mehr motivieren kann", erklärte Weinhold.

Im DHB sind sie in diesen Tagen sichtlich bemüht, den Scherbenhaufen zu kitten, der bei der EM in Kroatien entstanden ist; der Wille ist da, im kommenden Januar erfolgreich bei der Heim-WM aufzutreten. Bis dahin sind noch etliche Länderspiele anberaumt, das nächste bereits am Samstag (14.30 Uhr/ARD) in Dortmund erneut gegen Serbien. Aber es wird kein echter Belastungstest unter Stress dabei sein, keine Qualifikations- oder K.-o.-Partie. Ob das reparierte Gebilde im Ernstfall dem Druck standhält, wird man also erst bei der WM sehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3932891
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.04.2018/ebc
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.