Süddeutsche Zeitung

Handball:Die Kunst, bei sich zu bleiben

Auch ohne Zuschauer erzeugt der HSC Coburg eine mitreißende Atmosphäre, spielt sich in einen Rausch und schlägt den HC Erlangen im Frankenderby der Handball-Bundesliga. Das 27:26 zeigt, was die Coburger in der Winterpause gelernt haben.

Von Sebastian Leisgang

Wahrscheinlich war es nicht einmal ein Spieler des HSC Coburg, der am Donnerstagabend die erstaunlichste Leistung vollbrachte. Wahrscheinlich war es auch nicht Alois Mraz, der Trainer der Coburger, und es waren, ebenso wahrscheinlich, auch nicht die Trommler, obwohl sie zu dritt derart Stimmung in die Bude brachten, dass man gegen Ende der Begegnung fast vergessen hatte, wie trostlos eine Handballpartie ohne Zuschauer ist.

Die Spieler, der Trainer und die Trommler, sie alle trugen am Donnerstagabend ihren Teil dazu bei, dass Coburg das Frankenderby gegen den HC Erlangen 27:26 (15:18) gewann. Derjenige aber, der die wohl erstaunlichste Leistung vollbrachte, saß in den letzten Sekunden dieses berauschenden Abends auf der Coburger Tribüne und ließ kaum eine Regung erkennen. Kein Klatschen, kein Anfeuern, nichts.

In der entscheidenden Phase zeichnet die Spieler eine demonstrative Gelassenheit aus

Jan Gorr, 42, saß einfach da und schaute hinunter aufs Feld. Um ihn herum hielt es niemanden mehr in den Sitzschalen, alle standen auf und brüllten herum, die verletzten Spieler, die zuschauen mussten, die Vereinsmitarbeiter und die Funktionäre, die trotz des Zuschauerausschlusses kommen durften. Nur Gorr, Coburgs Geschäftsführer, ließ diesen Sog, diese Energie, die die Halle längst ergriffen hatte, an sich vorüberziehen.

Gorr saß einfach da und schaute. Erst als die Mannschaft den letzten Erlanger Angriff überstanden hatte, sprang er auf, riss beide Hände in die Luft und ballte sie zu Fäusten. Dann lief er gemächlichen Schrittes die Treppe hinunter, die zum Spielfeld führt, stemmte die Hände in die Hüfte und verfolgte, wie sich die Spieler auf dem Feld um den Hals fielen. Es war ein kraftvolles Bild. Hier Gorr, in sich ruhend, nüchtern - dort die Spieler, grölend und beschwingt.

Die Szene war ja gerade deshalb so eindrücklich: weil Gorrs demonstrative Gelassenheit das war, was auch die Spieler in der entscheidenden Phase des Derbys ausgezeichnet und ihnen schließlich dazu verholfen hatte, einen kühlen Kopf zu behalten und die Partie für sich zu entscheiden. Nur: Wie schafft man das, im Augenblick der höchsten Anspannung alles auszublenden?

Coburg hat in seinen drei Spielen nach der Winterpause mehr Punkte geholt als in den 15 zuvor

Ein Anruf am Tag danach. Gorr lacht, dann sagt er: "Ich habe mir vorgenommen, dass ich mich nicht aufrege. In dem Moment kurz vor Schluss habe ich dann versucht, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen." Hört sich leicht an, doch es ist eine Kunst, bei sich zu sein, wenn's drauf ankommt. Man muss keinen Siebenmeter in einem Bundesligaspiel geworfen haben, um das zu wissen; im Grunde genügt es schon, zu versuchen, einen Papierknäuel vom Frühstückstisch in den Mülleimer zu werfen. Sieht leicht aus, kann aber auch eine Kunst sein.

In Coburg wissen sie das, weil sie diese Kunst vor dem Jahreswechsel nicht beherrscht haben. Aber: "Jetzt haben wir uns in der Bundesliga akklimatisiert", sagt Gorr, "es war bitter nötig, dass wir in der Winterpause ein paar Sachen optimieren. Jetzt sehen wir eine gute Entwicklung." Das 27:26 gegen Erlangen war ja bereits der zweite Sieg in diesem Jahr. Damit hat Coburg in seinen drei Spielen nach der Winterpause mehr Punkte geholt als in den 15 zuvor. Ein Aufschwung, der eine Menge mit der Psyche zu tun hat, der Gelassenheit, die unter Druck so schwer zu bewahren, in der finalen Phase eines Spiels aber ausschlaggebend ist.

"Wir haben auch schon vor der Winterpause gute Halbzeiten gespielt", sagt Gorr, "jetzt haben wir uns aber mal die richtige Halbzeit ausgesucht - nämlich die, in der das Spiel entschieden wird." So war es zum Jahresauftakt in Stuttgart, so war es am Donnerstagabend beim Derby gegen Erlangen.

Wer sah, wie sich die Coburger in dieses Spiel hineinzwängten, wie sie sich nach jedem gewonnenen Zweikampf aufpeitschten und welches Feuer beispielsweise Rechtsaußen Florian Billek in den Augen hatte, der war umso erstaunter, in welcher Manier es dem Team dann gelang, am Ende die Gorr'sche Gelassenheit zu finden.

Nun soll der Derbysieg Auftrieb verleihen. In Coburg sind sie sich ja ohnehin sicher, dass ihre Mannschaft das Format hat, um in der Bundesliga zu bestehen. Sie wissen aber auch, dass ihr Team nach 18 Spielen mit 7:29 Punkten Tabellenvorletzter ist. Gorr sagt dazu: "Wesentlich besser werden wir auch nach der Runde nicht dastehen." Kurze Pause, dann fügt er an: "Aber wir wollen schon noch klettern. Dafür haben wir jetzt den Grundstein gelegt." Mit dem Erfolg von Stuttgart - und mit dem Derbysieg, bei dem Coburg bei sich war, als es drauf ankam.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5212153
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/and/pps
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.