Handball:Die Befürchtung bewahrheitet sich

Handball: Ein Patrick Wiencek gibt sich nie geschlagen: Der Kieler stemmte sich mit allem, was er noch an Kraft hatte, gegen die Halbfinal-Niederlage.

Ein Patrick Wiencek gibt sich nie geschlagen: Der Kieler stemmte sich mit allem, was er noch an Kraft hatte, gegen die Halbfinal-Niederlage.

(Foto: Jörg Lühn/Holsteinoffice/Imago)

Kiel scheitert verletzungsgeschwächt in der Champions League am FC Barcelona - trotz nur einem Titel in dieser Saison überwiegt beim THW dennoch der Stolz.

Von Ulrich Hartmann, Kiel

Trostspiele um dritte Plätze üben auf die Handballer des THW Kiel keinen besonderen Reiz aus. Das erkennt man erstens an den 55 Titeln, die dieser Klub schon gewonnen hat, und zweitens an der goldenen Schrift, in der man von den Trikot-Rücken die Namen und Nummern der Spieler ablesen kann. Gold hat in der Optik des THW Kiel eine symbolische Bedeutung, Gold steht für erste Plätze, nicht für dritte oder vierte.

Nun ist das Spiel um den dritten Platz beim Finalturnier der Champions League aber Tradition. Der europäische Handballverband will den aus ganz Europa nach Köln angereisten Zuschauern an beiden Turniertagen eine Doppelmatinee bieten. "Die Regel besagt, dass im Spiel um Platz 3 zwei Teams gegeneinander spielen müssen - eigentlich wollen die das aber gar nicht mehr", sagte Kiels Trainer Filip Jicha nach der Halbfinalniederlage am Samstag gegen Barcelona, das am Sonntag im Finale Gegner Kielce mit 37:35 nach Siebenmeterwerfen niederrang. Regeltreu sind Jichas Spieler jedenfalls, so sind sie brav angetreten am Sonntag gegen Ungarns Rekordmeister Veszprem HC, um das allerletzte Spiel einer aufreibenden Saison zu bestreiten, natürlich ein aufreibendes Match: ebenfalls 37:35 (34:34, 14:18) nach Siebenmeterwerfen.

"Ich habe keinen Bock, nur um den dritten Platz zu spielen", hatte Domagoj Duvniak bereits vor dem Final-Four-Turnier gesagt. Das war als positive Verstärkung gedacht. Der mit allerhand Titeln ausgestattete Rückraumwerfer hatte unbedingt ins Endspiel gewollt, er hätte nach der verpassten Meisterschaft mit seinem THW zumindest gern das Double aus Pokal und Champions League perfekt gemacht. Doch ohne ihre kürzlich schwer und für viele Monate verletzten Schlüsselspieler Sander Sagosen und Hendrik Pekeler konnten die Kieler nur knapp 40 Minuten lang mit dem Vorjahressieger Barcelona mithalten. Dann zogen die Spanier davon. Kiel verlor 30:34. Nach dem Halbfinale entwich zunächst alle Kraft aus ihnen. Fürs Spiel um Platz drei mussten sie sich noch mal zusammenreißen.

Es war eineinhalb Jahre her, dass Kiel und Barcelona zuletzt in der Kölner Arena aufeinandergetroffen waren. Damals, coronabedingt ausnahmsweise am 29. Dezember 2020, gewannen die Kieler vor coronabedingt komplett leeren Tribünen in der Kölner Riesenhalle das Champions-League-Endspiel gegen Barcelona 33:28 und damit ihren vierten Champions-League-Titel. Am Samstag trafen sich beide Teams nun wieder. Im Halbfinale. Vor 19750 lauten Zuschauern. Und Barca übte Revanche.

Diese Revanche wurde allerdings durch die Ausfälle von Sagosen und Pekeler massiv begünstigt. Im Mai hat sich der Abwehrchef Pekeler die Achillessehne gerissen. Er wurde am Samstag in der Kölner Arena als bester Abwehrspieler der regulären Champions-League-Saison ausgezeichnet und humpelte mit einer dicken Schiene unglücklich dreinblickend durch die Halle. Die Medaille, die man ihm umgehängt hat, wird den Heilungsprozess kaum beschleunigen, sie wird Pekeler aber motivierend daran erinnern, wofür er sich in den kommenden Monaten schinden muss.

Aus einer 23:22-Führung machten die Spanier binnen sieben Minuten eine 29:24-Führung

Torjäger Sagosen hat sich zu Beginn dieses Monats den Knöchel gebrochen. Er war in Köln nicht dabei, sondern sah in Oslo daheim bei seiner Freundin im Fernsehen mit an, wie seine Kieler zwar knapp zwei Drittel des Spiels gegen Barcelona aufopferungsvoll mithalten konnten, dann aber in der entscheidenden Phase einbrachen. Aus einer 23:22-Führung in der 38. Minute machten die Spanier binnen sieben Minuten eine 29:24-Führung. Und damit war die Sache durch, zumal Torhüter Niklas Landin, im Finale vor 18 Monaten einer der umjubelten Matchwinner, kaum einen wichtigen Ball parieren konnte. Diesmal kamen einige Faktoren zusammen.

Die Saison hätte für die Kieler mit ein bisschen mehr Glück viel erfolgreicher ausgehen können. Sogar mit einem Triple. Doch in der Bundesliga verloren sie bereits früh, schon im Oktober, auch wegen coronabedingter Spielerausfälle den Anschluss zum Tabellenführer und späteren Meister SC Magdeburg, der sich auf seinem Weg zum Titel keine Schwächephase erlaubte. Und im Champions-League-Finalturnier am Wochenende bewahrheitete sich Kiels Befürchtung, dass man Teams von der Stärke eines FC Barcelona nicht besiegen kann, wenn der beste Angreifer und der beste Abwehrspieler verletzt fehlen. "Wir wollen keine Ausreden suchen", sagte Antreiber Duvnjak - "aber natürlich haben sie uns gefehlt."

"Ich bin stolz auf meine Jungs", sagte darum auch der Trainer Jicha, "weil sie nach einer so langen Saison und in einer so schwierigen Konstellation wie Löwen gekämpft haben." Duvnjak, der Sagosen im linken Rückraum ebenso wenig gleichwertig ersetzen konnte wie der glücklose Nikola Bilyk, will auf diese Saison mit dem einen Titel aber nichts kommen lassen. "Ich finde schon, dass es eine gute Saison war", sagte er. "Wir haben den Pokal gewonnen und uns in der Bundesliga wieder für die Champions League qualifiziert."

Dort wollen die Kieler - samt Einzug ins Finalturnier in Köln - nächstes Jahr wieder eine bessere Figur abgeben - dann gewiss auch anlässlich der bevorstehenden Abschiede von Sagosen (wechselt 2023 nach Kolstad/DEN) und Torwart Landin (wechselt 2023 nach Aalborg/DEN). Wenn sie in Kiel all die Jahre eines geschafft haben, dann immer wieder eine neue Mannschaft aufzubauen, die in der Champions League auch Titel gewinnen kann. Trostspiele um dritte Plätze haben sie beim THW in dieser Spielzeit jedenfalls vermutlich auch nicht lieb gewonnen.

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