Süddeutsche Zeitung

Deutsche Handballer:Wertsteigerung übers Wochenende

Die Olympia-Qualifikation der Männer-Auswahl hat nicht nur für den Handballbund eine eminente Bedeutung - sie strahlt auf den gesamten deutschen Sport aus.

Kommentar von Joachim Mölter

Am Wochenende drohte dem deutschen Handball der Absturz in die Bedeutungslosigkeit, er rollte bereits am Abgrund entlang. Beim ZDF überlegten sie ernsthaft, das entscheidende Olympia-Qualifikationsspiel der Handballer am Sonntagnachmittag lieber im Internet zu versenden und im Hauptprogramm stattdessen die Trödelshow "Bares gegen Rares" auszustrahlen.

Handball - weniger wert als Ramschware? Eine hierzulande traditionsreiche Sportart nur noch gut für den Flohmarkt?

Die wichtigste Partie des Deutschen Handballbundes (DHB) in jüngerer Vergangenheit wurde dann doch auf dem besten Sendeplatz präsentiert, und die Männer-Auswahl revanchierte sich mit hübschen Jubelbildern, nachdem sie die Qualifikation für die Sommerspiele geschafft hatte.

Damit steigerte der deutsche Handball seinen Wert übers Wochenende in unschätzbare Höhe: Es geht jetzt um Gold.

Allein, dass die Männer-Auswahl in Tokio mitwirkt, ist ungemein wichtig

Das Motto "Olympia-Gold in Tokio" hatte der DHB-Vizepräsident Bob Hanning schon vor acht Jahren ausgerufen, in einer Zeit, als die Männer-Auswahl tatsächlich in die Bedeutungslosigkeit gestürzt war: Olympia 2012, EM 2014, WM 2015 - verpasst und verspielt. "Olympia-Gold in Tokio" war zu dieser Zeit ein Ziel, hinter dem sich alle versammeln konnten im Verband, in den Ligen, den Klubs; ein Ziel, für das es zu kämpfen lohnte.

Doch je näher es rückte, desto verzagter schienen alle zu werden, desto mehr schien der Gedanke an Gold sie zu erschrecken. In den Tagen und Wochen vor dem Qualifikationsturnier in Berlin wollte keiner mehr was davon wissen - außer dem unverzagten, unerschrockenen Hanning. So kann man sein Premiumprodukt, und das ist im Handball die Männer-Nationalmannschaft, natürlich auch entwerten.

Die Furcht vor der eigenen Courage ist nun der Freude über die Chancen gewichen. Allein dass die Männer-Auswahl in Tokio mitmacht, ist ungemein wichtig für den ganzen Verband. Für Olympia fließt mehr Geld, von Sponsoren, von der öffentlichen Hand. Und an der Präsenz von Vorbildern hängt in dieser Pandemie-Zeit der ganze Nachwuchs, der gerade selber nicht spielen darf. Das befürchtete Mannschaftssterben lässt sich womöglich mit einer Olympia-Teilnahme lindern.

Für die Zeit nach der Corona-Pandemie hat der DHB ohnehin schon strategische Weichen gestellt: Er hat die EM 2024 und die WM 2027 nach Deutschland geholt, zwei Turniere, bei denen der Gewinner nebst Titel und Trophäe auch das Teilnahmerecht an den nachfolgenden Olympischen Spielen erhält. Angesichts dieser Aussicht wird der seit einem Jahr amtierende Bundestrainer Alfred Gislason, 61, sicher auch nicht abgeneigt sein, seinen Vertrag über die EM 2022 hinaus zu verlängern. Zumal auch die Mannschaft gut aufgestellt ist für die Zukunft: In Johannes Golla, Sebastian Heymann, beide 23, und Juri Knorr, 20, sind bereits in Berlin junge Spieler an entscheidenden Positionen nachgerückt.

Die Olympia-Qualifikation der Handballer strahlt zudem auf den gesamten deutschen Sport aus. Bis dato waren nur die U21-Fußballer sowie die Hockey-Teams beiderlei Geschlechts in Tokio vertreten. Jede Mannschaft mehr hilft, einer drohenden Monokultur entgegenzuwirken, dem hierzulande übermächtigen Fußball etwas entgegenzusetzen. Insofern sind die Handballer etwas Rares, das mit Barem kaum zu bezahlen ist.

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