Handball:Der deutsche Mikkel

Algerien - Deutschland

Julius Kühn (rechts) erzielte acht Tore gegen Algerien; gegen stärkere Gegner tut er sich aber schwer.

(Foto: Sören Stache/dpa)

Das DHB-Team hat ein großes Ziel: Olympia-Gold in Tokio. Dafür muss Trainer Gislason aber den linken Rückraum stark reden und stark machen. Die Hoffnungen ruhen vor allem auf Julius Kühn.

Von Carsten Scheele

Die Dänen haben einen Spielzug, der immer funktioniert. Wird das Spiel eng, muss im letzten Angriff der rettende Torerfolg her, geht der Ball zu Mikkel Hansen. Natürlich nicht immer auf direktem Wege, manchmal kreuzen die anderen Rückraumspieler auch erst, um Hansen in eine bessere Wurfposition zu bringen. Das Ergebnis ist dasselbe: Auf Hansen kommt es an. Er ist der Spieler für die Crunchtime. Bekommt Hansen den Ball, ist das Vertrauen groß, dass er etwas Gescheites damit anzufangen weiß.

Hansen spielt auf der Königsposition der Handballer im linken Rückraum. Dort agieren die wurfgewaltigen Muskelprotze, die hochsteigen und den Ball unerbittlich ins Netz zischen lassen. Spieler wie Hansen haben es nicht immer leicht: Sie stehen im Fokus, sie werden von den Mitspielern flehenden Blickes gesucht, wenn es mal schlecht läuft. Häufig gehören Halblinke zu den sensibleren Spielernaturen: Sie brauchen das Vertrauen in ihre Fähigkeiten, sonst wird das nichts.

Große Mannschaften verfügen deshalb fast immer über prägende Spieler auf dieser Position. Hansen ist seit vielen Jahren der Anführer bei Weltmeister Dänemark, er setzt die Impulse. Die Spanier haben Joan Canellas, die Norweger ihren Sander Sagosen. Die Franzosen hätten all ihre Erfolge gewiss nicht ohne Nikola Karabatic oder Daniel Narcisse erreicht. Und die Deutschen? Sie wollen wieder eine große Mannschaft werden, die Olympia-Qualifikation ist geschafft, das Ziel für Tokio ist klar formuliert - die Goldmedaille. Dafür muss aber auch der linke Rückraum funktionieren, und der hält an manchen Tagen international nicht ganz mit.

Kühn wirft acht Tore gegen Algerien, aber nur zwei gegen Schweden

Bundestrainer Alfred Gislason könnte mit allen anderen Mannschaftsteilen wohl morgen ins Turnier starten - auf Halblinks ist die Lage diffiziler. Immerhin, in zwei der drei Spiele hat beim Olympia-Qualifikationsturnier in Berlin alles gut funktioniert: Da hat insbesondere Julius Kühn, der Shooter der MT Melsungen, ordentlich reingehauen. Kommt Kühn in Fahrt und kann er aus neun bis elf Metern Distanz hochsteigen, ist er tatsächlich nicht zu halten. Achtmal brachte Kühn den Ball mit einem Zischen im algerischen Netz unter. Ähnlich lief es gegen Slowenien, zisch, sechs Tore für Kühn. Nach solchen Spielen "geht es einem richtig gut", sagte er.

Doch Algerien und ersatzgeschwächte Slowenen sind nicht die Kaliber, an denen es sich für eine goldene Olympiamedaille zu messen gilt. Gegen den WM-Zweiten Schweden erging es Kühn weniger gut. Er kam mit der Deckung überhaupt nicht klar, übrigens ebenso wenig die Kollegen auf seiner Position: Sebastian Heymann, der 100-Kilo-Mann von Frisch Auf Göppingen, dem die Zukunft auf Halblinks gehören soll, oder der Hannoveraner Fabian Böhm. Paul Drux fehlte verletzt, irgendwann hatten die Schweden das komplette Personal im linken Rückraum so entnervt, dass das Selbstvertrauen verflogen war. So ging der vermeintlich letzte Ball der Deutschen zwar zu Kühn, der passte ihn aber weiter. Marcel Schiller räumte von der Außenposition für ihn ab und rettete das Unentschieden.

Stärkere Nationen, zu denen auch die Schweden gehören, finden häufig simple Mittel, um die deutschen Hünen aus dem Spiel zu nehmen. Das erinnerte an die WM in Ägypten: Im Duell mit Europameister Spanien wurde Kühn mit einer offensiven Verteidigung bedacht, kam damit aber nicht zurecht. Kühn musste früh raus, hatte am Ende kein einziges Mal getroffen. Sein bestes Spiel machte er gegen mittelprächtige Brasilianer, als er fünfmal traf.

"Der Rückraum kam gar nicht mehr klar", schimpfte Gislason

Gislason weiß, wie sehr die Mannschaft auch gegen starke Gegner auf Kühns Wurfkraft angewiesen ist. In der Phase des Schweden-Spiels, als gar nichts zusammenlaufen wollte, war der Trainer entsprechend aufgebracht. Er bemängelte "disziplinlose Würfe", als auch Kühn einfach abzog, obwohl er sich noch gar nicht in Position befand. "Der Rückraum kam gar nicht mehr klar", urteilte Gislason später.

Doch der Isländer hat in seiner Trainer-Karriere schon etliche Rückraumspieler stark geredet und stark gemacht, und wenn einer aus der aktuellen Besetzung im linken Rückraum bei Olympia zum Faktor werden kann, dann ist es vermutlich Kühn. Der hat in Berlin auch darüber gesprochen, wie die Mannschaft ihm helfen kann, der wuchtige Shooter zu sein, den Gislason sehen will. Für Kühn beginnt alles in der Abwehr; steht die Defensive gut, "fällt es einem auch im Positionsangriff leichter", zumal gewonnene Bälle über die erste und zweite Welle nach vorne getragen werden - und der Gegner seine Abwehr noch nicht gut sortiert hat. Wenn Kühn nur einen und nicht drei Abwehrspieler vor sich hat, wird der Weg zum Tor leichter.

Aber zum Glück läuft bei den anderen Nationen auch nicht immer alles rund. Die Dänen und Mikkel Hansen haben neulich erstmals seit langem wieder mal ein Spiel verloren. Hansen war zwar da, seine elf Tore reichten gegen Nordmazedonien aber nicht. Der letzte Ball, der sonst immer zu ihm gespielt wird, war nicht mehr wichtig - da lagen die Dänen schon mit vier Toren hinten.

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