Deutschland bei der Handball-WM:Es gibt noch was zu besprechen

Deutschland bei der Handball-WM: Schwer zu bremsen: Juri Knorr (li.) war gegen Katar der herausragende deutsche Feldspieler, hier kommt Rafael Capote zu spät.

Schwer zu bremsen: Juri Knorr (li.) war gegen Katar der herausragende deutsche Feldspieler, hier kommt Rafael Capote zu spät.

(Foto: Mateusz Birecki/Imago)

45 "phantastische Minuten", dann plötzlich viele Unsicherheiten: Deutschlands Handballer zeigen angeführt von Juri Knorr gegen Katar ihre Qualitäten - doch das Team plagt auch ein großes Manko.

Von Ralf Tögel, Kattowitz

Philipp Weber hatte keinerlei Zweifel. Niemals, so ließ er unmittelbar nach getaner Arbeit wissen, habe er befürchtet, "dass es nochmal in die andere Richtung gehen kann". Denn er spiele in einer mittlerweile so gefestigten Mannschaft, "dass uns auch solche Phasen nicht umhauen können". Damit meinte der Handball-Nationalspieler den 25:26-Anschlusstreffer von Ahmed Nader Saleh, der die deutsche Mannschaft in ihrem WM-Auftaktspiel gegen Katar in Polen und Schweden nochmals in Bedrängnis brachte. In arge Bedrängnis, wie Trainer Alfred Gislason im Gegensatz zu seinem routinierten Rückraumspieler fand: "Klar wurde es da nochmal brenzlig."

Letztlich aber stand ein verdienter 31:27-Erfolg gegen diesen vorher schwer einzuschätzenden Gegner, der zudem einen gelungenen Start in das Turnier bedeutete. Die Bilanz gegen das Team vom persischen Golf war nämlich vor dem Spiel negativ, bei den Weltmeisterschaften 2015 und 2017 hatte Katar die deutsche Auswahl aus dem Wettbewerb gekegelt, zwischenzeitlich hatte sich das DHB-Team bei Olympia in Rio revanchiert. "Jetzt steht es 2:2", rechnete Weber grinsend vor, letztlich würden sowieso nur die zwei Punkte zählen: "Wir wollten unbedingt das Spiel gewinnen, das haben wir und jetzt können wir jetzt einen Haken dahinter machen."

Das ist wohl die sinnvollste Herangehensweise, gleichwohl wird der Trainer mit Weber und Kollegen noch ein bisschen etwas zu besprechen haben. Natürlich waren die Katarer ein unbequemer und weitgehend unbekannter Gegner, aber diese Mannschaft hatte mit der von damals nicht mehr viel gemeinsam.

Seinerzeit hatte sich Katar die Dienste einer ganzen Reihe an hochkarätigen Legionären per Einbürgerung und üppigem Salär gesichert, die sind aber in die Jahre gekommen, wie etwa Rafael Capote, der den Deutschen weiland noch argen Ärger bereitet hatte. Zwar erzielte der eingebürgerte Kubaner fünf Treffer, musste mit seinen 35 Jahren aber immer wieder Pausen einlegen. Katars spanischer Erfolgstrainer Valero Rivera, der mit Spanien 2013 Weltmeister wurde, setzt zwangsläufig immer mehr auf einheimischen Kräfte, was immer noch zu einer "sehr, sehr guten Mannschaft" reiche, wie Weber versicherte. Aber die deutsche Mannschaft war klar besser.

Die eingebürgerten Topspieler sind in die Jahre gekommen, Katars Trainer muss auf einheimische Handballer setzen

Angeführt von Spielmacher Juri Knorr dominierte die DHB-Auswahl die erste Halbzeit nach Belieben. Obwohl der Spielmacher der Rhein-Neckar Löwen mit 22 Jahren der Jüngste im Team ist (Julian Köster ist zwei Monate älter), leitete er das Spiel mit großer Übersicht, strahlte stets Torgefahr aus, spielte kluge Pässe an den Kreis, setzte die Mitspieler in Szene und bestimmte das Tempo. Knorr entpuppt sich zusehends als der lange vermisste Spielgestalter von internationaler Klasse. Zudem funktionierte ein weiteres Stilmittel, dass der deutschen Auswahl in den vergangenen Turnieren abhanden gekommen war, wie zu besten Zeiten: der Tempogegenstoß.

Entweder überrannten die Deutschen den Gegner mit einer wuchtigen zweiten Welle, oder die Außen Lukas Mertens und Patrick Groetzki bekamen millimetergenaue Pässe von Torhüter Andreas Wolff serviert, die sie jeweils mit vier Treffern veredelten. Der Schlussmann war der dritte wichtige Faktor im Team, Wolff parierte auf jenem Niveau, dass man auf internationalem Parkett zeigen muss, um weit in einem Turnier zu kommen. Zwar humpelte der 31-Jährige kurz vor Schluss vom Feld, aber schon eine Ultraschalluntersuchung in der Kabine brachte Entwarnung: Teamarzt Philip Lübke diagnostizierte eine leichte Zerrung, die bis zum nächsten Spiel gegen Serbien am Sonntag (18 Uhr) zu beheben sei.

Weil sich auch Routinier Kai Häfner im rechten Rückraum als verlässlicher Torschütze erwies (5 Treffer) und die Abwehr um den Mittelblock mit Johannes Golla und Julian Köster wenig zuließ, ging das DHB-Team mit einem beruhigend wirkenden 18:13-Vorsprung in die Kabine - der lediglich die Frage hinterließ, warum dieser nicht noch deutlicher ausgefallen war.

Deutschland bei der Handball-WM: "Gegen Serbien dürfen wir uns so eine Delle nicht erlauben": Bundestrainer Alfred Gislason.

"Gegen Serbien dürfen wir uns so eine Delle nicht erlauben": Bundestrainer Alfred Gislason.

(Foto: Marco Wolf/Wolf-Sportfoto/Imago)

Die Antwort bekam der Trainer nach der Pause serviert, was Weber so formulierte: "Wir haben 45 Minuten ein phantastisches Spiel gemacht und Katar keine Chance gelassen, dann bringen wir uns selbst um den Lohn, weil wir sie wieder herankommen lassen." Das ist das große Manko dieser Mannschaft, die zu Beginn vortrefflich aufspielt, um sich dann mit schwer erklärbaren Fehlern selbst aus dem Tritt und den Gegner zurück ins Spiel zu bringen. "Das war leider eine Parallele zu den Testspielen gegen Island", stellte Kapitän Golla fest, "wir spielen eine super erste Halbzeit, kommen schläfrig aus der Kabine, machen ein paar einfache technische Fehler, vergeben freie Würfe und dann ist eine Mannschaft wie Katar in der Lage, aufzuholen und uns in Bedrängnis zu bringen."

Immerhin behielt das Team dieses Mal die Nerven, Treffer von Weber, Jannick Kohlbacher und zwei mächtige Schlagwürfe von Knorr beendeten die Erfolgsaussichten der Katarer. Gleichwohl weiß Trainer Gislason, dass man sich derlei Schwächephasen gegen die Serben schenken sollte, die ihre Auftaktpartie gegen Algerien recht problemlos mit 36:27 Toren gewonnen haben: "Eine richtig gute Mannschaft, in Angriff und Abwehr, sie haben eine sehr gute Mischung aus alten und jungen Spielern, eine sehr gute Breite im Kader und einen überragenden Torhüter, da dürfen wir uns so eine Delle wie heute nicht leisten."

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