Süddeutsche Zeitung

Handball:Deutsche Handballer qualifizieren sich für Olympia

Deutschland besiegt Algerien - die Mission "Olympia-Gold in Tokio" geht damit weiter. Auch dank des Fingerspitzengefühls von Trainer Alfred Gislason.

Von Joachim Mölter

Auf der Tribüne der Max-Schmeling-Halle klatschten sich die Funktionäre, Betreuer und Mitarbeiter des Deutschen Handballbundes (DHB) bereits ab, bevor das letzte Spiel der Männer-Auswahl beendet war beim Olympia-Qualifikationsturnier in Berlin. Es war eher geschäftsmäßige Freude, die Partie gegen Algerien war ja nicht besonders schön gewesen und erst recht nicht dramatisch. Aber darum war es auch nicht gegangen an diesem Sonntag, sondern: um die Teilnahme an den Sommerspielen vom 23. Juli bis 8. August in Tokio. Und die hat sich die DHB-Auswahl gesichert durch ein nie gefährdetes, aber auch schmuckloses 34:26 (17:14) gegen den Dritten der jüngsten Afrika-Meisterschaft.

Ein Unentschieden hätte den deutschen Handballern bereits genügt nach den vorherigen Ergebnissen, dem 25:25 gegen den WM-Zweiten Schweden am Freitag und dem 36:27 gegen den EM-Vierten Slowenien am Samstag. Doch Bundestrainer Alfred Gislason hatte einen Sieg gefordert, um die Konzentration hochzuhalten: "Wir brauchen ganz dringend die zwei Punkte." Nach dem erledigten Auftrag gestand er seiner Auswahl zu, dass sie nicht mehr zu einer ganz großen Leistung in der Lage gewesen war: "Es war das dritte Spiel in drei Tagen, da merkte man schon, dass die Spritzigkeit fehlte und der eine oder andere müde war." Zum Glück waren die Algerier noch müder.

Nun kann also die vor acht Jahren von DHB-Vizepräsident Bob Hanning ausgerufene Mission "Olympia-Gold in Tokio" fortgeführt werden, mit der er seinerzeit die darniederliegende Männer-Mannschaft des DHB wieder aufrichtete. "Wir sind ja ziemlich durch den Kakao gezogen worden, als wir nach der WM an diesem Ziel festhielten", sagte Präsident Andreas Michelmann mit sichtbarer Genugtuung. Der zwölfte Platz beim Turnier in Ägypten, das schlechteste WM-Abschneiden in der DHB-Geschichte, hatte Zweifel gesät, auch wenn es "erklärbar war, so wie die Mannschaft zusammengesetzt war", wie Michelmann erinnerte. Aus unterschiedlichen Gründen hatte im Januar ein halbes Dutzend Stammspieler gefehlt, darunter die komplette Innenverteidigung.

"Gut habe ich nicht geschlafen", gibt Gislason nach dem Schweden-Spiel zu

Die war in Berlin wieder dabei, prompt zeigte die Auswahl, welches Potenzial in ihr steckt. Schwedens Torwart Andreas Palicka hatte es schon am Freitag gesehen: "In meinen Augen hat Deutschland alle Möglichkeiten, eine Weltmacht im Handball zu sein", sagte der Profi von den Rhein-Neckar Löwen nach dem 25:25, "sie haben eine Riesen-Zukunft vor sich." Vielleicht noch nicht in diesem Sommer in Tokio, dämpfte Gislason die Erwartungen. "Wir zählen sicher nicht zu den ganz großen Favoriten", sagte er, "aber mit Deutschland muss man immer rechnen."

Zumal nach so einer Leistung wie am Samstag gegen Slowenien, dem wohl besten Auftritt seit langem. "Das war eine richtig gute Abwehr mit zwei richtig guten Torhütern, die es uns ermöglicht haben, unser Tempospiel aufzuziehen und viele leichte Tore zu erzielen, auch in der zweiten Welle", fasste Julius Kühn das Geschehen zusammen. Der Torjäger aus Melsungen hatte gegen Slowenien sechs Tore erzielt und gegen Algerien sogar acht. "Um so ein Ergebnis gegen Slowenien zu erzielen, muss alles passen", pflichtete Timo Kastening bei, "das war heute so ein Tag."

Nach dem erst im letzten Angriff bewerkstelligten Unentschieden gegen Schweden hatte Bundestrainer Gislason eine unruhige Nacht gehabt, wie er zugab: "Gut habe ich nicht geschlafen." Nach dem Sieg gegen Slowenien war er beruhigt, weil sein Team die Olympia-Qualifikation wieder fester in der Hand hatte: "Es sind große Brocken der Last von mir gefallen. Der Druck war groß, aber die Mannschaft hat überragend reagiert."

Mit seiner Erfahrung dreht der Isländer genau die richtigen Stellschrauben

Der 61 Jahre alte Isländer hatte sie aber auch bestens eingestellt, lobte DHB-Chef Michelmann: "Bedingt durch seine Erfahrung ist er so schlachten-gestählt, dass er sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Das strahlt natürlich auf die Spieler aus." Mit der Autorität von drei Champions-League-Triumphen als Klubtrainer sowie je acht nationalen Meisterschaften und Pokalgewinnen hatte Gislason immer genau die richtigen Stellschrauben gedreht, strikt nach aktueller Form und ohne Rücksicht auf frühere Verdienste.

Gegen Schweden hatte er beispielsweise die Torhüter Jogi Bitter (Stuttgart) und Silvio Heinevetter (Melsungen) aufgeboten, "weil der Großteil der Schweden in Deutschland spielt, und sie die Spieler besser kennen". Im Auftaktmatch blieb deshalb Andreas Wolff draußen, der Europameister von 2016. Der beim polnischen Spitzenklub Kielce unter Vertrag stehende Wolff "kennt dafür die Slowenen besser aus der Champions League", so Gislason, denn deren gefährlichste Werfer seien ja alle bei europäischen Topteams aktiv. Bitter verhinderte dann am Freitag mit zwei Paraden in der Schlussphase die drohende Niederlage, und Wolff machte am Samstag sein Tor so dicht, wie der Bundestrainer sich das vorgestellt hatte.

Der ersetzte am Samstag in der Abwehrzentrale zudem Patrick Wiencek, 31, durch Johannes Golla, 23, weil der Routinier tags zuvor müde gewirkt hatte. "Es war nicht geplant, dass er gar nicht spielt gegen Slowenien", sagte Gislason, "aber der Innenblock hat mit Golla gut funktioniert." Also schonte er Wiencek, ein ebenso gewinnbringender Schachzug wie die Rochade auf Linksaußen, wo der glücklose Uwe Gensheimer zwischenzeitlich für Marcel Schiller Platz machen musste, und der dann mit fünf Toren gegen Schweden und sieben gegen Slowenien jeweils erfolgreichster Werfer war. Gislason moderierte diese Personalie mit seinem Fingerspitzengefühl freilich so geschickt, dass sich Gensheimer nicht degradiert fühlen musste. "Wenn man jeden Tag spielen muss, kann man es sich leisten, zu wechseln zwischen guten Außen", erklärte Gislason. Gegen Algerien war der Kapitän jedenfalls wieder an Bord - und mit fünf Toren auch wieder erfolgreich.

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