Süddeutsche Zeitung

Handball:Der elftgrößte Koreaner

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Dank des Bundesliga-Rekordtorjägers Kyung-Shin Yoon kämpfen Hamburgs Handballer um den Titel.

Jörg Marwedel

Das Bild der Deutschen vom Asiaten ist ziemlich einheitlich: Immer freundlich seien diese Menschen, aber niemals zeigten sie ihre wahren Gefühle. Dass diese Vorstellung nicht immer stimmt, hat zuletzt Kyung-Shin Yoon bewiesen. Nach dem Gewinn des Europacups der Pokalsieger mit dem HSV Hamburg in Leon, hat der mit 2,04 Meter Höhe elftgrößte Koreaner seine Gefühle keineswegs mehr versteckt. Er hat gesungen und getanzt, die Fotografen schossen Bilder von ihm mit einer Bierflasche und sogar mit einer Zigarre. Dann sagte er: ,,Die Entscheidung, nach Hamburg zu gehen, war die beste in meiner Laufbahn.''

Viel mehr wird man auch von einem Deutschen, Franzosen oder Spanier im Überschwang kaum erwarten. Diese Ausgelassenheit nach seinem ersten Titel mit einer Mannschaft war schon erstaunlich, und womöglich ist das noch nicht einmal das Ende in dieser Saison. Nur die Hamburger können dem punktgleichen Rekordmeister THW Kiel noch die deutsche Meisterschaft abspenstig machen. Erste Voraussetzung ist im viertletzten Punktspiel an diesem Mittwoch ein Sieg gegen den VfL Gummersbach, jenen Verein, für den Yoon, 33, zehn Jahre gespielt hat.

Divenhafte Anwandlungen

In Gummersbach war Yoon die meiste Zeit der einzige Star. Er wurde Welt-Handballer 2001 und sechsmal Torschützenkönig der Bundesliga, aber einen Titel mit dem VfL gewann er nicht. Im Gegenteil: Als die Rheinländer finanziell am Abgrund standen, wurde ihm sogar das Auto weggenommen und die Wohnung gekündigt, weil der Klub die Miete nicht mehr gezahlt hatte. Und als es wieder aufwärts ging, wollte man dem verdienten Spieler eine heftige Gehaltskürzung zumuten, obwohl er im Laufe der Jahre unter anderem Angebote aus Kiel und Barcelona abgelehnt hatte. Das war zu viel für den verlässlichen Koreaner, dessen Vorname angeblich ,,Treu bleiben'' heißt. Er ging nach Hamburg.

Dass Yoon inzwischen längst ein ,,deutscher Profi'' ist, hat er längst bewiesen. In Gummersbach soll er durchaus divenhafte Anwandlungen gehabt haben, was nicht unbedingt urkoreanisch ist. Und auf die Spielweise hatte er sich auch recht bald eingestellt: Man braucht hier eine gewisse Körpersprache, um sich durchzusetzen. Bald wog er zehn Kilogramm mehr als zu Beginn, die Gegner wissen seit langem, dass er sich wehren kann. Und wenn er einmal vom Trainer attackiert wird, zieht er sich keineswegs ins Schneckenhaus zurück. ,,In der Halbzeit gegen Leon hat mich Martin Schwalb ganz schön zusammengestaucht'', erzählte er später. Am Schluss aber machte er zehn Sekunden vor Schluss das entscheidende 33:37, womit Hamburg nach dem 28:24 vom Hinspiel ausgeglichen hatte, und die Auswärtstore zählten dann doppelt.

Manche Beobachter haben es nicht erwartet, dass der in die Jahre gekommene Yoon dem HSV-Team noch so viel geben kann. Inzwischen sagt nicht nur der Vereinspräsident Andreas Rudolph, dass Yoon wohl der Hauptunterschied ist zu jenem HSV, der im vorigen Jahr eine mäßige Saison gespielt hatte. Im März stellte Yoon mit 2662 Bundesliga-Toren einen neuen Rekord auf und verwies Jochen Fraatz auf Rang zwei. Im Spiel beim TBV Lemgo warf er 18 Tore, nur einmal hat jemand besser getroffen, das war der Göppinger Jerzy Klempel in den achtziger Jahren - er traf 19 Mal. Und selbst Yoons Coach Martin Schwalb, immerhin auf Rang drei der Schützenliste, räumte gönnerhaft ein: ,,18 Tore sind mir nicht oft gelungen.'' Aktuell führt Yoon schon wieder die Torschützenliste an (221 Treffer).

Müdigkeit ist kein Argument

Vor allem in den Spielen, in denen der HSV Hamburg nicht mit voller Kraft spielt, sind seine Tore am wichtigsten, denn er macht ,,die leichten Tore'', wie Schwalb sie nennt. Wenn das Team ein wenig matt ist, dann spielen sie einfach den Torjäger an. Auch zuletzt beim Abstiegskandidaten TuS Nettelstedt-Lübbecke war der Linkshänder mit zwölf Treffern der Mann, der den 31:28-Sieg sicherte. Dennoch sagt er, er habe es nun viel einfacher als in Gummersbach. ,,Hier habe ich Weltmeister und Welthandballer neben mir, das macht mir vieles leichter'', sagt Yoon. Und macht sich vor dem Spiel gegen seinen einstigen Klub in bestem Deutsch zum Mentalcoach: ,,Wir müssen langsam mehr zeigen, wenn wir Meister werden wollen. Müdigkeit darf kein Argument sein, das ist in erster Linie eine Kopfsache.''

Es ist viel passiert, seit er nach Deutschland kam und vom damaligen Gummersbacher Trainer Heiner Brand die Spitznamen ,,Nick'' erhielt, weil er immer nickte, aber nichts verstand. In Hamburg hat er inzwischen einen neuen Beinamen. ,,Kim'' hat ihn Torwart Goran Stojanovic getauft, weil Koreaner oft so heißen. Dabei hat er vergessen, dass Yoon inzwischen längst ein Kind der Bundesliga ist.

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