Rot unterlaufene Kratzspuren zierten das Gesicht von Gisli Kristjansson. Er hatte einige an der Wange, weitere am Kinn und am Hals; doch ganz oben an der Stirn glitzerte ein kleiner Streifen silberfarbenes Konfetti. Ein passendes Bild, schließlich hatte der Handballer des SC Magdeburg in den 60 Minuten zuvor erhebliche Strapazen durchleiden müssen. Aber immerhin – Konfetti an der Stirn! – mit einem Happy End.
Und was für eines! Kristjansson ist Champions-League-Sieger, nach dem 32:26 im rein deutschen Königsklassen-Finale gegen die Füchse Berlin. Bereits zum zweiten Mal in seiner noch jungen Karriere hat Kristjansson den Titel nun gewonnen, der Isländer ist erst 25 Jahre alt. Doch er sah völlig geschafft aus, überhaupt nicht wie jemand, der jetzt die Nacht durchfeiert. Sondern wie einer, der sich erst mal hinlegt und 15 Stunden durchschläft.

Finale der Handball-Champions-League:Magdeburg nimmt genüsslich Revanche
Ein Feiertag für den deutschen Handball: In einem hochklassigen Champions-League-Finale gewinnt der SC Magdeburg 32:26 gegen die Füchse Berlin – und verhindert somit das Double des deutschen Meisters.
Magdeburgs Handballer haben eben nicht nur ein Finalwochenende, sondern obendrein extrem fordernde Monate hinter sich. Manch einer hätte vielleicht sogar verstanden, hätten Kristjansson und seine Kollegen irgendwann im Saisonverlauf laut gefragt, ob das alles überhaupt noch Sinn ergibt. Die Rückschläge waren mannigfaltig, zunächst sportlicher Natur: Immer wieder zogen sich die Spieler schwere Verletzungen zu, wichtige Spiele und Titelchancen gingen verloren. Dann, kurz vor Weihnachten, war der Sport plötzlich nebensächlich, als bei einem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt sechs Menschen starben und das Leben in der Stadt stillstand.
„Ich kann gar nicht beschreiben, was wir alles durchmachen mussten“, sagte Kristjansson am Sonntagabend in Köln. Doch jetzt der Titel im finalen Saisonspiel, der einiges rettet und vieles kaschiert. „Im Herbst hätte ich niemals geglaubt, dass wir jetzt diesen Titel holen“, sagte Kristjansson, „aber wir sind zurückgekommen.“
Für Magdeburg ist es der dritte Champions-League-Titel nach 2002 und 2023
Passend dazu hatte sein persönliches Mitwirken am Finalwochenende auf der Kippe gestanden. Es hätte Mediziner gegeben, die hätten Kristjansson dringend zu einer weiteren Sportpause geraten, nach seiner neuerlichen Schulterverletzung im Ligaendspurt. Doch der Isländer erklärte sich für fit, erzielte acht Tore im Finale, wurde zum wertvollsten Spieler des Finalturniers gewählt, zum MVP. „Magdeburger geben niemals auf“, sagte Kristjansson und lachte. Ein anderer Begriff, der an diesem Abend die Runde machte, war jener der „Stehauf-Magdeburger“. Ebenso passend.
Der Klub hat es somit tatsächlich geschafft, eine schwierige Spielzeit mit dem Schlussgong noch in eine gelungene zu verwandeln. Champions-League-Sieger, dieser Titel wiegt viel im Handball, und die Magdeburger haben ihn nach 2002 und 2023 erneut inne. Als seine Spieler noch im Konfettiregen mit dem Pokal posierten, saß ihr Trainer Bennet Wiegert allein auf der Bank und genoss den Moment. Auch Wiegert war geschafft, vom Spiel, von der Saison, aber dennoch voller Stolz. „Was diese Mannschaft für eine Widerstandsfähigkeit hat ...“, sagte der Coach, er ließ das Ende des Satzes offen. Dieser Titel sei „Balsam auf unsere Seelen“.
Auch Wiegert erinnerte an die Rückschläge der vergangenen Monate: an die schweren Verletzungen von Spielern wie Kristjansson, Felix Claar oder Matthias Musche. An mindestens drei vergebene Titelchancen, im Supercup, bei der Klub-WM, schließlich in der Meisterschaft gegen die Füchse. Hinzu kam die extrem schwierige emotionale Lage nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt. „Es hätte eine toughe Saison werden können“, sagte Wiegert.
Magdeburg gelingt es im Finale, die Kreise von Mathias Gidsel zu stören
Doch jetzt, nach dem unerwartet deutlichen Sieg im Finale gegen die Füchse, fühle sich alles „fantastisch“ an. So schnell geht das manchmal. Im Endspiel war seinem Team sogar ein seltenes Kunststück gelungen: Magdeburg dämmte die Kreise des Welthandballers Mathias Gidsel so wirkungsvoll ein, dass dieser weniger als sonst zur Entfaltung kam. An der Aufgabe, den Dänen zu stoppen, waren zuvor etliche Klubs und Nationalmannschaften dieser Welt gescheitert. Magdeburg schaffte es diesmal, in einer Kombination aus rigoroser Unterbindung des Berliner Tempospiels, einer etwas offensiveren Deckung auf Gidsels Abwehrseite – und dem Umstand, dass ihm in letzter Konsequenz meist sein Landsmann Magnus Saugstrup auf den Füßen stand, der Gidsel bestens aus der Nationalmannschaft kennt. Nur sieben Treffer erzielte Gidsel, er kommt normalerweise locker auf zweistellige Werte. „Wir haben es als Mannschaft heute geschafft, alle zusammen“, sagte Saugstrup.
Ziemlich bald nach dem Spiel äußerte Wiegert einen Wunsch: dass seine Spieler jetzt endlich Zeit zur Regeneration erhalten. Olympia, Weltmeisterschaft, dazu eine volle Bundesligasaison, das ist ein kaum schaffbares Pensum in nicht einmal zwölf Monaten. Viele Ausfälle und Verletzungen rührten auch daher, dass die Spieler ohne Pause von Ereignis zu Ereignis hetzten. „Die Jungs müssen jetzt zur Ruhe kommen“, sagte Wiegert: „Raus aus dem Handball. Das haben sich alle verdient.“
Auch Wiegert will nun abschalten, nicht mehr an Handball denken, „endlich mal einen guten Schlaf haben“. Der Trainer weiß: In ein paar Wochen trifft man sich wieder zur Vorbereitung auf die neue Saison. Aber heftiger als die gerade beendete Spielzeit wird sie kaum werden.