Handball:"Gekämpft wie die Löwen"

Lesezeit: 3 min

Kieler Freude nach dem Finaleinzug. (Foto: Marius Becker/dpa)

In einem elektrisierenden Duell mit Veszprém erreicht der THW Kiel das Champions-League-Finale - und das mit nur neun Feldspielern. Zeit zum Regenerieren bleibt kaum.

Von Ulrich Hartmann, Köln

Filip Jícha hatte Mühe, seine Wörter zu sortieren. Sie überschlugen sich aus seinem Mund. Der tschechische Trainer des deutschen Meisters THW Kiel sollte auf Englisch erklären, wie es seiner von Ausfällen geplagten Mannschaft in Köln gelungen war, mit dem ungarischen Veszprém KC im Halbfinale der Champions League eines der besten Klubteams der Welt zu besiegen. 70 Minuten hatte das elektrisierende Spiel gedauert. Mal lag Kiel sieben Tore vorne, mal vier Tore hinten.

In der ersten Hälfte der Verlängerung sah Kreisläufer Patrick Wiencek nach einer fragwürdigen Schiedsrichterentscheidung Rot, Veszprém warf sich zwei Tore in Führung, doch am Ende gewann Kiel mit 36:35 und zog erstmals nach sechs Jahren ins Endspiel der Champions League ein, wo das Team an diesem Dienstagabend dem FC Barcelona (20.30 Uhr, Eurosport und Dazn) gegenübertritt. Das alles war zu viel für Jícha, um noch ruhig und sortiert zu sprechen. Eine treffende Metapher aber war gut zu verstehen: "Meine Spieler haben gekämpft wie Löwen."

Champions League
:THW Kiel gewinnt den Handball-Krimi

Die Kieler zittern bis zur letzten Sekunde, ziehen aber durch das 36:35 nach Verlängerung gegen Veszprém ins verspätete Champions-League-Finale ein. Dort wartet der nächste große Gegner.

Nicht wie sonst samstags/sonntags vor 18 000 Zuschauern in der riesigen Kölner Arena findet das Champions-League-Finalturnier in diesem Corona-Jahr statt, sondern montags/dienstags in der leeren, riesigen Kölner Arena. Auch nicht im Sommer ausgangs der Saison, sondern Ende Dezember, zu einem Zeitpunkt, zu dem die neue, nachfolgende Champions-League-Spielzeit längst in vollem Gange ist. So wird an diesem Dienstag also der Sieger der vergangenen Champions-League-Saison 2019/20 ermittelt, die wegen der Spielunterbrechung im Sommer bislang nicht beendet werden konnte.

Duvnjak hätte eigentlich noch geschont werden müssen

In der Gruppenphase der neuen Saison hatten die Kieler Anfang Dezember in Veszprém noch haushoch mit 33:41 verloren. Darüber hinaus fielen ihnen am Montagabend in Köln mit Nikola Bilyk ein verletzter sowie mit Pavel Horák und Magnus Landin zwei an Corona erkrankte Spieler aus. Das waren denkbar schlechte Voraussetzungen, um den personell nicht nur glänzend, sondern auch umfänglich besetzten ungarischen Rekordmeister zu besiegen.

"Man bräuchte eigentlich 16 qualitative Spieler, um diese beiden Tage zu bestehen", hatte Jícha vor dem Halbfinale gesagt. Im Halbfinale selbst musste er dann mit einem Torwart (Niklas Landin) und neun Feldspielern auskommen. Rune Dahmke spielte auf links ebenso durch wie Niklas Ekberg auf rechts. Weil Domagoj Duvnjak nach einer Corona-Erkrankung noch nicht wieder im Vollbesitz seiner Kräfte war, spielte Miha Zarabec als Mittelmann im Rückraum weitgehend durch.

Duvnjak, der eigentlich noch geschont gehört hätte, musste in der zweiten Halbzeit bei jedem Veszprémer Angriff in der Kieler Verteidigung aushelfen, weil Sander Sagosen kurz vor der Pause bereits die zweite Zeitstrafe erhalten hatte und nichts mehr riskieren durfte. Er konnte in der Deckung nicht mehr eingesetzt werden.

Finalgegner Barcelona hat 22 Champions-League-Spiele in Serie gewonnen

In einer Saison, in der nichts normal ist und die Spieler über mentale wie körperliche Überbelastung derart klagen, dass die Kieler Nationalspieler Steffen Weinhold, Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek von sich aus die Weltmeisterschaft im Januar in Ägypten abgesagt haben, musste der THW Kiel also de facto zu zehnt in 70 kraftraubenden Minuten den energiegeladenen Favoriten Veszprém niederringen - und muss nun nur 24 Stunden später mindestens dieselbe selbstlose Leidenschaft noch einmal aufbringen, um den seit 22 Champions-League-Spielen in Serie siegreichen FC Barcelona zu bewältigen. Wie soll das gehen?

"Zunächst mit gutem Schlaf und einem leichten Frühstück", sagte Trainer Jícha Montagnacht und wollte damit nicht mal einen Witz machen. Sein neuer Rückraumstar Sagosen erklärte, warum man auf körperliche und geistige Grenzen am Dienstagabend keine Rücksicht nehmen könne: "Weil es das Endspiel der Champions League ist."

Bundestrainer Alfreð Gíslason dürfte das Kieler Halbfinale am Montagabend mit Tränen in den Augen daheim angesehen haben, nicht nur aus Wehmut, weil er viele Jahre lang THW-Trainer war und weiter mit diesem Klub fiebert, sondern weil die drei WM-Absager Weinhold, Pekeler und Wiencek einen fabelhaften mittleren Deckungsblock stellten und ihm eindrücklich zeigten, was ihm bei der WM im Januar fehlen wird. Darüber hinaus war Pekeler als Kreisläufer mit acht Treffern auch noch Kiels erfolgreichster Torschütze. So war Kiels Triumph ebenso ein Signal für die Stärke des deutschen Handballs wie ein Zeichen für seine Anfälligkeit. Denn Gíslason wird die drei Kieler in Ägypten nicht gleichwertig ersetzen können.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

MeinungHandball-WM
:Die Bedenken sind absolut zulässig

Sogar die Fernsehsender verzichten auf Vor-Ort-Berichterstattung bei der Handball-WM. Wie riskant die Situation weiterhin ist, zeigt ein Infektionsausbruch beim Bundesligisten Melsungen.

Von Carsten Scheele

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: