Champions League im HandballWer noch laufen kann, gewinnt

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Magdeburgs Schmerzensmann: Der Isländer Gisli Kristjansson hat sich pünktlich zum Final Four in Köln wieder verletzt.
Magdeburgs Schmerzensmann: Der Isländer Gisli Kristjansson hat sich pünktlich zum Final Four in Köln wieder verletzt. (Foto: Tamas Vasvari/MTI/dpa)

Gibt es in der Handball-Champions-League ein deutsches Endspiel? Mit letzter Kraft schleppt sich der SC Magdeburg zum Final Four nach Köln – und hofft auf die wundersame Genesung seines Schmerzensmannes.

Von Carsten Scheele

Was ein Handballerkörper aushalten kann, ist eine wissenschaftlich nicht endgültig ausdiskutierte Frage. Ein besserer Proband als der Magdeburger Gisli Thorgeir Kristjansson lässt sich jedoch kaum finden. Mit den Aufzeichnungen der Verletzungen des Isländers, die er sich seit seinem Wechsel in die Bundesliga im Jahr 2018 zugezogen hat, ließen sich dicke medizinische Bücher füllen. Allein fünf schwere Schulterschäden zählen die Chronisten, zwei rechts und drei links. Die aufsehenerregendste Verletzung ereignete sich im Juni 2023.

Damals hat sich Kristjansson im Champions-League-Halbfinale gegen den FC Barcelona die Schulter auskugelt. Normalerweise bedeutet dies das sofortige Ende der sportlichen Aktivitäten, doch Kristjansson ließ das Gelenk einrenken und spielte tags darauf das Finale, warf sogar sechs Tore. Der Preis dafür: ein halbes Jahr Spielpause für den Schmerzensmann. Aber eben als Champions-League-Sieger.

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Zwei Jahre später tritt der SC Magdeburg erneut im Final-Four-Turnier der Handball-Königsklasse an, am Samstag und Sonntag in der großen Lanxess-Arena in Köln. Und auch diesmal hat es Kristjansson, 25, heftig erwischt. Der Isländer hat sich verletzt, natürlich: an der Schulter. Es waren unschöne Bilder, wie Kristjansson in voller Fahrt auf die Lemgoer Abwehr zupreschte, im Flug mit hocherhobenem Wurfarm einen Stoß abbekam. Den Aufprall mit seiner linken Schulter auf dem Boden konnte er nicht mehr abfangen, Kristjansson krümmte sich und sah seine Final-Four-Teilnahme in weite Ferne rücken. Kein einziges Training hat er seitdem absolviert.

Doch Kristjansson ist eben kein normaler Handballer, das wissen die Magdeburger und hoffen, dass der Isländer auf wundersame Weise doch noch genesen wird. Die Bänder sind gedehnt, um eine Operation kommt er herum, das ist schon mal gut. „Es gibt die Chance, dass er im Kader steht“, sagte Trainer Bennet Wiegert am Freitag. Da klang er schon zuversichtlicher als unter der Woche, als er ein Mitwirken seines Rückraumspielers mehr oder weniger ausgeschlossen hatte. Ein Fragezeichen bleibe natürlich: „Gisli hatte kein Training, das macht es schwierig. Er braucht Zeit.“ Wiegert stellte klar, dass er einzig dem Urteil seines Spielers vertrauen werde: „Wenn Gisli mir das Zeichen gibt, dass er spielen kann, dann spielt er.“

Mit den Füchsen Berlin und dem SC Magdeburg stehen gleich zwei deutsche Klubs im Final Four

Während die Spieler anderer Klubs schon im Urlaub sind, steht also noch ein Saisonhöhepunkt an. In Köln vor nahezu 20 000 Zuschauern herrscht immer eine besondere Atmosphäre. Zwei deutsche Vereine sind am Final Four direkt beteiligt, am Samstag findet das Halbfinale des SC Magdeburg gegen den FC Barcelona (18 Uhr) statt, zuvor treffen die Füchse Berlin auf den französischen Klub HBC Nantes (15 Uhr). Die beiden Sieger ziehen ins Finale (Sonntag, 18 Uhr) ein, auch ein rein deutsches Endspiel ist möglich.

Wer der Favorit ist? Schwer zu sagen. Barcelona ist Titelverteidiger und Rekordsieger, die Füchse sind frisch gekürter deutscher Meister in der stärksten Liga der Welt, sie treten allerdings erstmals beim Final Four in Köln an. Magdeburg dagegen heimste den Titel bereits vor zwei Jahren ein. Nantes gilt als Außenseiter. Vermutlich gewinnt am Ende das Team, in dem die meisten Spieler noch kraftvoll geradeaus laufen können. Es ist das Ende einer Mammutsaison. Auf 70 bis 80 Saisonspiele kommen die Topprofis der Spitzenteams seit September, inklusive einer Handball-Weltmeisterschaft, kaum einer kam unverletzt durch.

Für die Magdeburger verlief die Saison sogar noch eine Spur härter. Da waren nicht nur die vielen Spiele und schweren Verletzungen, neben Kristjansson (Fuß und Schulter) erwischte es auch Felix Claar und Matthias Musche (beide Achillessehne). Sondern auch das Attentat auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20. Dezember, bei dem sechs Menschen getötet wurden. Die Ereignisse ließen das Leben in der Stadt aus den Fugen kippen, an Handballspielen war nicht zu denken. Als „extrem tough“ beschreibt Wiegert diese Zeit. „Was äußerlich auf uns eingeprasselt ist, muss man erst einmal so wegstecken“, sagte auch Linksaußen Lukas Mertens im MDR. Das Attentat hat „etwas mit uns gemacht, das bleibt auch in den Köpfen“.

In diesem Lichte besehen, ist die Qualifikation für das Final Four sowie Tabellenplatz zwei in der Liga (vor Mannschaften wie dem THW Kiel oder der SG Flensburg-Handewitt) aller Ehren wert. Dass ausgerechnet die Füchse Berlin in Köln das Doppel aus nationalem Titel und Champions-League-Trophäe einheimsen, wollen die Magdeburger dann aber doch verhindern. „Unsere Motivation, diesen Titel noch einmal zu gewinnen, ist sehr, sehr groß“, sagte Rückraumspieler Philipp Weber: „Wir haben ein Wochenende vor uns, an dem wir vieles wettmachen können.“

Meisterschaft an die Füchse, Champions-League-Titel für den SCM – mit dieser Aufteilung könnten die Magdeburger gut leben. Die Chancen würden sprungartig steigen, wenn Gisli Kristjansson die Gesetze der Medizin noch ein weiteres Mal austrickst.

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