Süddeutsche Zeitung

Handball nach dem Corona-Jahr:"Wir müssen um jeden Zuschauer kämpfen"

Die Handball-Bundesliga läuft wieder - doch die Fans bleiben oft zu Hause. Die Vereine ringen mit dem besten Konzept: Soll in den Hallen nun 2G oder 3G gelten?

Von Carsten Scheele und Ralf Tögel

Beim THW Kiel müssen sie sich kaum Sorgen machen. Die Halle wird voll werden am Sonntag gegen die SG Flensburg-Handewitt, so voll, wie es dieser Tage eben geht. 9000 Zuschauer waren zum Saisonauftakt gegen HBW Balingen-Weilstetten in einem Modellprojekt zugelassen, 9000 sind offiziell gekommen. Eine fast volle Arena, das wird gegen den alten Rivalen und härtesten Konkurrenten Flensburg kaum anders werden. Gemäß der 2G-Regel werden alle Zuschauer gegen das Coronavirus geimpft oder von ihm genesen sein. 9000 Zuschauer entledigen den Rekordmeister nicht aller wirtschaftlichen Sorgen, die die Pandemie mit sich gebracht hat. Sie sind aber ein guter Anfang.

Knapp 90 Kilometer weiter, beim kommenden Gegner Flensburg, ist die Lage etwas anders. Dort waren im ersten Heimspiel vor Wochenfrist 4600 Zuschauer zugelassen - gekommen sind nach der 2G-Regel aber nur 2750. Ein eher enttäuschender Schnitt, sagt SG-Geschäftsführer Dierk Schmäschke, schließlich steht die Handball-Begeisterung in Flensburg jener aus Kiel normalerweise in nichts nach. "Wir haben auf mehr Zuschauer gehofft", sagt Schmäschke: "Die Leute warten ab, ihnen fehlt das Gefühl für die Normalität. Wir brauchen Geduld."

In Flensburg haben sie trotzdem reagiert, sie haben bereits zum Champions-League-Auftakt am Donnerstag gegen den FC Barcelona (Flensburg verlor 21:25) von 2G auf 3G umgestellt, neben Geimpften und Genesenen durften auch negativ Getestete in die Halle, so wie es in Schleswig-Holstein bald landesweit möglich wird. Andere Klubs gehen denselben Weg, Schmäschke ist zuversichtlich: "Wenn wir es konsequent machen, ist 3G auch ein gutes Konzept." Die Hoffnung ist, dass so der ein oder andere Zuschauer mehr in die Halle kommt.

In Bayern dürfen die Zuschauer nur mit Maske am Platz sitzen - in anderen Bundesländern ohne

Das Problem zieht sich durch die Liga: Die Zuschauer sind vorsichtig und bleiben weg. Kaum ein Verein bekommt derzeit so viele Fans in die Halle, wie erlaubt wären. Beim Aufsteiger HSV Hamburg - hier kamen zum ersten Bundesligaspiel seit fünf Jahren 2821 Zuschauer - wollen sie deshalb den umgekehrten Weg gehen und von der 3G-Regel auf 2G umstellen. Der Grund: Wird die 2G-Regel angewendet, dürfen 5000 Zuschauer in die Halle, so hat es die Stadt Hamburg verfügt, bei 3G nur 3000, wegen der größeren Unsicherheit bei Menschen, die lediglich einen negativen Covid-19-Test vorweisen können. Man sei aus "rein wirtschaftlichen Gründen" gezwungen, diesen Schritt zu gehen, erklärt Vereinspräsident Marc Evermann. Die 3G-Heimspiele seien "mit all ihren Beschränkungen wirtschaftlich nicht darstellbar".

Andere trifft es noch schlimmer. In Nettelstedt-Lübbecke kamen zum ersten Heimspiel nur 703 Zuschauer, in Minden 1380. Einige Vereine erreichen immerhin knapp die Hälfte ihrer erlaubten Kapazitäten, in Bayern etwa trägt der HC Erlangen seine Heimspiele in der Nürnberger Arena aus, dort passen 7850 Zuschauer in die Halle, 6500 wäre zugelassen, gegen Leipzig kamen 3067. Der erhoffte Strom der handballentwöhnten Fans blieb auch hier aus. "Einfach die Halle aufschließen und alles ist voll, das funktioniert nicht", sagt Geschäftsführer René Selke: "Das ist kein Selbstläufer, wir müssen um jeden Zuschauer kämpfen."

Besonders in Sachen Hygiene müsse man Vertrauen aufbauen, erklärt Selke und beklagt zudem, dass ligaweit unterschiedliche Standards gelten. In manchen Bundesländern dürfe man ohne Maske auf dem Platz sitzen, nicht in Bayern: "In der Gastronomie geht das auch und dort ist die Belüftung viel schlechter, als bei unseren hoch effizienten Belüftungssystemen. Das entbehrt jeder Logik." Eine Umstellung auf 2G mache in Erlangen dagegen wenig Sinn, unter den Zuschauern seien nur "sehr, sehr wenige, die sich testen ließen. Wir hatten faktisch eine 2G-Regel."

Auch in den unterklassigen Ligen ächzen die Vereine. In der zweiten Liga etwa kam es zu einem bayerischen Derby, das normalerweise eine hohe Anziehungskraft genießt: Absteiger HSC 2000 Coburg gegen den TV Großwallstadt. Statt der erlaubten 3500 Fans wollten diesmal nur 1043 Zuschauer das Spiel in der Halle verfolgen.

Ligachef Bohmann hofft bald auf "volle Hallen bei maximalen Kapazitäten"

Auch Frank Bohmann, dem Chef der Handball-Bundesliga, machen diese Zahlen Sorgen - doch auch er hofft, dass die Hallen bald voller werden. Rief er zu Saisonbeginn "noch mal ein Krisenjahr" aus, äußerte er sich zuletzt optimistischer. "Das Fan-Erlebnis ist einfach nicht das gleiche wie vor der Pandemie", sagte Bohmann dem Sport-Informationsdienst. Er sei aber überzeugt, "dass wir noch in diesem Jahr volle Hallen bei maximalen Kapazitäten sehen werden".

Doch zurück nach Kiel, zum Nordderby, hier geht es auch sportlich um was. Der THW ist mit 4:0 Punkten optimal in die Saison gestartet, Flensburg hat schon einen Zähler liegenlassen und obendrein mit heftigen Verletzungssorgen zu kämpfen. Ob er lieber später gegen Kiel spielen würde, wenn die Verletzten zurück sind und die Zuschauer mehr Vertrauen in den Hallensport geschöpft haben? Flensburgs Geschäftsführer Schmäschke wiegelt ab: "Flensburg gegen Kiel ist das spannendste Derby in Europa. Dafür gibt es nicht den falschen Zeitpunkt."

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