Handball-Bundesliga:Wie angeschossene Bären

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Petar Nenadic scheitert an der konsequenten Defensivarbeit der Kieler René Toft Hansen und Steffen Weinhold. Mit der Niederlage verlieren die Füchse ihre Tabellenführung.

(Foto: Contrast/Imago)

18:26 gegen Kiel - mitten in der Diskussion um einen Verzicht auf Nationalteam-Einsätze zur Entlastung der Spieler wird bei der Niederlage der Berliner Füchse klar: Die Handballer sind schon früh in der Saison müde.

Von Max Bosse, Berlin

Kann Egoismus die Handballbundesliga retten? So lange Bob Hanning das Sagen hat, und das hat er auf vielen maßgebenden Positionen gerne, ist das ausgeschlossen. "Weder Vereine noch Spieler dürfen Egoismen an den Tag legen", stellte er klar. Er war in diesem Moment mal wieder als Mittler gefordert. Schließlich ist er der Geschäftsführer von Bundesligist Füchse Berlin und der Vizepräsident des Deutschen Handball-Bundes (DHB), dort verantwortlich für den Bereich Leistungssport und damit für die Nationalmannschaft. Somit war er doppelt betroffen von der Forderung seines Kollegen Thorsten Storm. Der Geschäftsführer des THW Kiel hatte just vor dem Topspiel zwischen den bis dahin unbesiegten Füchsen und Rekordmeister Kiel mit dem Ruf nach mehr Egoismus für Aufsehen gesorgt: In Zeiten der dauerhaften Überbelastung sollten Spieler an ihren arbeitgebenden Verein denken und zur Schonung mal auf die Nationalmannschaft verzichten. Sonst würde die Bundesliga riskieren, ihren Status als stärkste Liga der Welt zu verlieren. Der Verletzungen wegen.

Es war der neueste Appell gewesen in einem seit Jahren schwelenden Streit. Bis zu 90 Pflichtspiele absolvieren die besten Handballer pro Jahr, der Verzicht auf Länderspiele ist für Storm da die ultima ratio. Hanning braucht als DHB-Vizepräsident das Nationalteam hingegen als Euphoriekatalysator, er will den Handball in Deutschland als Nummer eins hinter Fußball etablieren. Wenn die Besten selbst entscheiden und fernbleiben, verliert die Bundesauswahl ihre Schubkraft. "Mal ja, mal nein, das wird es in meiner Dienstzeit nicht geben", sagte Hanning.

Trotz der hohen Niederlage wähnen sich die Berliner in Schlagdistanz zum THW Kiel

Dabei hatten ausgerechnet seine Berliner Nationalspieler zuvor bei der Niederlage gegen Kiel einen ziemlich müden Auftritt hingelegt. Rückraumspieler Paul Drux war ein ums andere Mal geblockt worden, Torwart Silvio Heinevetter hatte sich phasenweise wie ein angeschossener Bär durch den Torraum geschleppt und Linkshänder Fabian Wiede hatte die Platte wegen einer Verletzung erst gar nicht betreten, an einem Abend, der die Füchse einen weiteren Schritt näher an die Spitze des deutschen Handballs hätte bringen sollen. Denn Hanning hat ja noch ein Ziel: Die Füchse zur Nummer eins zu machen - hinter niemandem. Und trotz des deutlichen 18:26 gegen Kiel fand er: "Wir sind nicht mehr so weit weg." Elf Jahre nach der Fast-Insolvenz und neun Jahre nach der Rückkehr in die Bundesliga wähnen sich die Berliner in Schlagdistanz zum THW Kiel.

Acht Tore Unterschied wie am Mittwochabend in der Max-Schmeling-Halle sind eigentlich ein ziemlich eindeutiges Signal dafür, dass sich am Kräfteverhältnis nichts geändert hat. Seit dem Aufstieg im Jahr 2007 gelang nur ein Sieg gegen Kiel. "Generell sind wir eine Mannschaft, die dieses Jahr mit dem THW mithalten kann", sagte dennoch der nur einmal erfolgreiche Paul Drux. Und die Berliner mussten gar keine Ausreden für den Umstand finden, dass es an diesem Abend so gar nicht danach ausgesehen hatte. Das übernahm der Trainer des Gegners. "Es ist ein sehr großer Verlust für die Füchse, ohne Wiede gegen uns zu spielen und fast nur mit Rechtshändern", sagte Alfred Gislason. "Zudem hatten wir auch unseren einzigen Punktverlust, als wir nur einen Tag Pause hatten. Ich verstehe das." Die Berliner hatten erst am Montag in Hannover gespielt.

Reiche Klubs wie Kiel könnten sich größere Kader leisten und die Besten schonen, sagt Hanning

In der Tat ist der Kader der Füchse ausgeglichener besetzt als vorige Saison (Rang fünf), der Titel als Klubweltmeister wurde zu Saisonbeginn mit einem Sieg gegen Paris Saint-Germain verteidigt und die Jugendarbeit funktioniert, wie Drux und Wiede beweisen. Den jüngsten Beleg lieferte der 21-Jährige Christoph Reißky, der für den verletzten Kent Robin Tönnesen einsprang und gegen Hannover gleich beim zweiten Einsatz die entscheidenden Tore erzielte. "In ein paar Jahren werden wir Kiel abgehängt haben als Handballhauptstadt Nummer eins", hatte der Geschäftsführer der Berliner Industrie- und Handelskammer bei der Saisoneröffnungsfeier in seiner Funktion als Vereinsbeirat der Füchse angekündigt.

Wie groß die Angst der Kieler ist, ihre Vormachtstellung zu verlieren, war am konzentrierten Auftreten in Berlin zu sehen. Bis auf eine kurze Phase, in der die Gastgeber nach frühem Vier-Tore-Rückstand auf 5:6 herankamen, dominierten sie die Partie in der fremden und mit fast 8800 Fans ausverkauften Halle. Zum anderen war die Angst eben aus der Egoismusdebatte abzuleiten, die Manager Storm vor dem Spiel angestoßen hatte. In der vergangenen Saison war sein Team nur Dritter geworden, auch weil viele Verletzte zu beklagen waren. Hanning schlug nun eine andere Lösung des Problems vor: Ja, sagte er, Champions-League-Teilnehmer wie Kiel litten unter Überbelastung. Aber sie könnten sich dank der Mehreinnahmen auch größere Kader leisten und die Besten in wenig fordernder Bundesligapartie schonen.

Dann verabschiedete er sich zu den Sponsoren in den VIP-Bereich und sagte noch: "Ich muss jetzt Geld verdienen gehen". Zum Wohle des Handballs. Insbesondere am Standort Berlin.

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