Süddeutsche Zeitung

Handball-Bundesliga:Raus aus der Steinzeit

Der HC Erlangen feiert mit dem 19:15-Sieg gegen Leipzig einen Saisoneinstand nach Maß, aber vor allem im Angriff bleibt viel Luft nach oben.

Von Ralf Tögel

Will man dieses Spiel positiv erzählen, muss man von hinten anfangen. Aus Sicht der Abwehr. André Haber teilte seinen Spielern in einer Auszeit mit, dass sie in der Defensive "nichts falsch machen". 16 Minuten waren da gespielt, und der Trainer des Sportclubs Deutsche Hochschule für Körperkultur aus Leipzig, kurz SC DHfK, hatte zweifellos recht, doch im Angriff wusste seine Mannschaft dafür nur recht wenig richtig zu machen. Drei Tore hatte Leipzig bis dahin erzielt, ein Wert, der so selten ist wie zehn Tage Sonnenschein nacheinander in diesem Sommer. Glücklicherweise - aus Sicht der Leipziger - wussten die Gastgeber vom HC Erlangen ebenfalls nur in der Abwehrarbeit zu überzeugen, zu diesem Zeitpunkt standen für sie fünf Tore zu Buche. Es war ein Spiel, in dem sich der geneigte Handball-Beobachter an die Siebzigerjahre erinnert fühlte, als Ergebnisse im niedrigen zweistelligen Bereich üblich waren. Zur Halbzeit stand es 8:8.

Im modernen Hallenhandball sind spätestens seit Einführung des Zeitspiels im Angriff Ergebnisse jenseits der 30 Tore an der Tagesordnung. Folglich gab es beim Saisondebüt der Erlanger gegen Leipzig ein Ergebnis aus der Steinzeit des Handballs: Erlangen gewann verdient mit 19:15 Toren und ist damit erfolgreich in die Saison gestartet.

Die zweite gute Nachricht aus Sicht der Mittelfranken: 3067 Zuschauer waren in der Nürnberger Arena, die nicht nur nach Ansicht von Kreisläufer Sebastian Firnhaber eine tolle Atmosphäre in das Rund zauberten. "Sie haben uns gepusht", sprach er breit grinsend in das Mikrofon des Sky-Reporters. Letztlich war es gerade den Protagonisten einerlei, ob dieser Sieg nun sonderlich ansehnlich geriet. Das Wichtigste an diesem Abend waren die beiden Punkte und das Signal, das die Mannschaft von HCE-Trainer Michael Haaß an die Konkurrenz schickte. Leipzig war Sechster der Vorsaison, das war jener Tabellenbereich, den sich der Vorjahres-13. aus Erlangen in dieser Spielzeit wünschen würde. Es war die große Frage vor dieser Spielzeit, ob die weiter verstärkte Erlanger Mannschaft diesen Erwartungen gerecht werden wird. Erwartungen, die freilich vornehmlich aus dem Umfeld kommen, von verantwortlicher Vereinsseite gibt man sich betont unaufgeregt, wie der Vorstandsvorsitzende Carsten Bissel kürzlich klarstellte. Allein aber die Namen der Spieler, die sich da auf dem Spielfeld tummelten, sind schon für gestiegene Ansprüche gut.

Rückkehrer Christoph Steinert führt mit sechs Toren und zwei Cuts im Gesicht gleich zwei Statistiken an

Der Champions-League-erfahrene Slowene Patrik Leban etwa, der noch ein paar Anpassungsschwierigkeiten offenbarte. Oder Steffen Fäth, Sebastian Firnhaber, Antonio Metzner, die Schweden Simon Jeppsson und Hampus Olsson sowie der Norweger Petter Overby, allesamt Akteure, die zu ihren aktuellen Nationalteams oder deren erweiterten Kreisen zählen. Das gilt natürlich auch für Torhüter Klemen Ferlin, Fixpunkt der slowenischen Auswahl, der an diesem Abend im Gegensatz zum Gros der Kollegen eine überragende Leistung zeigte, sich schnell mit seinen Paraden in den Köpfen der Leipziger Werfer festgesetzt hatte und drei von vier Siebenmetern hielt. Neben Rückkehrer Christoph Steinert, der mit sechs Treffern und zwei Cuts am Kinn gleich zwei Statistiken anführte, waren es die gesetzten Kräfte beim HCE, die das Spiel entschieden. Jeppsson erzielte wichtige Tore aus dem Rückraum, Olsson vom rechten Flügel und Christopher Bissel, wie Olsson dreimal erfolgreich, traf als einziger Erlanger fehlerfrei.

Das darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Partie von irrwitzig vielen Fehlern geprägt war, dass sich die Kontrahenten im Auslassen von hundertprozentigen Torchancen und technischen Fehlern einen regelrechten Wettbewerb lieferten. In der zweiten Halbzeit dauerte es fast zehn Minuten, bis der erste Treffer fiel, was man wohlwollend mit den starken Torhüterleistungen erklären konnte, denn auch Leipzigs Schlussmann Joel Birlehm zeigte eine herausragende Leistung. Erlangens gezeichneter Top-Torschütze Steinert erklärte die Defizite mit einer "Extraportion Nervosität" zum Saisonstart, wollte dies aber keinesfalls als Entschuldigung gelten lassen: "Wir trainieren zehnmal pro Woche und werfen tausend Pässe, das darf nicht passieren."

Unter dem Strich blieben der gelungene Saisoneinstand und die Erkenntnis, dass sich der HCE trotz Ladehemmung im Angriff zu einem Sieg gegen einen hoch eingeschätzten Kontrahenten kämpfen kann, wie Trainer Haaß festhielt: "Die tolle Atmosphäre mit den vielen Zuschauern hat uns heute zum Sieg getragen. Wir sind unglaublich froh darüber, heute die beiden Punkte hierzubehalten." Grundlage sei die starke Defensive mit dem überragenden Ferlin gewesen. Haaß erkannte aber auch, dass "wir im Angriff noch Potenzial nach oben haben. Uns ist bewusst, dass wir das besser können, und wir werden das auch zeigen." Das Fazit des Kollegen André Haber fiel erwartungsgemäß härter aus: "Das war schwach von beiden Mannschaften, von uns schwächer, deshalb haben wir verloren. Ich kann mich bei unseren Fans nur entschuldigen."

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