Süddeutsche Zeitung

Handball in Hamburg:Erst mal ein kleiner Fisch

2013 Champions-League-Sieger, 2016 Zwangsabstieg: Fünf Jahre nach dem beispiellosen Absturz spielen Hamburgs Handballer wieder in der Bundesliga - mit sehr prominenten Gesichtern.

Von Saskia Aleythe

Torsten Jansen will nicht in Erinnerungen schwelgen, obwohl es da einiges gäbe, um nostalgisch zu werden. Zwölf Jahre trug er als Handballer selbst ein Hamburg-Trikot, er gewann darin alles, was es zu gewinnen gab. Doch jetzt ist er Trainer beim HSV und will lieber wissen, wie seine Mannschaft in der ersten Bundesliga zurechtkommt. "Jetzt wird es Zeit für den Wettkampf", sagt Jansen, am Mittwoch spielt der HSV Handball zum Saisonstart gegen Göppingen. HSV, Handball, Bundesliga?

Der spannendste Klub der neuen Handball-Saison spielt nicht um die Meisterschaft mit, sondern gegen den Abstieg. Letzteres sagen sie selbst so in Hamburg, Demut soll ihre Rückkehr begleiten. Und wenig noch an jenen Verein erinnern, der mit immensen Gehältern einst die besten Spieler holte und die Kräfteverhältnisse in der Liga veränderte. Und dann 2015 einfach pleite war.

2011 feierten sie auf dem Rathausbalkon vor 10 000 Fans die Meisterschaft, mit Spielern wie Jansen, Johannes Bitter, Stefan Schröder und Blazenko Lackovic und dem Trainer Martin Schwalb. 2013 die gleiche Sause nach dem Gewinn der Champions League - ehe der HSV Handball zwei Jahre später in sich zusammenkrachte. Es war eine Insolvenz mit Ansage: 50 Millionen Euro soll der Unternehmer Andreas Rudolph in den Verein gepumpt haben, an seinen Zuwendungen hing das gesamte Konstrukt. Vernünftiges Wirtschaften wird zur Nebensache, wenn einer alles zahlt. Bis er es nicht mehr tut.

Als Trainer erlitt Martin Schwalb in Hamburg einen Herzinfarkt - heute ist er Vizepräsident

Anfang 2016, mitten in der Saison, wurde der Zwangsabstieg in die vierte Liga verhängt. Jansen war da schon zum THW Kiel weitergezogen, der Zoff mit Rudolph längst eskaliert, der Insolvenzantrag für die GmbH Ende 2015 gestellt. "Es war natürlich nicht schön, weil ich die meisten Jungs noch kannte", sagt Jansen heute, der Verein sei ihm damals "auch ans Herz gewachsen". Es gab damals freilich auch einige, die sahen, dass in diesem Untergang eine Chance lag, diesmal etwas Gesundes auf die Beine zu stellen. Martin Schwalb, der als Trainer ab 2005 die größten Erfolge gestaltet hatte, erlitt 2014 nach seiner Entlassung beim HSV einen Herzinfarkt, doch der Verein ließ ihn trotzdem nicht los. So geht es vielen, bis heute. Jansen kam 2016 zurück und startete seine Trainerkarriere, seit 2017 ist er hauptverantwortlicher Coach. An seiner Seite: Blazenko Lackovic. Schwalb ist heute Vizepräsident.

"Jeder hat gemerkt, wie handballverrückt dieses Publikum hier ist", sagt Geschäftsführer Sebastian Frecke, "das hat viele motiviert, die Sache wieder anzufassen." Er ist 2014 nach Hamburg gekommen, arbeitete im alten HSV im Vertrieb, dann ging es rasant nach oben. Das Publikum haben sie geerbt, aber bei den Unternehmern in Hamburg galt es, Vertrauen zurückzugewinnen. Mit fünf Sponsoren starteten sie mit der früheren zweiten Mannschaft in der vierten Liga neu und meisterten gleich den Aufstieg. Auch, weil sich der ehemalige Nationalspieler Stefan Schröder in der Insolvenz keinen neuen Klub suchte, sondern unten weiterspielte. Weihnachten 2016 saßen 8555 Zuschauer in der Halle. Diese Zahl hat sich Frecke gemerkt, 8555 bei einem Drittliga-Handballspiel: "Das war für uns spätestens der Fingerzeig, dass der Handball in Hamburg akzeptiert ist und funktionieren kann."

Vererbt wurde aber nicht nur die Begeisterung, sondern auch viele Schulden. "Alleine wären wir damit nicht zurechtgekommen", sagt Frecke, noch jahrelang meldeten sich frühere Geschäftspartner und forderten Geld ein. Geholfen hat dem Verein die Sportstiftung von Alexander Otto, jüngster Sohn des Versandhaus-Unternehmers Werner Otto. "Ohne ihn wäre das Thema Handball in Hamburg tatsächlich vorbei gewesen", sagt Frecke, nach den finanziellen Starthilfen bauten sie ein Netzwerk an kleineren Unterstützern auf. Der 35-Jährige hatte ja gesehen, wie das alte Modell implodiert war, nun stellte er bald fest: "Die Leute in Hamburg wollen lieber über kleine Summen eine breite Basis darstellen und unterstützen." Das war aufwendiger, spendete aber auch größere Sicherheit: Wenn einzelne Sponsoren wegbrechen, sind andere noch da. Über 100 sind es heute.

Natürlich angelt man beim HSVH gerne auch die dicken Fische: Vor ein paar Wochen wurde Hapag Lloyd als Hauptsponsor präsentiert; geschätzte 400 000 Euro soll die Partnerschaft pro Jahr bringen. Mit einem Saisonetat von etwa vier Millionen Euro bewegt man sich im Liga-Vergleich trotzdem im unteren Bereich. Was nicht bedeutet, dass Hamburg mit einer gänzlich unerfahrenen Truppe an den Start geht: Die besondere Vergangenheit hat so einige zurück an die Elbe gespült, die unter normalen Umständen eher nicht zu einem Aufsteiger wechseln würden.

Johannes Bitter und Casper Mortensen sind die bekanntesten Namen beim neuen HSV

Johannes Bitter, der vor sechs Wochen noch im Tor der deutschen Handballer bei Olympia in Tokio stand, unterschrieb schon vor dem Aufstieg bei den Hamburgern. Als im Februar Bitters Umzug vom TVB Stuttgart zu den Hamburgern feststand, fielen nach und nach weitere Dominosteine. Manuel Späth zog nach, mit dem Bitter einst in Stuttgart zusammenspielte; vom FC Barcelona kam Dänemarks Weltmeister Casper Mortensen, der 2015 schon mal in Hamburg war - und zuletzt Champions-League-Sieger wurde. Sechs Neue sind insgesamt dazugestoßen, wobei Jansen darauf achten will, den Nachwuchs nicht zu vernachlässigen.

Spieler wie Leif Tissier, Jan Kleineidam und Dominik Axmann hat Jansen seit seinen ersten Trainermonaten bei der A-Jugend angeleitet und nun in die Bundesliga geführt. Der 21-jährige Tissier ist auch anderen Klubs aufgefallen. Stefan Kretzschmar, Sportvorstand bei den Füchsen Berlin, bezeichnete ihn in der Hamburger Morgenpost als einen, auf den auch der Nationaltrainer ein Auge werfen könne. Überhaupt sei der HSVH "eine Bereicherung für die Liga. Das sage ich auch als Konkurrent - und diese Meinung habe ich sicher nicht exklusiv."

Mit Kretzschmar hat Torsten Jansen früher noch zusammen in der Nationalmannschaft gespielt, jetzt stehen in den kommenden Monaten so einige besondere Wiedersehen an. Aber Nostalgie ist ja nicht die Sache des 44-Jährigen. "Ewig in der Vergangenheit zu hängen, ist keine gute Herangehensweise, um die Gegenwart und die Zukunft zu gestalten", sagt er. Im Hamburger Handball soll ein neues Zeitalter anbrechen.

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