Müsste man die Defizite der Erlanger Erstliga-Handballer beschreiben, die das Team in dieser Saison so arg in die Bredouille bringen, könnte man dies beispielhaft mit einem Video der ersten Halbzeit der Partie beim VfL Potsdam tun: Die aufmerksame und zupackende Abwehr mit dem sicheren Dario Quenstedt im Tor stellt den Gegner vor große Probleme, das Positionsspiel im Angriff läuft flüssig, inklusive sicherer Abschlüsse. Folgerichtig ziehen die Erlanger fast mühelos auf 8:3 davon, sind das klar bessere Team.
Doch anstatt aus dem überlegenen Auftritt Sicherheit zu ziehen, mehren sich die Unzulänglichkeiten: technische Fehler, Quenstedt greift daneben und dann überbieten sich die Angreifer gegenseitig im Auslassen hochprozentiger Torchancen. Wie ein Virus verbreitet sich die eklatante Abschlussschwäche von Spieler zu Spieler: Hampus Olsson verballert zweimal völlig frei von Außen, Christopher Bissel scheitert beim Konter, Milos Kos hämmert frei aus dem Rückraum übers Tor – hier ein Fehlpass, dort ein Stürmerfoul und Potsdam ist beim 10:12-Halbzeitstand zurück im Spiel.
Dass dieses „Do-or-die-Spiel“, wie es Abwehrchef Nikolai Link im Vorfeld genannt hatte, doch noch ein versöhnliches Ende fand, lag an der Immunität der Erlanger Linkshänder gegen das Abschlussschwächen-Virus: Rechtsaußen Tim Gömmel sowie die beiden halbrechten Rückraumspieler Antonio Metzner und vor allem Viggo Kristjansson sicherten letztlich den 26:23-Sieg, der die Chance auf den Klassenerhalt am Leben hält. Eine Niederlage des Vorletzten beim abgeschlagenen Schlusslicht, und es hätte „ganz übel“ ausgesehen, wie Link am Dyn-Mikrofon befand. „Es war ein Zittersieg, aber ein verdienter.“ Für Erlangen, das nun acht Punkte hat, sind Bietigheim (10 Punkte) und Stuttgart (12) wieder in Schlagdistanz, zumal die ausstehenden elf Partien noch Auswärtsspiele bei ebendiesen beiden Konkurrenten beinhalten.
Erlangen hat mit dem Remis gegen Primus Hannover bewiesen, dass es auch gegen Topteams bestehen kann
Zunächst aber warten hochkarätige Gegner, kommenden Samstag gastieren die Füchse Berlin, dann geht es zum Double-Sieger Magdeburg. Dass für die gebeutelten Erlanger eine Überraschung gegen solche Klubs nicht im Reich der Fantasie liegt, haben sie kürzlich mit dem 33:33 gegen Primus Hannover-Burgdorf bewiesen. Aber das Team von Trainer Johannes Sellin hat zuletzt in eigener Halle vor mehr als 7000 Zuschauern gegen Gummersbach auch gezeigt, dass es zu gehörigen Fehlleistungen in der Lage ist. Gegen den Altmeister hatte es vor Wochenfrist eine 24:31-Abreibung gesetzt, bei der sich eine atemberaubende Quote an ausgelassenen Großchancen durch das ganze Spiel zog.
Begründete Hoffnung auf ein versöhnliches Saisonende gibt indes vor allem der isländische Nationalspieler Kristjansson, der nach seiner Verletzung in seinem zweiten Spiel für den HCE bester Torschütze war. Sowie eine in Potsdam gezeigte Resilienz gegen den Worst Case: Immer dann, wenn die Brandenburger den Gästen gefährlich auf den Pelz rückten, wie beim Stand von 18:19, waren entweder Torhüter Quenstedt oder einer der Linkshänder zur Stelle. Zudem steckten die Gäste die frühe rote Karte des zuletzt starken Marek Nissen (6.) weg. Jung-Nationalspieler Gömmel traf alle seine drei Versuche, Metzner mit fünf und Kristjannson mit acht Treffern waren Sieggaranten, zudem sorgte Routinier Marko Bezjak mit drei Toren in der Schlussphase für eine gewisse Ruhe im Erlanger Spiel.
Die Zeiten bleiben trotz des Pflichterfolgs beim Schlusslicht stürmisch, auch das ordnete Routinier Link richtig ein: „Man sieht doch, dass wir gerade nicht das ruhigste Händchen haben. Es ist absoluter Existenzkampf, wir müssen kämpfen und beißen und eine Aufholjagd starten.“