Handball:Neuanfang in aller Deutlichkeit

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Gerade noch gut gegangen: Johannes Sellin (Mitte) und Simon Jeppsson (re.) freuen sich über den Klassenerhalt. (Foto: Wolfgang Zink/Imago)

Kleiner Kader, offene Kommunikation: Nach einer schlechten Saison inklusive Trainerentlassung will sich der Bundesligist HC Erlangen unter Trainernovize Johannes Sellin konsolidieren.

Von Ralf Tögel

Das Saisonziel? Johannes Sellin überlegt kurz, dann sagt er: „Das werden wir noch kommunizieren.“ Sellin ist der neue Trainer des Handball-Bundesligisten HC Erlangen, genauer gesagt hat er die Mannschaft zum Ende der vergangenen Saison übernommen. Sellins Vorgänger Hartmut Mayerhoffer musste in der Saisonendphase gehen, der Abstieg in die Zweitklassigkeit drohte. Es hat geklappt, Erlangen wird auch im September wieder in der Beletage des deutschen Handballs starten, man könnte sogar sagen: des Welthandballs: keine Liga ist stärker besetzt. Aber der drittletzte Rang ist mittlerweile zu wenig für die Ambitionen der Mittelfranken, im Umfeld wird immer lauter gefordert, der Klub solle sich für die Teilnahme am internationalen Geschäft wappnen.

Sellin lässt sich nicht locken: Sicher, als Spieler hatte der Europameister von 2016, der sechs Spielzeiten lang das Erlanger Trikot trug und 2023 Trainer der zweiten Mannschaft wurde, den europäischen Wettbewerb im Sinn gehabt – „das wird auch als Trainer so bleiben“. Die Realität sagt etwas anderes: „Es ist für uns vermessen, auf Europa zu schauen.“ Aber nach der vergangenen Saison und der Tatsache, dass die Änderungen im Kader eher moderat ausgefallen seien, stehe dem HCE etwas Demut vorerst gut zu Gesicht.

Es gelte zuvorderst, Defizite aufzuarbeiten, findet der 33-Jährige vor seiner ersten Saison in verantwortlicher Position. Die Vereinsführung um den Aufsichtsratsvorsitzenden Carsten Bissel und Geschäftsführer René Selke hat sich entschlossen, auf den Newcomer zu setzen. Sellin macht gerade seine Trainerausbildung, hat in Tom Hankel einen erfahrenen Co-Trainer mit A-Lizenz an seiner Seite und bekommt in Matthias Obinger einen weiteren Assistenten. Der Sportwissenschaftler war selbst Profi und Trainer, lehrt unter anderem an der Uni Würzburg und ist beim Bayerischen Handball-Verband (BHV) für die Trainerausbildung zuständig. Kleines Detail am Rande: Obinger bildet derzeit seinen Chef Sellin beim BHV aus. Dieses Trainerteam soll in Erlangen „eine strategische und langfristige Kaderplanung“ etablieren, erklärt Sellin, das beinhalte etwa „Scouting und Mentoring“. In den Worten von Klubboss Bissel klingt das griffiger: „Wir wollen nicht mehr in eine solche Situation wie vergangenen Saison kommen.“

Da war die Mannschaft hochkarätig besetzt gewesen wie nie zuvor, aber zu üppig und zu wenig abgestimmt. Spieler wie der spanische Weltmeister Gedeon Guardiola fanden sich auf der Bank wieder. Der neue Trainer Mayerhoffer musste mit dem von Sportdirektor Raúl Alonso zusammengestellten Kader klarkommen, er verschlankte ihn, Spielmacher Veit Mävers oder eben Guardiola mussten vorzeitig gehen. Nachwuchskräfte wie U21-Weltmeister Stefan Seitz oder DHB-Kaderspieler Tim Gömmel wurden integriert. Diesen Weg soll nun Sellin fortsetzen.

Die Weggänge wurden ersetzt, Trainer Sellin will aber weiterhin Talente ans Team heranführen

Und er scheint dafür die Idealbesetzung, bereits in der Drittliga-Reserve verjüngte er den Kader radikal, musterte elf Spieler aus, holte fünf Talente. Der prophezeite Abstieg war schnell kein Thema mehr, der Kindergarten machte Furore, die Idee ging auf: eigene Talente an die Profis heranführen. Auch spielerisch möchte der neue Coach Ideen einbringen: „taktisch, athletisch, in der Arbeitsweise miteinander“. Das Spiel soll schneller werden, so wie beim SC Magdeburg, der mit seinem explosiven Eins-gegen-eins-Spiel die Liga aufmischt. Auch bei der „Fitness im Ausdauerbereich müssen wir draufpacken“, sagt Sellin, und: „in der Kommunikation“. Er will Fehler künftig ganz klar ansprechen. Man könnte das Credo des neuen Trainers so zusammenfassen: kleiner Kader, harte Arbeit, offene Kommunikation, strategische Planung und athletisches Tempospiel.

Dafür steht der perfekte Akteur auf dem Teambogen, Manuel Zehnder, 24 Jahre alter Schweizer Nationalspieler, schnell, athletisch, enorme Fähigkeiten im Eins-gegen-eins-Spiel, Bundesliga-Torschützenkönig. Nur: Der will nicht für den HC Erlangen spielen. Zehnder war an Eisenach ausgeliehen, hat in Erlangen Vertrag bis 2026, um ihn herum sollte eine Mannschaft aufgebaut werden. Dann flatterte dem Klub eine Klage des Spielers gegen seinen Arbeitsvertrag ins Haus, es ging vor Gericht, Zehnder verlor in erster Instanz. Der 24-Jährige ging in Berufung, die abschließende Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Nürnberg ist am 1. August. Ob ein Trainer so einen Spieler überhaupt will? Sellin sagt: „Zu einem laufenden Verfahren gebe ich keinen Kommentar.“

Ansonsten hat der Klub seine Planungen abgeschlossen, die Weggänge wurden positionsgetreu ersetzt. Für Kreisläufer Tim Zechel, der zum deutschen Meister Magdeburg geht, kommt der polnische Nationalspieler Maciej Gebala vom SC DHfK Leipzig. Torhüter Bertram Obling (zum VfL Gummersbach) wird durch den algerischen Nationaltorhüter Khalifa Ghedbane (HC Eurofarm Pelister Bitola, Mazedonien) ersetzt, für Simon Jeppsson (zum norwegischen Topklub Kolstad) kommt der hochtalentierte Marek Nissen vom Zweitligisten Lübbecke, dorthin wechselt Lutz Heiny. Alle Weggänge sind kompensiert, aber die Qualität im Kader war schon vergangene Saison nicht das Problem. In Christoph Steinert und dem slowenischen Torhüter Klemen Ferlin sind zwei Olympia-Fahrer an Bord, Rückraumspieler Antonio Metzner und Kreisläufer Sebastian Firmhaber zählen zum erweiterten Kreis des Nationalteams. Gleiches gilt für den schwedischen Rechtsaußen Hampus Olsson. Von dessen wurfgewaltigem Landsmann Jonathan Svensson wird in seiner zweiten Saison der Durchbruch erwartet.

Während die Abwehr ohnehin zu den besten der Liga zählte, war im Angriff das Gegenteil der Fall: Kein Kontrahent hat weniger Tore erzielt als Erlangen. Je mehr Spiele verloren wurden, je enger es in der Tabelle wurde, desto schneller stieg die Fehlerquote und desto mehr baute das Team ab. Deshalb auch Sellins Ansinnen, die Kommunikation klarer zu gestalten, um diesem mentalen Teufelskreis zu entkommen: „Wir müssen die Fehler ansprechen“, fordert er.

In der vergangenen Saison habe er zu wenig Zeit gehabt, dieses Problem anzugehen. Das soll sich ändern. Seit einer Woche läuft die Vorbereitung, irgendwann werde dann schon das Saisonziel definiert. Für welchen Kader auch immer.

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