Süddeutsche Zeitung

Saisonabbruch:Handball gibt's nur noch auf Youtube

Den Handball-Bundesligisten dämmert allmählich, was es bedeutet, aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit zu geraten. Kommen von Herbst an nun doch Geisterspiele?

Von Carsten Scheele

Der Sommer 2020 sollte für den deutschen Handball eine denkwürdige Zeit werden. In der Bundesliga kündigte sich ein spannender Meisterschaftskampf an, zudem wollte sich die Männer-Nationalmannschaft beim entscheidenden Turnier in Berlin für Olympia qualifizieren, um dann anschließend, bei den Sommerspielen in Tokio, die ersehnte Medaille zu holen. Zum Start der neuen Saison rechneten die Macher mit extravollen Hallen, auch wegen Sander Sagosen, dem vermutlich besten Handballer der Welt, der dann für den THW Kiel spielt. Tolle Zeiten für den Bällewerfersport. Handball, überall.

Und nun? Handball nirgendwo, muss es wohl heißen.

Die Corona-Krise hat den Sportkalender der Republik durcheinandergewirbelt, doch während die Fußballer ihre Saison zähneknirschend mit Geisterspielen zu Ende bringen und die Basketballer sich abenteuerlustig in ein neues Turnierformat stürzen, um ihren Meister zu finden, haben die Handballer ihren Ligabetrieb frühzeitig abgesagt. Pokal und Champions League wurden langfristig verschoben, teilweise bis 2021. Olympia findet auch nicht statt. Wer Handball sehen möchte, kann sich bei Youtube alte Spiele der Nationalmannschaft angucken.

So langsam dämmert es einigen, was das bedeutet. Die Sportart ist gerade raus aus der Öffentlichkeit, abgesehen von der ein oder anderen Transfergeschichte. Für den Handball, der sich unter den deutschen Mannschaftssportarten auf Platz zwei hinter den omnipräsenten Fußballern wähnt, birgt dies eine große Gefahr. Wird alles noch genauso sein, nach monatelanger Absenz?

"Wir müssen zwingend im September oder Oktober wieder spielen"

Frank Bohmann, der Geschäftsführer der Handball-Bundesliga (HBL), fürchtet mittlerweile öffentlich, den Anschluss zu verlieren. Ihm blute das Herz, sagte Bohmann kürzlich dem Sport-Informationsdienst: "Wir müssen zwingend im September oder Oktober wieder spielen, um nicht von der Bildfläche zu verschwinden." Neidisch geht der Blick rüber zu den Kollegen vom Basketball, die grünes Licht für ihr zuschauerfreies Finalturnier im Juni in München erhalten haben. Nicht alle Klubs machen mit, nur zehn von 17, aber immerhin: 22 Tage wird Basketball auf Sportsendern und im Internet zu sehen sein, die Zeitungen und Websites werden darüber berichten, die Spieler werden Interviews geben und ihre Erlebnisse in den sozialen Netzwerken verbreiten.

"Super und bewundernswert" seien die Pläne der Basketballer, sagt Bohmann. "Wer mutig ist, gewinnt", findet auch Bob Hanning, der Manager der Füchse Berlin und Vizepräsident im Deutschen Handball-Bund (DHB), der den Handballklubs ebenfalls ein Turnierformat vorgeschlagen hatte, aber keine Mehrheit dafür zusammenbekam. Die meisten Vereine präferierten den sauberen Saisonabbruch, anstatt Spiele abzuhalten, für die sie keine Tickets verkaufen können. Es gibt Klubs, deren Etat sich zu 80 Prozent oder mehr aus den Zuschauereinnahmen errechnet. Für sie kann es wirtschaftlicher sein, die Spieler in Kurzarbeit zu schicken und zu warten, bis wieder regulär gespielt werden kann.

"Geisterspiele würden uns extrem wehtun"

Doch diese Haltung bröckelt. Immer mehr Vereine tun kund, dass sie Geisterspiele nach wie vor doof finden, aber mitmachen würden, um die Sportart am Leben zu erhalten, falls ab September wirklich nicht vor Zuschauern gespielt werden kann. "Geisterspiele würden uns extrem wehtun", erklärte Wetzlars Geschäftsführer Björn Seipp gegenüber dem Hessischen Rundfunk, "aber wir wissen auch, dass wir irgendwann wieder anfangen müssen, um dem Sport eine Zukunft zu geben." Wetzlar gehört zu den mittelgroßen Klubs der Liga, die Eulen Ludwigshafen zu den Kleinsten. Dort bezeichnet Lisa Heßler, die Geschäftsführerin, den Saisonabbruch zwar als "alternativlos", sie sagt aber auch: "Es ist unser Ziel, im Herbst wieder anzufangen." Ihre Spieler sind noch immer in Kurzarbeit; gerade für einen Klub wie die Eulen, der von den Emotionen seiner Fans profitiert, sind Geisterspiele alles andere als ein Wunschkonstrukt. Trotzdem sagt Heßler: "Wir können die Situation nur meistern, wenn wir in den Gedanken flexibel und offen bleiben - und auch mal über den Tellerrand hinausgucken."

Bis zu möglichen Handball-Geisterspielen müssen noch viele Fragen geklärt werden. Können sich die Handballer etwas vom Turnier der Basketballer abschauen? Ist sogar ein Hygienekonzept denkbar, das es einer gewissen Zahl von Zuschauern erlaubt, die Spiele in der Halle zu sehen, als eine Art "Geisterspiele light"? Ligachef Bohmann sagt, die Spieler könnten "nur sexy bleiben, wenn sie irgendwann wieder bei ihrem Sport zu sehen sind". Und um die Farbe der Olympia-Medaille geht es in diesem Sommer längst nicht mehr. Sondern darum, dass der Handball überhaupt wieder sichtbar wird.

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Quelle:
SZ vom 26.05.2020
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