Handball:Bock auf die Bank

Martin Schwalb (Trainer, Cheftrainer, RNL), gibt Anweisungen, gestikuliert, mit den Armen gestikulieren, gives instruct

Engagiert wie eh und je: Martin Schwalb bei seinem Debüt als Trainer des Handball-Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen.

(Foto: Oliver Zimmermann/imago)

Nach 2104 Tagen feiert der Trainer Martin Schwalb bei den Rhein-Neckar Löwen ein Comeback in der Bundesliga. Er sprüht vor Unternehmungslust.

Von Saskia Aleythe, Mannheim/München

Martin Schwalb konnte sich selbst nicht mehr reden hören, er hatte an diesem langen Tag ja fast nichts anderes gemacht. Am Mittwochmorgen flog der 56-Jährige nach Mannheim, am Nachmittag hielt er seine erste Pressekonferenz als neuer Trainer der Rhein-Neckar Löwen ab, danach stellte er sich seiner neuen Mannschaft vor, und pünktlich um 19.30 Uhr stand er an der Seitenlinie, um das 36:25 im EHF-Pokal gegen den spanischen Klub Cuencia zu beklatschen. Es war ein Comeback im Schnelldurchlauf, und weil Schwalb kein gewöhnlicher Trainer mit gewöhnlicher Geschichte ist, war der Mund dann auch dauernd in Bewegung.

Nur einen Moment gab es, da presste er kurz die Lippen aufeinander: als die Zuschauer ihn vor dem Anwurf jubelnd begrüßten. Schwalb winkte ins Publikum, er wirkte gerührt. Nach 2104 Tagen war er zurück als Trainer in der Handball-Bundesliga, nicht nur für ihn ein besonderes Ereignis. Die kriselnden Rhein-Neckar-Löwen hatten sich am Samstag von Kristjan Andresson getrennt und Schwalb bis zum Saisonende 2021 verpflichtet, einen Mann, der sein Herz schon früh an den Handball verlor. Und später beinahe sein Leben.

Obwohl Schwalb seit sechs Jahren kein Team mehr geleitet hat, genießt er noch einen guten Ruf

Martin Schwalb und der HSV Handball, das ist fast so eng verbunden wie die Elbe mit Hamburg: Dort hat er ab 2005 seine schönsten Stunden erlebt und seine tragischsten. Zweimal Pokalsieger, 2011 deutscher Meister, 2013 der größte Triumph mit dem Sieg in der Champions League - und nicht mal ein Jahr später der Absturz, der für Schwalb auf der Intensivstation endete. Nachdem die Hamburger im Achtelfinale der Champions League ausgeschieden waren, kündigte Mäzen Andreas Rudolph im Hamburger Abendblatt seinen Rückzug an, mal wieder: "Wir haben die falschen Spieler, den falschen Trainer. Ich mache den Laden jetzt dicht." Der Lizenzverlust drohte wegen des fehlenden Geldes, Gehälter wurden nicht gezahlt, und einen wie Schwalb, der schon als Geschäftsführer und Präsident in Hamburg gewirkt hatte, sich auch aus Marketing und Kommunikation nicht heraushielt, nahm das mit. Als man Schwalb später über die geplante Trennung von ihm als Trainer informierte, erlitt er einen Herzinfarkt. Per Hubschrauber ging es ins Krankenhaus, fast vier Stunden wurde Schwalb operiert.

"Es gab damals Vereine, die wollten mit mir in die Reha gehen", erzählte er nun in Mannheim, doch er lebte erstmal abseits der großen Handballbühne weiter, mit umgekrempeltem Lebensstil; ohne Zigaretten. "Ich rauche nicht mehr. Ich trinke ab und zu ein Gläschen Wein, das darf ich noch", sagte Schwalb: "Ihr braucht euch um mich keine Sorgen zu machen." Und noch etwas ließ der ehemalige Weltklasse-Linkshänder die anwesenden Medienvertreter wissen: "Ich habe jeden Tag Handball gelebt, ich habe so viele Handballspiele gesehen wie hier keiner im Raum." Es sollte niemand auf die Idee kommen, zu fragen, warum ein ambitionierter Klub wie die Rhein-Neckar Löwen einen Trainer holt, der seit fast sechs Jahren kein Team mehr geleitet hat. Schwalb gilt immer noch als Hochkaräter.

Tatsächlich ist er in den vergangenen Jahren in der Szene präsent gewesen: zuletzt als Vizepräsident des finanziell neu aufgestellten Zweitligisten HSV Handball, dem er weiter im Herzen verbunden bleiben will, außerdem als TV-Experte beim TV-Sender Sky. "Er ist so nah dran am Thema Handball wie kein anderer", versicherte Oliver Roggisch, der bei den Löwen als sportlicher Leiter agiert und eine Autoritätsperson als Trainer suchte. Schwalb selber verriet, er habe früher schon Angebote von Vereinen bekommen, aber eben jetzt erst das richtige. Auch in diversen Phasen der Bundestrainer-Suche war immer wieder sein Name gefallen; dem Vernehmen nach verbindet ihn mit dem DHB-Vizepräsidenten Bob Hanning aber keine große Freundschaft. "Stand heute und jetzt ist mir diese Aufgabe viel lieber", sagte Schwalb über den Posten in Mannheim: "Ich habe so Bock auf die Bank, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen. Das ist bei mir in der DNA drin."

Seine Leidenschaft kann die Mannschaft auf jeden Fall gebrauchen; nach dem Abschied von Meister-Trainer Nikolaj Jacobsen fand das Team mit dem jungen Andresson nie richtig zusammen, einzelne Akteure blieben weit hinter ihrer Normalform zurück. In der Liga ist die Mannschaft auf Rang sechs abgerutscht, die neue Realität nach zwei Meisterschaften 2016 und 2017. Schwalbs Amt in Hamburg als Vizepräsident ruht übrigens, in der Hansestadt nahm man seine Entscheidung positiv auf, auch mit dem ein oder anderen Hintergedanken. Marc Evermann, Präsident des HSV Hamburg, sagte dem Hamburger Abendblatt: "Wir werden weiter von seinem Netzwerk profitieren, das in Mannheim noch wachsen wird. Und möglicherweise ergeben sich dabei neue Kooperationsmodelle für uns."

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