Süddeutsche Zeitung

Handball:Applaus, Applaus

Der HC Erlangen stellt den slowenischen Nationaltorwart Klemen Ferlin vor - der Transfer veranschaulicht die Dimensionen, in die der Handball-Bundesligist vordringen will. Denn Ferlin ist ein Spieler, der in Gewässern zu Hause ist, in dem Erlangen eigentlich nicht fischt.

Von Sebastian Leisgang

Irgendwann, die Pressekonferenz lief schon einige Minuten, da erzählte Kevin Schmidt die Geschichte aus Ljubljana. Es war eine gute Geschichte, denn sie drehte sich um "eine Nacht-und-Nebel-Aktion", wie er sagte - und Nacht-und-Nebel-Aktionen halten immer gute Geschichten bereit.

Schmidt erzählte also, wie er damals, vor einem Jahr, mit Geschäftsführer René Selke nach Ljubljana geflogen sei, um sich in einem Hotel mit Klemen Ferlin und seinen Beratern zu treffen und diese "einmalige Gelegenheit" zu nutzen. Sie verhandelten bis in die frühen Morgenstunden, schlossen den Vertrag mit Ferlin schließlich ab, ehe sie, so Schmidt, "nach zwei Stunden Schlaf morgens um 6 zurück nach München" flogen. Der Sportliche Leiter des HC Erlangen hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, er hatte die Hektik tapfer über sich ergehen lassen, und er hatte sogar den Schlafmangel ohne Murren auf sich genommen, um Ferlin für Erlangen und die Handball-Bundesliga zu begeistern.

Ein Jahr lang hielt Erlangens Sportleiter Schmidt Ferlins Unterschrift unter Verschluss

Ein Jahr lang hielt Schmidt Ferlins Unterschrift unter Verschluss; als er dann am frühen Dienstagmittag von seinem Ausflug nach Ljubljana erzählte, war es ihm besonders wichtig, jene Botschaft hervorzuheben, die im Kern seiner Ljubljana-Geschichte steckte: dass besondere Spieler besondere Maßnahmen erfordern. "Es gibt Situationen", sagte Schmidt, "in denen man sehr flexibel und spontan sein muss." Und die damalige Nacht-und-Nebel-Aktion, sie erforderte vor allem zweierlei: Flexibilität und Spontanität.

Rund zwölf Monate später sitzt Klemen Ferlin, 30, in einem Restaurant in der Erlanger Innenstadt vor einer Sponsorenwand und spricht über seinen Wechsel. Weil die Verantwortlichen des HCE die Pressekonferenz als öffentliche Veranstaltung ausgerufen haben, sind einige Fans gekommen. Als Ferlin das Wort ergreift und auf Deutsch vorträgt: "Ich bin glücklich, hier zu sein" - da applaudieren die Zuhörer zum ersten Mal. Als er später erzählt, seine Freundin habe ihn nach Erlangen begleitet, es aber vorgezogen, shoppen zu gehen und nicht der Pressekonferenz beizuwohnen, da klatschen sie ein zweites Mal. Und als die viertelstündige Medienrunde schließlich zu Ende ist, gibt es zum dritten Mal Applaus, dieses Mal wohl für die Verantwortlichen, denen mit Ferlins Unterschrift ein Coup gelungen ist.

Ferlin ist ein Spieler, der in einem Gewässer zu Hause ist, in dem Erlangen eigentlich gar nicht fischt. Auch das ist ja ein wesentlicher Teil dieser Transfergeschichte: dass hier zwei Parteien zueinander gefunden haben, die im Grunde nicht dafür bestimmt sind, zueinanderzufinden. Aber: Weil sich der HCE inzwischen einen Namen im deutschen Handball gemacht hat und die Bundesliga ohnehin als beste Spielklasse der Welt gilt, kam eines (Ferlin) zum anderen (Erlangen).

Schon im April hatten Gerüchte die Runde gemacht, Erlangen könnte Ferlin vom slowenischen Rekordmeister RK Celje loseisen. Schmidt formulierte seinerzeit ein paar professionelle Sätze, mit denen er entsprechende Fragen geschickt umschiffte. Jetzt aber saß Ferlin doch in einem Erlanger Restaurant und erklärte, warum er, der Champions-League-erprobte Nationaltorhüter Sloweniens, in der nächsten Saison für einen Klub spielt, dessen Aussichten auf die Champions League ungefähr so groß sind, wie es in der Ljubljana-Nacht Schmidts Aussichten auf Schlaf waren. "Die Bundesliga", sagte Ferlin, "ist die stärkste Liga der Welt." Sich Woche für Woche beweisen zu müssen, das sei äußerst reizvoll, und deshalb nehme er es auch nicht als Makel wahr, in Zukunft vorerst nicht mehr international zu spielen. Außerdem habe er sich mit seinem Landsmann Gorazd Skof unterhalten, und der einstige Erlanger Torhüter habe über den Verein und die Bundesliga "nur Gutes gesagt".

Dass sich Ferlin entschieden hat, Skof nachzueifern und zum HCE zu wechseln, bedeutet auch: Entweder verlässt Nikolas Katsigiannis, 37, den Verein - oder Carsten Lichtlein, 39. Weil die Verträge der Routiniers am Saisonende auslaufen, sei es, so Selke, "theoretisch möglich", dass sich sogar beide Torhüter verabschieden.

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Quelle:
SZ vom 04.12.2019
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