Süddeutsche Zeitung

Handball:Andreas Wolff zieht es nach Polen

  • Handball-Nationaltorwart Andreas Wolff wird nach Polen zu PGE Vive Kielce wechseln.
  • Der Vertrag gilt ab 2019 - Wolff könnte aber wohl auch schon ein Jahr früher gehen, wenn Kiel Ersatz findet.
  • Mit dem derzeit kriselnden Spitzenklub soll sich Wolff nicht auf ein neues Monatsgehalt geeinigt haben.

Von Jörg Marwedel, Kiel/Hamburg

Als Andreas Wolff 2016 vom Mittelklasseklub HSG Wetzlar zum deutschen Handball-Rekordmeister THW Kiel wechselte, sagte er Sätze wie diesen: "Ich spiele dort mit den besten Spielern der Welt beim besten Verein der Welt zusammen." An dieser Aufgabe wolle er wachsen. Am Montag hat der 54-malige Nationaltorhüter wieder ein großes Motto ausgegeben - diesmal vor Kameras in Warschau: "Das ist ein unglaubliches Projekt in Kielce. Mit dieser starken Mannschaft will ich spielen und Erfolge einfahren. Hier wird Handball mit Herzblut gespielt."

Der 26-jährige Europameister wird den THW spätestens 2019 verlassen. Dann läuft sein Vertrag aus. Bei seinem neuen Verein PGE Vive Kielce, Champions-League-Sieger von 2016, hat er einen Vierjahreskontrakt bis 2023 unterschrieben. Dort wird er deutlich mehr verdienen als jene 20 000 Euro pro Monat, die er angeblich in Kiel kassiert. Dieses Salär hatte er ausgehandelt, bevor er im Sommer 2016 mit überragenden Leistungen zum Europameistertitel der DHB-Auswahl beitrug. Auch deshalb soll er unzufrieden gewesen sein, berichten Beobachter. Sein Berater Saša Bratic brach die schleppenden Gespräche über eine Gehaltserhöhung ab.

In Landin hat Wolff intern einen immer stärkeren Konkurrenten

Es ist nicht auszuschließen, dass Wolff bereits 2018 übersiedelt in die Stadt 180 Kilometer südlich von Warschau. Nämlich dann, wenn die gut betuchten Polen eine ordentliche Ablösesumme herausrücken und der THW Ersatz findet. Letzteres ist vermutlich der Fall. Laut Kieler Nachrichten ist der frühere Nationaltorwart Johannes Bitter (TVB Stuttgart) zu einem Wechsel bereit. Der 35-Jährige, der seine größten Vereinserfolge beim HSV Hamburg feierte, möchte aus familiären Gründen in den Norden zurückkehren.

Dies wäre wohl auch für die Schleswig-Holsteiner die beste Lösung. Die derzeitige Krise des Rekordmeisters hat zumindest zum Teil auch mit einem Torwartproblem zu tun - obwohl beide Keeper das Prädikat Weltklasse beanspruchen. Der THW steht nach dem 28:30 beim Meister Rhein Neckar Löwen am Sonntag mit 6:8 Punkten und Tabellenplatz zehn so schlecht da wie seit 15 Jahren nicht. Zwar haben die Löwen am Dienstag auch den TSV Hannover-Burgdorf mit 35:23 vom Platz gefegt und die Tabellenführung übernommen. Aber bei Kiels verlorenen Spielen gegen Hannover-Burgdorf und Melsungen kamen sowohl Keeper Niklas Landin als auch Wolff ihrem Ruf überhaupt nicht nach. Vor allem aber beklagte sich Wolff gerade erneut darüber, dass Geschäftsführer Thorsten Storm ihm unterstelle, er würde schlechte Laune ins Team tragen.

Ein Vorwurf, der seiner Meinung nach nicht zutrifft. Wenn Wolff den THW Kiel nicht mehr für den besten Verein der Welt hält, hat das vielleicht auch damit zu tun, dass Trainer Alfred Gislason etwas weniger auf ihn setzt als auf den Rivalen Landin. Viele sprechen jetzt von einer Wolff-Krise. In den bisherigen sieben Ligaspielen zeigte der deutsche Keeper in 204 Spielminuten nur 46 Paraden und hielt einen Siebenmeter - der Däne bot in 216 Minuten 68 Paraden und hielt drei Siebenmeter. Gleichwohl sagt Manager Storm: "Ich hätte den Vertrag mit Andi gerne über 2019 hinaus verlängert." Es sei aber auch für den THW wichtig, "dass rechtzeitig Planungssicherheit entsteht und alle Beteiligten sich auf die Aktualität konzentrieren können".

Sollte Wolff doch früher wechseln, kann das die Kieler durchaus belasten. Wolff schwärmte jedenfalls bei seiner Präsentation, die von Klubpräsident und Mäzen Bertus Servaas vorgenommen wurde, sehr von seiner Zukunft in Kielce, als könne er es gar nicht abwarten, zu neuen Ufern aufzubrechen. "Sie wollen noch mehr aufbauen, als sie bisher geschafft haben", sagte er. "Überragende Gespräche mit Talant und Bertus" habe er geführt. Talant, das ist Kielce-Trainer Talant Dujshebaev. Über THW-Coach Alfred Gislason sind ähnliche Aussagen nicht überliefert.

Doch Gislason ist scheinbar entschlossen, trotz der schlimmen Talfahrt weiterzumachen. Nach dem 28:30 bei den Rhein Neckar Löwen sagte er: "Solange ich der Meinung bin, dass ich der Mannschaft noch etwas geben kann, ziehe ich das durch." Dann zog der 58 Jahre alte Isländer die Verlierer zu einer 20-minütigen Krisensitzung zusammen. Nicht ausgeschlossen, dass Wolff da insgeheim schon an Kielce gedacht hat.

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Quelle:
SZ vom 04.10.2017
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