Formel-1-Weltmeister:Hamilton ist fast auf dem Gipfel mit Schumacher

F1 Grand Prix of USA

Sechsmaliger Weltmeister: Lewis Hamilton in Austin

(Foto: AFP)

Von Philipp Schneider

In den Kopfhörern von Lewis Hamilton knarzte die Stimme seines langjährigen Renningenieurs Peter Bonnington. Okay, sagte Bonnington, hör zu Lewis: "Wir müssen jetzt 32 Runden durchhalten auf einem Satz Reifen. Das wird ganz schön eng gegen Rennende."

Hm, fragte Hamilton zurück: "Habe ich eine Chance zu gewinnen?" Naja, sagte Bonnington. "Wir werden wohl einen weiteren Stopp benötigen." Er meinte: Um das Auto sicher ins Ziel zu bringen. Was er nicht sagte, aber womöglich dachte: Lewis, warum willst du überhaupt gewinnen?

Doch Hamilton ließ nicht locker: "Gib mir ein Ziel, Bono, arbeite mit mir!"

Eine Momentaufnahme, klar. Aber in der Formel 1 sind es ja oft die Momentaufnahmen, an denen sich die großen Linien erkennen lassen. Hier also war Hamilton, er rollte wie ein Schnellzug seiner sechsten Weltmeisterschaft entgegen. Sieben Sekunden hinter ihm kreiste sein Teamkollege Valtteri Bottas, der auf frischen Reifen und nach einem zweiten Stopp immer dichter aufrückte. Nichts, aber auch gar nichts, hätte Hamilton den Weltmeistertitel noch nehmen können.

Außer einem Reifenplatzer.

Hamilton musste ja nicht gewinnen, ein achter Platz würde ihm genügen, und diesen hätte er erreicht, wäre er ausgestiegen und hätte seinen Mercedes ins Ziel geschoben. Aber Hamilton hatte versprochen, seinen sechsten Titel "auf angemessene Weise" zu erobern. Also versuchte er, auch das Rennen in Texas noch zu gewinnen - ohne ein zweites Mal zu halten.

Übers Wasser laufen kann auch Hamilton nicht

Hamilton kann fantastisch Autofahren, vielleicht besser als jeder Mensch vor ihm. Aber auf zerfallenden Reifen übers Wasser gleiten, das kann er nicht. Fünf Runden vor Schluss attackierte ihn Bottas, Hamilton fuhr Kampflinie. Vier Runden vor Ende probierte es Bottas erneut, und dann war der Finne vorbei. Am Sonntagabend in Austin genügte Hamilton ein zweiter Platz vor Max Verstappen, dann war er zum sechsten Mal Weltmeister. "Das ist überwältigend", sagte Hamilton, sein Vater habe ihm schon als kleiner Junge den Ratschlag gegeben, niemals aufzugeben. Und daran habe er sich nun gehalten. Wie viele Titel er noch gewinnen wolle? "Titel weiß ich nicht.

Aber als Sportler fühle ich mich so frisch wie eh und je." Zum Start in dieses Wochenende, an dem er aufschloss zur viele Jahre lang als unerreichbar gehandelten Bestmarke von Michael Schumacher, hatte sich Hamilton einen Vergleich ausgedacht. Selbstverständlich keinen naheliegenden, vielmehr einen schrägen, übertrieben bescheidenen Vergleich. "Michaels Rekorde sind der Gipfel eines riesigen Berges", sagte er. "Und ich bin noch im Basislager." Nur um im Bilde zu bleiben: Jenes Basislager, in dem sich Hamilton auf den gar nicht mehr so beschwerlichen Aufstieg vorbereitet, wäre so hoch gelegen, dass dort bereits ein eisiger Wind pfeift. Und die Luft wäre schon so dünn, dass sich weniger harte Bergsteiger als er wohl ein Sauerstoffgerät in den Schlafsack reichen lassen würden.

Acht Rennen muss er nur noch gewinnen, dann hat er Schumachers Rekord von 91 Siegen egalisiert. Schon jetzt stand er 19 Mal öfter auf der Pole Position als Schumacher. Und die Zahl derjenigen, die noch bezweifeln, dass er Ende des kommenden Jahres sieben Weltmeistertitel gesammelt hat, wird mit jedem Tag kleiner.

Das Rennen, in dem er sich schlussendlich krönte, ging Hamilton genauso bescheiden an wie seine Metapher über den riesigen Berg. Nur von Startplatz fünf, also in einer vom ihm nahezu unerforschten Region des Fahrerfeldes, rollte Hamilton ins Glück. Das war aber in Anbetracht seiner an diesem Tag zu leistenden Aufgabe absolut in Ordnung. Unter dem Podium hatten die Texaner schon vor dem Rennen den Asphalt bepinselt: "Reserved Parking 2019 World Champion", war da zu lesen. Hätte Hamilton nicht auf diesem Parkplatz geparkt, es wäre etwas peinlich geworden.

Hamilton schnappt sich gleich nach dem Start Leclerc

Ganz vorne stand vor dem Start Bottas. Nach fünf Qualifikationen, in denen jeweils mindestens ein Ferrari schneller gewesen war, stand in Texas mal wieder ein Silberpfeil an der Spitze. Hinter Bottas lauerte Sebastian Vettel im Ferrari, dahinter Max Verstappen im Red Bull - und schließlich, noch vor Hamilton, Vettels Teamkollege Charles Leclerc. Vettel freute sich auf den Zweikampf mit Bottas vor der ersten Kurve: "Von meiner Seite in der Startaufstellung sieht es kürzer aus Richtung Kurve eins." Kürzer sah es aus. Und kürzer war es auch. Die Frage war aber auch: Wie rumpelig war der sogenannte Circuit of the Americas an dieser Stelle beschaffen, der mal dringend wieder frisch asphaltiert werden müsste, da sind sich eigentlich alle Fahrer einig.

Die Ampeln gingen aus und Vettel startete schlecht. Seine Reaktion war ordentlich, aber sein Ferrari beschleunigte kurz darauf nicht mehr. Verstappen rollte an ihm vorbei, Hamilton, Leclerc - und schließlich sogar Lando Norris und Daniel Ricciardo. Nach zwei Runden war Vettel Siebter. "Es muss einen Schaden geben, ich habe aber nichts berührt", funkte Vettel. Und nun habe sein Ferrari "Understeer like crazy", er untersteuere wie verrückt. Hamilton wiederum hatte sich nach dem Start Leclerc geschnappt und war Dritter. Mit dem wie verrückt untersteuernden Rennwagen schaffte es Vettel nur bis in die achte Runde, dann brach nach einer Kurve die Aufhängung an seinem rechten Hinterrad. Er parkte. Auf einem Motorrad fuhr Vettel an seine Box.

"Es ist zu vermuten, dass schon vor dem Start irgendwo ein Knacks drin war", vermutete Vettel kurz darauf bei Sky - ein Ermüdungsbruch also. Das sei ärgerlich. Zwar fahre er ja nicht mehr um die Weltmeisterschaft, dafür aber um Platz drei im Gesamtklassement. Er meinte: im Duell mit seinem Teamkollegen. Ferrari funkte kurz nach Vettels Missgeschick die Warnung an Leclerc, er solle aufpassen in Kurve acht. An jener Stelle, an der erst am Rennsonntag ein neuer Randstein platziert worden war, weil viele Fahrer an dieser Stelle die Strecke abgekürzt hatten. Vettels Kommandostand wusste da bereits, dass ihm dieser Randstein zum Verhängnis geworden war.

Nach 13 Runden führte Bottas vor Verstappen und Hamilton, dahinter, mit zehn Sekunden Abstand, fuhr Leclerc. Verstappen hielt als Erster für einen neuen Satz Reifen, eine Runde später auch Bottas. Hamilton führte das Feld nun vorübergehend an; Bottas den sein Halt hinter Leclerc gespült hatte, überholte diesen mit frischen Reifen mühelos beim ersten Versuch.

Es waren erst 15 Runden gefahren und schon rollten Verstappen und Bottas vor dem letzten verbliebenen Ferrari, obwohl Leclerc nicht einmal gehalten hatte. Das holte er fünf Umdrehungen später nach - und als Letzter aus der Spitzengruppe hielt auch Hamilton. Man ahnte es da noch nicht, aber es sollte sein einziger Stopp bleiben. Wer sich noch im Basislager wähnt, obwohl er in Wahrheit schon fast auf dem Gipfel steht, der gibt halt noch einmal übertrieben Vollgas.

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