Süddeutsche Zeitung

Lewis Hamilton in der Formel 1:Außen gepanzert, innen verletzlich

Lesezeit: 3 min

Von Elmar Brümmer, Silverstone

Helden, nichts als Helden. Es fällt den Machern des Programmheftes zum Großen Preis von Großbritannien nicht schwer, 166 Hochglanz-Seiten zu füllen. Wenn es mal nicht um die zehn Weltmeister von der Insel geht, oder um die 14 Lokalmatadoren, die in Silverstone gewonnen haben, dann um Lewis Hamilton, der in beiden Kategorien fünfmal siegte. Und wenn auch der fürs Erste auserzählt ist, dann wird der Nationalstolz über James Bond und dessen Sportwagen befriedigt.

Auch die Anzeigenkunden geben sich durchgängig very british , beworben wird beispielsweise der Pinsel, mit dem die McLaren-Rennwagen in Orange getaucht werden. Alles mit dem Segen von Prinz Michael von Kent, der als Schirmherr der britischen Motorsportherrlichkeit fungiert und somit nun auch die Verlängerung der Rennen in Silverstone anpreist. Neun Milliarden Pfund spiele der Sport im Jahr ein - dagegen wirken die angeblich 20 Millionen Pfund, die bis 2024 jährlich für das Austragungsrecht zu überweisen sind, doch leicht zu berappen. Doch das täuscht, die Veranstalter bleiben im florierenden Renngeschäft häufig die Verlierer. Immerhin, beim 70. Jubiläum der Königsklasse ist man nun sicher dabei. Und sollte Konkurrent London ein Straßenrennen veranstalten, dann nur in zeitlichem Abstand zum Traditionsrennen in Silverstone.

Tradition, Publikum und ein Magnet

Liberty Media, der Eigentümer der Formel-1-Rechte, kommt aus Hollywood, was das Gegenteil von Silverstone darstellt, einer Strecke, die um einen ehemaligen Weltkriegsflugplatz herumführt. Hier fasziniert ein altes, gewachsenes Milieu. Deutlich wird, warum Liberty sich mit US-amerikanischen Methoden schwertut, Motorsport-Fantasien zu verkaufen. Selbst in Miami ließen sich die Träume nicht verwirklichen, nun soll Hanoi in Vietnam das erste neue Rennen im Kalender sein. Zudem wird die Rückkehr des Großen Preises der Niederlande im Mai 2020 als "Neuanfang" verkauft. Aber auch hier werden die Traditionalisten des Sports bei Laune gehalten, die immer mehr Rennen in die Hände von Despoten fallen sahen, während die echten Fahrerstrecken verschwanden.

In Zandvoort wie in Silverstone bestätigt sich die Weisheit, dass erfolgreiche einheimische Piloten die besten Geschichten ergeben, der Glamour der Formel 1 nur den nötigen Rahmen gibt. Der Wirbel um Max Verstappen in den Niederlanden erinnert an den um Michael Schumacher in Deutschland vor 20 Jahren. Oder an den um Hamilton in Silverstone: Die Zahl der Zuschauer übersteigt die sechsstellige Grenze.

Hamilton wird immer beliebter, obwohl er sich im vergangenen Jahr Ärger mit seiner Heimatgemeinde Stevenage im Londoner Norden einhandelte. Die Vorstädter sahen ihren Ort als Slum verunglimpft, weshalb der Rennfahrer zwar weiterhin über seine Herkunft aus einfachsten Verhältnissen spricht, jedoch nicht mehr dramatisiert. Weiterhin bedankt er sich aber nach jedem Rennen auf dem Podium überschwänglich beim Publikum, selbst wenn ihn die Ferraristi auspfeifen. Der Brite bietet derzeit die beste Show, er besitzt zudem schauspielerische Talente - ist also eine Idealbesetzung für die Branche.

Hamilton inszeniert sich oft dezent, aber er weiß, mit wem er sich wo zeigen kann, und welches Aufkommen in den sozialen Medien folgt, wenn sich der eine "Bro" mit dem anderen trifft. Sportler, Musiker, Schauspieler - Hamilton nimmt alle Anregungen auf. So kam er zur eigenen Modekollektion, so pflegt er seine Leidenschaft für Motorräder. Er kann omnipräsent wirken, und trotzdem erfährt die Welt von ihm nur das, was er möchte. Wo genau er wohnt, wen er wann getroffen hat - die Spuren verwischen sich selbst in einer Welt, in der alles getrackt werden kann.

Nach der Niederlage beim WM-Lauf zuletzt in Österreich hat der immer noch ziemlich einsame Tabellenführer ein Bild von sich im Badezimmer gepostet. Die Locken stehen ihm zu Berge und zur Seite, man sieht die tätowierten Schultern und den Kompass aus Tinte auf seiner Brust. Dazu schreibt er, dass er sich in einer Welt voller Filter und Technik bewusst ungeschminkt zeige.

Er spricht von Momenten, in denen er unsicher sei, und will mit dem Bild wohl auf seine Verletzlichkeit hinweisen. Dann steht er wieder an der Rennstrecke, dort gibt er den mit Team-Insignien gepanzerten Hamilton, von dem die Briten erwarten, dass er am Wochenende den sechsten Sieg und damit den Rekord einfährt, und auch, dass er bis Ende kommenden Jahres alle für die Ewigkeit gedachten Schumacher-Rekorde bricht.

Fünf Jahre, glaubt Teamchef Wolff, könne der 34-Jährige noch fahren, wenn er die Motivation und Energie aufbringe. In Silverstone müssen sie auf seine Kondition hoffen, nur dann dürfte sich das Geschäft lohnen. "Für mich war immer klar, dass die Formel 1 nicht existieren kann ohne ein Rennen in der Heimat des Motorsports", sagt Lewis Hamilton.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4521427
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.07.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.