Sieben Kurven der Formel 1:Das Auto zuckt, die Knochen schmerzen, der Jubel ist groß

Weltmeister Lewis Hamilton will Michael Schumacher überholen, Ferrari bricht ein, Max Verstappen verteilt eine freundliche Ohrfeige. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Elmar Brümmer, Austin

1 / 7

Lewis Hamilton

F1 Grand Prix of USA

Quelle: AFP

Für die Renn-Veranstalter in São Paulo und Abu Dhabi muss Lewis Hamilton wie ein Spoiler wirken, ist der Brite doch nun schon zum dritten Mal in Serie vorzeitig Formel-1-Weltmeister geworden, zum sechsten Mal insgesamt. Klar will er noch zweimal gewinnen bei den letzten beiden Rennen, vor allem aber auch den siebten Titel. Damit stünde er auf einer Stufe mit Michael Schumacher. Nach seiner Ankündigung in Austin, auch über 2020 weiterfahren zu wollen ist klar: Der jetzt schon erfolgreichste Fahrer des Jahrtausends will noch mehr, er will Schumacher überholen, so wie er es gerade mit Juan-Manuel Fangio getan hat. Bei der Erwähnung des Namens Schumacher bekommt er feuchte Augen: "Es war nie mein erklärtes Ziel, Michaels Rekord zu brechen. Jetzt scheint er so nah - und ist doch noch so weit weg."

Auch nach Siegen fehlen ihm nur noch acht zur bisherigen Bestmarke, auch hier sind 100 drin, wenn das so weitergeht. Dass er das für möglich hält, brüllt er schon nach der Zieldurchfahrt ins Helmmikrofon: "Wir wachsen noch weiter." Sogar der ungeliebte Ex-Teamkollege Nico Rosberg attestierte: "Du bist auf dem Weg, der größte Rennfahrer aller Zeiten zu werden!"

2 / 7

Anthony Hamilton

-

Quelle: AP

Für die Amerikaner ist Lewis Hamilton so ziemlich der einzige Superstar, den die Formel 1 hat. Dementsprechend suchen andere Stars seine Nähe. Gleiches Level und so. In Austin stand der ehemalige Wunderläufer Carl Lewis in der Ferrari-Box, aber der US-Sprinter besitzt auch eine besondere Bedeutung für den Schon-Wieder-Weltmeister, war er doch der Namenspate, denn Hamilton heißt mit zweitem Vornamen Carl. Zwei schnellste Männer der Welt an einem Ort.

Wichtiger war dem Titelverteidiger aber, dass seine Eltern, auch seine Stiefmutter und der Stiefvater unten in der Boxengasse standen, alle zusammen zum ersten Mal überhaupt bei einem Rennen, immer mit dem texanischen Schauspieler und Formel-1-Fan Matthew McConaughey an der Seite. Vater Anthony, einst Eisenbahnarbeiter, erinnert sich: "Es ist kein Unterschied zu 2007, als er zum ersten Mal die Chance hatte, Weltmeister zu werden." Auch er sieht keinen Grund, dass die Erfolgsserie reißen sollte: "Ich sage ihm immer, dass er 34 Jahre jung ist, nicht 34 Jahre alt. Seine Mentalität hat sich nicht geändert, seit er acht war. Nicht schlecht für einen Jungen aus einer Sozialwohnung im Londoner Norden, oder?"

3 / 7

Ferrari

F1 Grand Prix of USA

Quelle: AFP

Der aus der ersten Reihe gestartete Sebastian Vettel in der achten Runde mit einem Aufhängungsbruch draußen, das allein hätte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto schon seinen 50. Geburtstag versauen können. Charles Leclerc dann ebenso durchgereicht, mit 52 Sekunden Rückstand auf den Sieger im Niemandsland, auch nicht gerade ein schönes Präsent. Aber so richtig versaut worden war dem Prinzipal das Fest-Wochenende schon am Samstag, als der Automobilweltverband Fia eine Anfrage von Red Bull zu einem Trick bei der Umgehung der geregelten Benzinflussmenge beantwortete, dass so etwas klar gegen das Reglement verstoßen würde. Eine entsprechende Direktive folgte. Der Power-Vorteil soll sich bei dieser Maßnahme auf über zehn PS belaufen. In der Formel-1-Bürokratie werden auf diese Art oft Praktiken anderer Teams angeprangert, ohne deren Namen offiziell zu nennen. Doch Red Bull ließ durchblicken, dass es klar um Ferraris Vorsprung ging. Und siehe da, plötzlich war dieser weg, was Toto Wolff vom Konkurrenten Mercedes eher mit den Worten "plötzlich ist die Leistung eine andere" und einem süffisanten Grinsen quittierte. Red-Bull-Pilot Max Verstappen wurde im niederländischen Fernsehen deutlicher: "Das passiert natürlich, wenn man aufhört zu betrügen." Leclerc, ohnehin kein Freund des Niederländers, konterte: "Der hat doch keine Ahnung..." Und Binotto weist alle Vorwürfe von sich.

4 / 7

Austin

F1 Grand Prix of USA - Qualifying

Quelle: AFP

Prärie? Die Topographie des Circuit of the Americas erzählt etwas anderes, gleich nach dem Start kommt ein 213 Meter langes Steilstück. Willkommen im Hill Country, nicht ohne Grund wird die Region rund um die - nach eigenen Angaben - verrückteste Stadt in Texas auch "Silicon Hills" genannt, in der Hügellandschaft siedeln sich viele Nerds mit ihren Start-ups an. Mächtig viel ist seit der Formel-1-Premiere 2012 in Bewegung geraten in der Gegend, über diesen Sommer allerdings auch der Untergrund in der Naturarena. Erst eine lange Dürre, dann heftige Regenfälle. Die Quittung haben die Ellbogen und Knie der Rennfahrer bekommen. Da Formel-1-Autos bis auf Millimeter der Fahrbahnoberfläche nahe kommen, setzten die Rennwagen beim Großen Preis der USA mehrfach auf den Bodenwellen, die sich quer über den Kurs verteilten auf. Das lässt die Funken sprühen, die Autos zucken, manchmal sogar abheben und die Knochen prellen - Rennwagen haben keine Dämpfung. "Die Wirbelsäule fängt alles ab", klagte Lewis Hamilton, "ich sollte ein Kissen mit ins Cockpit nehmen." Sebastian Vettel schloss sich an: "Es ist wirklich übel, mit der schlechteste Zustand, den wir in dieser Saison haben." Die Veranstalter schliffen den Asphalt ab, so weit es ging - bis die Steine rauskamen. Einzige Linderung: "In manchen Kurven an der Strecke roch es wie verrückt nach Marihuana", berichtete Vettel, "ist das in Texas etwa legal?"

5 / 7

Max Verstappen

F1 Grand Prix of USA

Quelle: AFP

Erst 22 Jahre alt, schon 100 Rennen gefahren. Zahlen bedeuten dem überfliegenden Holländer nichts, außer die Anzahl von Siegen. Die liegt bisher bei sieben. Red Bull Racing ist nicht so gut wie der zweitbeste Ziehsohn nach Sebastian Vettel, der im Temporausch auch sein Jubiläum bewertet: "Es ist alles so schnell passiert." Verstappen antwortet kurz, pointiert, und er hält mit seiner Meinung selten hinterm Berg. Um eine kleine Eloge auf den Weltmeister Lewis Hamilton gebeten, verzieht er leicht das Gesicht, verweist darauf, dass er bei Red Bull leider nicht das gleiche Material besitze, und sagt dann: "Wer das beste Auto hat, kann auch Weltmeister werden." Eine sehr freundliche Ohrfeige für den Fahrer des Jahrzehnts. Der Mann mit der Startnummer 33 fühlt sich auch außerhalb des Rennwagens im Rempel- und Rüpelmodus offenbar ganz wohl. Dass die Top-Fahrer höhnen, am liebsten einen Bogen um den Unberechenbaren drehen zu wollen, stört den ewig Angefeindeten: "Das ist nicht in Ordnung, sogar etwas respektlos. Ich fahre immer hart, aber auch fair." Das ist allerdings Auslegungssache. Er werde, versprach der junge Jubilar, seine Antworten auf der Strecke geben. Die Perspektive ist klar: "Ich lebe nur dafür, Weltmeister zu werden." Fast hätte er in der letzten Runde Hamilton noch abgefangen, aber Gelbe Flaggen bremsten ihn. Anders als zuletzt in Mexiko hat er sich dran gehalten.

6 / 7

Valtteri Bottas

Auto: Formula One - US Grand Prix, Practice + Qualifying

Quelle: AFP

Er hätte gewinnen müssen, Lewis Hamilton nicht mehr als Platz acht holen dürfen, dann wäre diese Weltmeisterschaft noch in eine weitere Runde gegangen. Er hat gewonnen, aber der Teamkollege wurde Zweiter, der neunte Doppelerfolg in 19 Rennen. "Aber es hat sich gut angefühlt, Lewis den Sieg wegzuschnappen, den er unbedingt wollte", sagt der Finne nach seinem vierten Sieg in diesem Jahr und dem ersten realen Überholmanöver gegenüber Hamilton, "ich habe getan, was ich tun musste."

Bottas freut sich über seine bislang stärkste Saison in der Formel 1, die er als "Vize" abschließen wird, er sagt, dass sein Tempo im Rennen deutlich höher geworden ist, und er hat eine Pole-Position mehr in dieser Saison als Hamilton. Nachdenklich stimmt ihn aber immer noch die Situation zur Jahresmitte, als er nicht wusste, ob sein Vertrag verlängert oder er ausgetauscht würde. Die öffentliche Klage über die hohe mentale Belastung erreichte auch Silberpfeil-Boss Toto Wolff, der versprach, das künftig besser lösen zu wollen. Der Sieger war einmal mehr der Nebendarsteller, aber er wirkt deutlich emanzipierter: "Ich habe mein Ziel verfehlt in diesem Jahr, es gibt immer ein nächstes Jahr."

7 / 7

Ross Brawn

F1 Grand Prix of USA - Previews

Quelle: AFP

Um als Nachfolger des grimmigen Bernie Ecclestone durchzugehen, guckt Formel-1-Geschäftsführer Ross Brawn vielleicht zu gutmütig. Aber mit der Nettigkeit ist es vorbei, wenn es um die Zukunft der Rennserie geht, in der er einst als Superhin Ferrari, Mercedes und seinen eigenen Rennstall zu Weltmeistertiteln geführt hat. Der Brite ist einer der Väter des neuen Reglements von 2021 an. Die Autos werden schwerer und langsamer, aber auch billiger und wesentlicher überholfreundlicher - zumindest in der Theorie.

Der größte Einschnitt in der jüngeren Grand-Prix-Historie bezieht sich jedoch vielmehr auf die Umstände, unter denen das neue Reglement entstanden ist: durch Einstimmigkeit. Das konnte in der egomanischen Rennbranche mit vielen unterschiedlichen, oft gegensätzlichen Interessen der zehn Teams nur zustande kommen, in dem die Hauptdarsteller entmachtet wurden. Sie müssen künftig mit 175 Millionen Dollar Jahresetat (plus Fahrergagen und Reisekosten) und wenig Mitspracherecht auskommen. Die Anforderungen an die neue Spar-Formel: spannender, weniger komplex, billiger, gerechter, effizienter, ausgeglichener, attraktiver, gesünder, ertragreicher. "Die Formel 1 war schon immer ein Opfer des eigenen Erfolges", sagt Ross Brawn über die harten Einschnitte, "man muss sie vor sich selbst schützen."

© SZ.de/sonn
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: