Hamburger SV:Zurück zum Spott

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Nach nur 95 Zweitliga-Minuten ist die Hochstimmung beim HSV schon wieder wie weggeblasen. Trainer Christian Titz muss sich nach dem Crash gegen Kiel einige Grundsatzfragen stellen.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Am nächsten Sonntag wird der Hamburger SV erst richtig in der zweiten Bundesliga ankommen. Dann spielt der HSV im badischen Sandhausen, einer 15 000-Einwohnerstadt, die nichts mit der noblen Hansestadt gemeinsam hat. Beim Debüt in Liga zwei gegen Holstein Kiel war es eigentlich noch wie in Liga eins: 57 000 Zuschauer bevölkerten das ausverkaufte Volksparkstadion, DFB-Präsident Reinhard Grindel saß neben HSV-Boss Bernd Hoffmann auf der Tribüne, und die Fans waren derart in Vorfreude auf die erste Zweitligapartie der Klubgeschichte, dass sie den ersten Bundesliga-Abstieg mit einer riesigen Choreografie abarbeiteten: "Dies ist die Geschichte eines Vereins, der fällt. Aber wichtig ist nicht der Fall, sondern die Landung - auf geht's!"

Die erste Landung war dann aber eine Art Crash. Die Kieler hatten sich von der Kulisse nicht einschüchtern lassen - die Atmosphäre war sogar, wie Holstein-Torwart Kenneth Kronholm sagte, "Motivation pur für uns". Nachdem die Gäste aus der Ostseestadt, immerhin Dritter in der vergangenen Saison, die ersten 20 Minuten trotz dreier Großchancen des HSV (Ito, Jairo, Narey) ohne Gegentor überstanden hatten, bekamen sie das Spiel imponierend unter Kontrolle und griffen ihrerseits an. Die erste Tabelle der Saison 2018/19 mit dem HSV auf einem Abstiegsplatz der zweiten Liga dürfte erneut viel Spott entfachen. Denn außer Köln hat kein Zweitligist auch nur annähernd eine so teure Truppe.

Die "Abstiegseuphorie", wie Kiels Abwehrspieler Johannes van den Bergh die Hochstimmung in Hamburg um den Neustart des HSV süffisant nannte, war nach 95 Minuten wie fortgeblasen. 0:3 hatte das kostspieligste Team des sogenannten Unterhauses nach Toren von Jonas Meffert (56. Minute), David Kinsombi (78.) und Mathias Honsak (90.+3) verloren.

Was wird aus Kostic, Ekdal und Arp? Kommt noch ein Verteidiger? Und täte ein echter Neuner gut?

34 Spiele mit Pokalcharakter hat HSV-Trainer Christian Titz für diese Saison vorausgesagt, an dessen Ende die Hamburger wieder aufsteigen wollen. Das Gute ist: Anders als nach einem Pokal-K.-o. dürfen sie es weiter versuchen. "Du musst das Spiel lesen können. Das haben wir leider über große Strecken nicht hinbekommen", sagte Ersatzkapitän Lewis Holtby, "wir alle haben als Kollektiv versagt." Titz sagte: "Jetzt wissen wir Bescheid, was in der Liga gefordert wird." Das gilt auch für den Trainer selbst, der in der Liga wohl weitere Varianten benötigt als nur schönes Flachpassspiel.

"Die Grundtugenden wie Zweikampfverhalten, Mentalität und Einsatzbereitschaft werden immer Spiele entscheiden", sagte HSV-Sportchef Ralf Becker, der in der Vorsaison noch für Kiel gearbeitet hatte. Es werde nicht reichen, "wenn wir nur über unsere Spielidee versuchen zu gewinnen". Das ist angeblich auch Titz klar. Doch gegen den neuen Kieler Coach Tim Walter (kam vom Nachwuchs des FC Bayern) hat er diesmal taktisch verloren. Walter schob seine Abwehr weit nach vorne. Und als Titz zwei Fehler korrigieren wollte, nämlich den überforderten neuen Innenverteidiger David Bates vom Platz nehmen und in Pierre-Michel Lasogga endlich eine echte Spitze aufs Feld schicken - just da war es zu spät. In seiner letzten Aktion wurde der Schotte Bates mal wieder ausgespielt, Meffert traf zum 0:1 in den Winkel.

In diesem Nordderby gegen Kiel - das letzte fand vor der Bundesliga-Gründung im Januar 1963 statt - wurde sehr deutlich, woran es dem HSV noch fehlt. Die Abwehrzentrale ist nach dem Ausfall der langzeitverletzten Gideon Jung und Kyriakos Papadopoulos mit dem unerfahrenen Bates, 21, und Rick van Drongelen, 19, nicht auf Aufstiegsniveau. Der HSV sucht dringend nach einer Alternative, zu gerne hätte man Hoffenheims Ermin Bicakcic. Und weil auf der Sechserposition Matti Steinmann (den Kiel geschickt beim Spielaufbau störte, wie vor dem 0:2) und Zugang Christoph Moritz nicht in guter Form sind, könnte der schwedische WM-Teilnehmer Albin Ekdal noch einmal ein Thema werden.

Ekdal sollte und wollte verkauft werden, doch bisher gibt es keine Angebote. Ähnliches gilt für den serbischen WM-Teilnehmer und Außenstürmer Filip Kostic, der wie Ekdal eigentlich zu teuer ist für die zweite Liga. Titz sagte, sie seien "weiter Bestandteil der Mannschaft". Nicht ausgeschlossen, dass sie der Elf zunächst noch helfen sollen. Und auch die Idee, ohne echte Angriffsspitze zu agieren, sollte Titz noch einmal prüfen. Immerhin hat er neben Lasogga noch den Nachwuchstorjäger des FC Bayern, Manuel Wintzheimer, und das größte HSV-Talent Jann-Fiete Arp im Kader. Arp musste am Freitag mit der Reserve zum Regionalliga-Spiel nach Bremen reisen und verlor 0:4 bei Werder.

Ob die eingesetzten Neuen - neben Bates die Offensivkräfte Jairo (früher Mainz) und Khaled Narey (früher Fürth) - wirklich Verstärkungen werden, ist noch schwer zu beurteilen. Immerhin kam der schnelle Narey zu fünf Chancen. Sein Problem: Er vergab sie überhastet.

© SZ vom 06.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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