Süddeutsche Zeitung

Hamburger SV:Wunderbar ziellos verprasste Millionen

Zuverlässig hat der HSV aus vielen Mitarbeitern das Schlechteste herausgeholt. Ein Trost für alle, die den Einfluss von Investoren im deutschen Fußball fürchten.

Kommentar von Christof Kneer

Natürlich verfügt Harsewinkel auch über einen Kegelklub. Außerdem gibt es dort unter anderem einen Gospelchor, einen Imkerverein, eine Volkstanzgruppe sowie einen Verein für Kampfkunst, Körperkultur und Meditation. Bei jeder dieser Einrichtungen könnte man sich Heribert Bruchhagen tadellos vorstellen, außer bei der Karnevalsgesellschaft vielleicht. Da wäre die Fallhöhe schon recht groß, Bruchhagen kommt ja gerade von einer der führenden Karnevalsgesellschaften Deutschlands, er war bis eben noch beim HSV.

Da haben sie ihn jetzt allerdings rausgeworfen, zurück in das Leben eines Ruheständlers, in dem er es zuvor nicht lange ausgehalten hatte. Er habe sich nicht gut genug auf seinen Ruhestand vorbereitet, hat Bruchhagen, 69, nach seinem Wiedereinstieg beim HSV mal erzählt, er sei zu Hause in Harsewinkel eben in keinem Literatur- oder Kegelklub gewesen. Und deshalb sei er schwach geworden, als der HSV ihn rief.

Man kann Millionen besitzen und sie wunderbar ziellos rauswerfen

Womöglich war die Tätigkeit als Vorstandschef beim Hamburger SV nun aber eine besonders zuverlässige Vorbereitung auf den Ruhestand, denn es ist ja so: Beim HSV kann man sich das Leben in der Fußballbranche wunderbar abgewöhnen. Wer zuletzt beim HSV war, hatte hinterher ohnehin kaum mehr einen Markt, denn dieser Verein hat es zuletzt in geradezu magischer Regelmäßigkeit geschafft, Menschen kleiner zu machen. So viele Sportchefs, Trainer und Fußballer sind in den vergangenen Jahren stolz zum Hauptportal rein, aber die meisten von ihnen haben sich schon wenig später und deutlich geschrumpft zum Hinterausgang wieder rausgeschlichen.

Was hatte dieser Frank Arnesen für einen großen Ruf (Superscout und Sportchef bei Chelsea!), bevor der HSV ihn fachgerecht zerkleinerte. Wie hoch war dieser Peter Knäbel angesehen (einer der führenden Nachwuchsexperten!), bevor er sich beim HSV mit der sog. Rucksack- Affäre lächerlich machen durfte. Was waren Thomas Doll oder Torsten Fink für Trainertalente, bevor sie sich auch dank des HSV für immer vom deutschen Markt nahmen. Und was war - nur ein Beispiel - dieser Filip Kostic mal für ein leidenschaftlicher Flügelspieler, bevor beim HSV ein eher verzweifelter Flügelspieler aus ihm wurde. Ach, und Lewis Holtby: War der nicht mal Nationalspieler?

Der HSV hat zuletzt aus vielen Mitarbeitern das Schlechteste herausgeholt, das ist das letzte Alleinstellungsmerkmal, das diesem großen Klub noch geblieben ist. So viele völlig unterschiedliche Menschen mit völlig unterschiedlichen Ideen haben zuletzt an diesem Verein herumgemacht, dass binnen weniger Jahre ein fast untrainierbares und kaum noch zu managendes Milieu entstanden ist.

Immerhin ist aus dem HSV damit ein Mut machendes Beispiel für all jene geworden, die den zunehmenden Einfluss von Investoren im deutschen Fußball fürchten. Man kann ja wunderbare Millionen eines Mäzens oder - wie in Wolfsburg - eines Autokonzerns besitzen, und trotzdem kann man sie wunderbar ziellos rauswerfen. Heribert Bruchhagen etwa könnte nun eine dieser klassischen HSV-Abfindungen nutzen, um einem Kegelklub seines Vertrauens zumindest mal ein paar neue Bahnen zu spendieren.

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SZ vom 09.03.2018/ebc
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