Hamburger SV:Welträtsel HSV

Rene Adler Torwart HSV kassiert hier das 1 0 durch Vedad Ibisevic Hertha BSC Hertha BSC Berlin

Da hilft keine Streckung, kein Spagat und auch keine Formsteigerung des Teams: Hamburgs Torwart René Adler muss weiterhin hinter sich gucken und greifen - hier nach dem zweiten Berliner Tor.

(Foto: Bernd König/Imago)

Bei Markus Gisdols Debüt, dem 0:2 in Berlin, scheitern die Hamburger an alten Problemen. Doch der fußballerische Ansatz des neuen Trainers könnte das Team inspirieren.

Von JAVIER CÁCERES, Berlin

Das Standardwerk "Deutschland deine Schwaben", zu dessen Gelingen nach einer "sehr unvollständigen" Auskunft des Autors Thaddäus Troll "Brackenheimer Zweifelberg Lemberger Auslese" sowie "Brüsseler Muskattrollinger" beitrugen, dürfte jene bestärken, die in der Wahl des Geislingers Markus Gisdol zum Trainer des Hamburger SV die bestmögliche sehen. Und jene Lügen strafen, die meinen, ein Schwabe könne gar nicht an die Elbe passen. Unter anderem verweist Troll auf den Mundartforscher Fritz Rahn, der einst erkannte, "dass der schwäbische Stamm der schwierigste, rätselhafteste aller deutschen Stämme ist". In ihm seien "die heftigsten Gegensätze zusammengespannt, oft treffen sich in ein und demselben Individuum äußerste Kühnheit mit befremdlicher Zaghaftigkeit, Rebellentum mit Philisterei, gewinnende Freundlichkeit mit verstimmender Räsheit, Geschicklichkeit mit Tolpatschigkeit, Standfestigkeit mit Labilität, Misstrauen mit Zutraulichkeit, Höhenflug mit Horizontlosigkeit."

Kann es etwas Idealeres geben als eine Führungskraft, die gewissermaßen qua Natur die ganze komplexe Widersprüchlichkeit des HSV in die Wiege gelegt bekam?

Am Samstag feierte Gisdol in Berlin sein Debüt als Trainer des HSV, und dass sein Team 0:2 unterlag, war ihm hernach kaum anzumerken. Dass ihm das Ergebnis natürlich nicht gefalle, musste Gisdol fast schon unterstreichen. Er ist in Hamburg erklärtermaßen auch angetreten, um den Hanseaten wieder zu so etwas wie guter Laune zu verhelfen, und so betonte er in der Nachbetrachtung der Partie vor allem, was seine Mannschaft gut gemacht hatte. Zum Beispiel "wie sie gemeinschaftlich versucht hat, nach vorne zu spielen, Bälle zu erobern, schnelle Umschaltbewegungen" zu entwickeln. Nur: Nach der fünften Niederlage ist der HSV Tabellenletzter, von 18 möglichen Punkten hat der permanente Relegationsaspirant nur einen einzigen ergattern können. "Das werden wir schon hinbekommen", konterte Gisdol.

Es wäre selbstredend vermessen gewesen, von Gisdol zu erwarten, in nur fünf Tagen Amtszeit einen in jahrelanger Feinarbeit babylonisch verbauten Kader in eine homogene Truppe zu verwandeln. Die schon unter Vorgänger Bruno Labbadia erkennbaren Probleme der Defensive, insbesondere in der Innenverteidigung, blieben unübersehbar, erst recht die chronische Abschlussschwäche.

"Das macht der Vedo super", lobt HSV-Keeper René Adler den Doppeltorschützen Ibisevic

Der HSV hat in sechs Spielen zwei Tore geschossen. In diesem Jahrzehnt hatte nur ein einziger Verein nach sechs Spieltagen weniger Treffer: der HSV in der Saison 2014/15. Hamburgs Torwart René Adler bebte nachgerade vor Neid, als er über Herthas Führungstreffer (29.) durch Vedad Ibisevic räsonierte: "Das macht der Vedo einfach super, dass er den so in die lange Ecke schiebt, das machen wenige Stürmer so."

16 Torschüsse gab der HSV ab, zwei mehr als die grundsolide, selbstsichere Hertha, die durch einen Elfmeter zum zweiten Treffer kam. Albin Ekdal brachte in der 70. Minute Herthas Schweizer Mittelfeldspieler Valentin Stocker zu Fall, Ibisevic verwandelte sicher.

Was den Hamburgern Hoffnung geben darf, ist, dass die Mannschaft die Anforderung des neuen Coachs zumindest in Ansätzen verinnerlicht hat. Gisdol predige, den Ball "schneller in die Spitze zu spielen, um einfach auf die zweiten Bälle zu gehen, weil der Gegner den Ball verlieren kann, und die Wahrscheinlichkeit, eine Chance zu bekommen, größer ist". Gisdol bot mit Pierre-Michel Lasogga, der bei einem Freistoß an die Querlatte Pech hatte, und Bobby Wood zwei Stürmer auf, die viel arbeiteten, aber vor dem Tor keine Fortüne entwickelten. "Es sollte heute noch nicht sein", sagte Gisdol, der wegen der Länderspielpause Zeit hat, die neuen Vorgaben zu präziseren.

Gisdol dürfte, nur mal als Beispiel, wahrscheinlich nichts dagegen einzuwenden haben, wenn sich die Hamburger untereinander den Ball präziser in den Fuß spielen, statt auf "zweite Bälle" zu hoffen, also auf unzulängliche Abwehraktionen des Gegners. Seine bisherigen ideologischen Äußerungen sprechen dafür: Als Gisdol im April 2013 bei der abstiegsbedrohten TSG 1899 Hoffenheim seinen ersten Bundesligajob antrat, proklamierte er, nicht der Klassenverbleib sei oberstes Ziel; wichtiger wäre, dass in Hoffenheim wieder ansehnlicher Fußball gespielt werde. Was dann ja auch gelang, zumindest zeitweise. Womöglich versucht es Gisdol nun beim HSV ähnlich.

In Buch des Thaddäus Troll jedenfalls werden Schwaben als Menschen beschrieben, die gerne Welträtsel lösen. Wie man so viel Geld für Spieler ausgeben kann wie der HSV, um dann doch wieder nur in der unteren Hälfte der Tabelle herumzukrebsen, zählt schon lange dazu.

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