Hamburger SV:Null Torschüsse, null Abwehrspieler

Hamburger SV v Eintracht Frankfurt - Bundesliga

Markus Gisdol erkennt so langsam, welche Probleme er mit dem Traineramt beim HSV übernommen hat.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Die Hamburger Presse findet, die aktuelle Mannschaft sei "der schlechteste HSV aller Zeiten."
  • Neben den vielen Problemen hat Neu-Trainer Markus Gisdol nach dem Ausfall von Emir Spahic keinen Innenverteidiger mehr zur Verfügung.
  • Er habe eine "total verunsicherte Mannschaft" übernommen, klagt Gisdol.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Das Beste am Hamburger SV ist schon seit längerer Zeit seine Vergangenheit. Vor dem schönen Volksparkstadion zum Beispiel steht seit 2005 eine fünf Meter große Bronzeversion des rechten Fußes von Uwe Seeler. Der ehemalige Torjäger wird bald 80 Jahre alt, wäre für den aktuellen Sturm des HSV aber womöglich noch immer eine Bereicherung. Und wer die Geschäftsstelle in der Arena betritt, dem begegnen wunderbare Fotos von Seeler, Kaltz, Keegan, Hrubesch, Posipal, Schnoor und Dörfel.

Mit diesen Herren hat der HSV deutsche Meisterschaften gewonnen, Pokale, den Europacup. Das alles wusste Markus Gisdol sicher, als er Ende September die Nachfolge von Bruno Labbadia antrat. Ihm begegnet die Grandezza ja nun öfter, wenn er zum Training vorfährt oder mit seinem Chef Dietmar Beiersdorfer die Krise bespricht. Allerdings ahnt Gisdol wohl erst jetzt, auf was er sich da eingelassen hat.

Selbst erprobte Beobachter hatten den Klub selten so miserabel erlebt wie bei der 0:3-Klatsche am Freitagabend gegen Eintracht Frankfurt. "Der schlechteste HSV aller Zeiten", findet das Hamburger Abendblatt, sicher wohlwissend, dass der HSV auch mal 0:8 und 2:9 gegen den FC Bayern München untergegangen war. Seit Samstag ist Gisdols Truppe Tabellenletzter und dürfte nur geringen Trost in der Tatsache entdecken, dass der FC St. Pauli in Liga zwei ebenfalls Platz 18 besetzt.

2014 und 2015 wurde der Abstieg knapp vermieden

Die weiteren Aussichten sind auch nicht besonders gut, denn nach dem Pokalmatch am Dienstag in Halle heißen die nächsten Gegner 1. FC Köln und Borussia Dortmund. Es sieht so aus, als ließen sich die Erben der Helden von einst wieder in der Abstiegszone nieder. 2014 und 2015 wurde der Absturz erst in der Relegation verhindert. Die Bundesligauhr neben der Nordtribüne läuft weiter, zuletzt seit 53 Jahren und 59 Tagen. Das erfüllt die Fans zwar mit stolzem Trotz, doch Ärger und Frust scheinen bei seiner Heimpremiere auch Markus Gisdol erschreckt zu haben.

Die Getreuen pfiffen sich die Seele aus dem Leib, Tausende der "zu Beginn des Spiels" (Stadionsprecher) 52 258 Zuschauer flüchteten vorzeitig in die Nacht. Nur ein paar HSV-Profis wagten sich anschließend zur Nordtribüne und machten sicherheitshalber am Fünfmeterraum halt. Neun Grad und 0:3, das erzürnt selbst hartgesottene Hanseaten. Gut, die Eintracht spielt mit ihren internationalen Unbekannten verblüffend kompakt, angetrieben vom famosen Mexikaner Marco Fabian.

Trainer Nico Kovac ärgert mit dem Kollektiv seine ehemaligen Vereine, der HSV tat ihm nun richtig leid. Mit wenig Geld erreichen die globalen Hessen derzeit viel. Der HSV dagegen hat nicht zuletzt dank seines Mäzens Klaus-Michael Kühne mehr als 30 Millionen Euro ausgegeben, aber ohne Plan.

Gegen Frankfurt schießt der HSV nicht ein Mal aufs Tor

Seit mehr als sechs Spielen und 572 Minuten schießt der HSV kein Tor. Dabei hatte der vormalige Hoffenheimer Gisdol verkündet, Probleme mit dem Toreschießen hätten seine Teams nie gehabt. Den Ästheten zuliebe stellte er anfangs sogar das 20-jährige Wunderkind Alen Halilovic auf, doch der Kroate zeigte nur kurz sein Talent und blieb ansonsten blass wie Landsmann Filip Kostic. Stürmer Pierre-Michel Lasogga? Ein Schussversuch. Im Grunde schoss Gisdols Elf kein einziges Mal richtig aufs Tor, jedenfalls nicht aufs gegnerische, und war mit den drei Gegentreffern durch Lewis Holtbys Eigentor, Shani Tarashaj und Haris Seferovic noch ordentlich bedient.

Der löchrigen Abwehr fehlt nach Johan Djourou jetzt auch Emir Spahic verletzt, außerdem ist der unbeholfene Außenverteidiger Dennis Diekmeier genauso gesperrt wie Cléber Reis. Man habe keinen Innenverteidiger mehr, klagt Gisdol, die Situation sei "absurd". Er habe "eine total verunsicherte Mannschaft" übernommen, "bei uns bricht immer schnell viel weg, wenn wir ein Gegentor bekommen".

Der Schwabe Gisdol, 47, das zur Erinnerung, ist der achte HSV-Trainer in drei Jahren. In seinem dritten Match war der HSV noch schwächer als unter Labbadia. "Das war ganz schlecht, da gibt es nichts schönzureden", räumte er am Tag danach ein. "Wir haben die Dinge sachlich, aber knallhart angesprochen." Zusammengestellt hat den Kader sein Vorgesetzter Beiersdorfer, der als Vorstand und Sportdirektor überfordert wirkt. "Das war nicht zu entschuldigen, wir befinden uns im Abstiegskampf", sprach Beiersdorfer. "Ich leide mit jedem Zuschauer mit und bin entsetzt, wie zaghaft, wie wenig geschlossen und zum Teil naiv unsere Spieler sich hier beim ersten Spiel des neuen Trainers gezeigt haben", sagt der Aufsichtsratsvorsitzende Karl Gernandt auf der HSV-Website.

Gegenüber der Bild konkretisierte er: "So eine sportliche Krise gab es in der Bundesliga-Geschichte des HSV noch nie". Er selbst werde "da nicht tatenlos zusehen. Es geht sportlich und in der Führung nicht mehr so weiter".

Besonders leidet der vorzügliche Torwart René Adler. Der Kapitän sagt, er habe "keine Lust, immer das Arschloch zu sein, das alles erklären muss. Ich habe keinen Bock mehr, mich auspfeifen zu lassen, das kotzt mich an. Wir haben alles vermissen lassen, was man braucht, um in der Bundesliga zu gewinnen. Wir haben uns abschlachten lassen, das ist auch eine Einstellungsfrage". So ist das beim Hamburger SV im Herbst 2016.

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