Nichts ist derzeit mehr wie früher, auch wenn der HSV gerade die gefühlt 20. Krise in elf Jahren durchlebt. So stellte sich der neue Aufsichtsratschef Marcell Jansen, der den Job vom am Samstag zurückgetretenen Max-Arnold Köttgen übernommen hatte, am Montag nicht in einer normalen Pressekonferenz vor, sondern beantwortete Fragen der Journalisten in einer virtuellen Sitzung abseits jeder Viren.
Drei Komplexen musste sich der 34-Jährige frühere Nationalspieler besonders annehmen: Will er Nachfolger des beurlaubten Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann werden? Welche Rolle hat Investor Klaus-Michael Kühne bei den Zwistigkeiten im Vorstand gespielt, die zu Hoffmanns Entlassung führten? Und hat der milliardenschwere Logistik-Unternehmer nun die Chance, weitere Anteile an der HSV-Fußball AG zu erwerben, von der er bislang 20,6 Prozent besitzt?
Jansen trat im dunklen Hemd und dunklen Sakko vor allem als "Teamplayer" auf. So bezeichnete er sich selbst und verwies darauf, dass "Risse" und ein "Vertrauensbruch im Vorstand" zur Freistellung Hoffmanns beim Zweitligaklub geführt hätten. Auch wenn Kühne kein Hehl daraus machte, dass er einen Führungswechsel befürworte, bezeichnete Jansen Vermutungen, Kühne habe im Hintergrund am Aus Hoffmanns mitgewirkt, als "absolut falsch".
Dass der Investor den Präsidenten des e.V., der Jansen seit anderthalb Jahren ist, auch gern an der Spitze der Fußball AG gesehen hätte, ließ den früheren Nationalspieler dagegen angeblich kalt. Er habe vorerst keine Ambitionen, auf den gut dotierten Vorstandsposten zu rücken, ließ er wissen. Er wolle die Amtszeit bis 2022 als Präsident mit "Leibe und Seele" zu Ende bringen. Was in "fünf bis zehn Jahren ist", könne er "natürlich nicht sagen". Jetzt baue er auf das verbliebene Vorstands-Duo Frank Wettstein (Finanzen) und Jonas Boldt (Sport). Das werde frei von "jeglichen Eitelkeiten" gute Lösungen für den HSV finden.
Andere Hoffnungen darf sich Kühne aber sehr wohl machen, nämlich auf weitere Anteile an der AG, an denen er schon länger Interesse hatte. Bislang dürfen laut Satzung nur 24,9 Prozent abgegeben werden. Der Abgang Hoffmanns, der eine größere Unabhängigkeit von Kühne zum Ziel hatte, und die Corona-Krise könnten dem Geldgeber sehr wohl in die Karten spielen. Zwar würde sich Jansen "ganz eng" mit den Supportern, Beiräten und allen Gesellschaftern besprechen, aber als Präsident sei es seine Aufgabe zu prüfen, was der Verein "als Option alles ausschöpfen" könne.
"Wir müssen Szenarien vorbereiten und unsere Hausaufgaben machen", sagte Marcell Jansen, der von 2008 bis 2015 für den HSV gespielt hatte. In Zeiten, in denen noch niemand wisse, wann wieder Fußball gespielt werden könne und damit die TV-Gelder wieder fließen, sei es das Wichtigste, "die Überlebensfähigkeit des HSV zu sichern".