Hamburger SV:Gisdol kämpft gegen die desaströse Bilanz

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Markus Gisdol: Hatte schon leichtere Aufgaben in seiner Trainerkarriere

(Foto: dpa)

Wie kann der Hamburger SV den Abstieg noch verhindern? Bei seiner Rückkehr nach Hoffenheim überrascht Trainer Gisdol mit neuen Maßnahmen.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

In dieser Woche wurde ein altes Foto aus den Archiven geholt: Links sitzt der Co-Trainer Julian Nagelsmann, damals 25, in der Mitte der zweite Assistent Frank Caspari - und rechts der neue Hoffenheimer Chefcoach Markus Gisdol. Das Bild stammt vom ersten Spiel dieses Trainerteams der TSG am 5. April 2013. Hoffenheim siegte 3:0 gegen Fortuna Düsseldorf. Im Endspurt dieser Saison holte Gisdol in nur sieben Spielen einen großen Rückstand zu den rettenden Tabellenplätzen auf, in der Relegation bewahrte er die Kraichgauer vor dem Abstieg.

Auch deshalb denkt Gisdol gern "an die spannende und schöne Zeit in Hoffenheim" zurück. Nagelsmann, inzwischen 29 Jahre alt und selber Cheftrainer, hat mittlerweile aus der TSG 1899 so etwas wie ein Spitzenteam geformt, weshalb Gisdol sagt: "Es ist schön zu sehen, dass unsere Arbeit fruchtbaren Boden hinterlassen hat." Er sieht sich noch immer als Wegbereiter des Hoffenheimer Wiederaufschwungs. Sein aktuelles Problem ist: Ob er das irgendwann auch von seinem neuen Arbeitgeber Hamburger SV wird behaupten können, ist sehr fraglich.

Wenn Gisdol an diesem Sonntag mit dem akut abstiegsbedrohten HSV an seinem alten Arbeitsplatz in Sinsheim antritt, kämpft er gegen eine desaströse Bilanz an: In den fünf Spielen unter seiner Regie gab es erst einen Punkt. Und noch nie ist ein Klub, der nach zehn Spieltagen erst zwei Zähler hatte, in der Bundesliga geblieben. Um das fast Unmögliche zu schaffen, hat Gisdol am Donnerstag überraschend seinen Kapitän ausgetauscht: Verteidiger Johan Djourou, der nach dem 2:5 gegen Dortmund vor zwei Wochen das System des Trainers mit Dreier-Kette als Grund für die Mängel in der Defensive angeführt hatte, wurde durch Gotoku Sakai ersetzt: "Veränderungen waren dringend erforderlich. Wir müssen viele Kleinigkeiten ändern, um die Gesamtsituation zu verbessern", erklärte Gisdol.

Ein Hockey-Olympiasieger soll helfen

Sakai, der deutsch-japanische Kämpfer, besitzt vielleicht den Charakter, der im Abstiegskampf nötig ist. Aber Profis mit dieser Eigenschaft sind im HSV-Team rar. Akute Personalnot verschärft nun auch noch die ohnehin angespannte Lage. Neben dem Rot-gesperrten Stürmer Bobby Wood fehlen in Hoffenheim drei weitere Leistungsträger: Torwart René Adler muss wegen einer Schleimbeutelentzündung im Ellenbogen operiert werden und fällt bis Jahresende aus; ihn ersetzt im Tor erstmals der aus Darmstadt geholte Christian Mathenia. Zudem sind die zentralen Defensivspieler Emir Spahic und Albin Ekdal nicht einsatzfähig.

In Hoffenheim hatte Gisdol einst eine halbe Mannschaft ausgetauscht und prominente Profis wie Tim Wiese, Tobias Weis oder Eren Derdiyok in die "Trainingsgruppe zwei" abgeschoben. Diesmal will er mit dem Kapitänswechsel eine "neue Kultur in die Mannschaft bringen". Dabei soll auch der neue Team-Manager Tobias Hauke helfen. Der jeweils zweimalige Olympiasieger und Europameister im Hockey, bisher in der Medienabteilung tätig, soll seine Erfolgsenergie einbringen. Die Idee stammt von Bernhard Peters, dem HSV-Jugendchef und früheren Hockey-Bundestrainer. Peters hatte sich auch für Gisdol in Hamburg starkgemacht. Er kennt den neuen Trainer aus Hoffenheim.

Der HSV wird wohl nochmal auf dem Transfermarkt zuschlagen

Aber anders als dort, wo der Schwabe Gisdol als heimgekehrter Sohn und Zögling von Erfolgstrainer Ralf Rangnick herzlich willkommen geheißen wurde, muss er sich beim HSV in einem deutlich heikleren Umfeld behaupten. Manche Profis bedauerten die Entlassung von Vorgänger Bruno Labbadia. Und in der Führungsetage steigt die Unruhe von Tag zu Tag; am Freitag erklärte Joachim Hilke, Vorstand für Marketing und Kommunikation, seinen Rücktritt zum Jahresende.

Aufsichtsratschef Karl Gernandt hat zwar den unglücklich agierenden Klubchef Beiersdorfer im Abendblatt auf den ersten Blick erneut gestützt, aber zugleich den Druck erhöht, indem er mit Blick auf die Gesamtlage von einer "lichterloh brennenden Hütte" sprach. Es gebe, so Gernandt, ein "Manöver des letzten Augenblicks". Bevor man eine Kollision nicht mehr verhindern könne, müsste der Aufsichtsrat wohl notfalls auch Beiersdorfer opfern.

Auch ein weiterer Nebensatz schmeichelte dem Klubchef nicht: Gernandt, Vertrauensmann von Investor Klaus-Michael Kühne, forderte Beiersdorfer auf, die Sportchef-Suche künftig "in einer professionellen Art und Weise zu betreiben, damit wir in der Außendarstellung nicht immer in ein öffentliches Pingpong-Spiel geraten". Zuletzt wurde mit Bochum quasi via Medien um die Ablöse für Wunschkandidat Christian Hochstätter gestritten. Nach dessen Rückzug ist der HSV weiter auf der Suche nach einem Sportdirektor.

Der Retter ist auch ein Teil des Problems

Gernandt sagt zudem mit bedrohlichem Unterton, man müsse das Ziel haben, "dass uns Herr Kühne in seiner generösen Unterstützung für den HSV nicht abhandenkommt". Er sei jedenfalls bereit, jedes finanzielle Risiko einzugehen. Nichts sei am Ende nämlich teurer als ein Abstieg. In der Winterpause wird der HSV daher mit Kühnes Hilfe wohl noch einmal auf dem Transfermarkt zuschlagen.

Der Retter Kühne, der sich mit seinem Intimus Gernandt ständig ins Tagesgeschäft einmischt, ist aber auch Teil des Problems. Dass er zu Beginn der Saison vom sechsten bis achten Tabellenplatz fabulierte, fällt dem HSV jetzt auf die Füße. Er müsse diese "Träumereien" einfangen, sagte Gisdol nun. Mal sehen, wie lange Kühne den Chefcoach in Ruhe lässt.

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