Süddeutsche Zeitung

Hamburger SV gewinnt in Stuttgart:Das Cardoso-Experiment gelingt

Trainer austauschen, einen 20-Jährigen in die Startelf beordern: So einfach ist das? Dank einer starken Halbzeit gewinnt der Hamburger SV 2:1 in Stuttgart und verlässt den letzten Tabellenplatz. Nach dem Spiel kann Sportdirektor Frank Arnesen nur halbherzig dementieren, dass Huub Stevens ab Montag neuer HSV-Trainer wird.

Carsten Eberts

Sein weißes Hemd hatte Rodolfo Esteban Cardoso recht weit aufgeknöpft. Zwei, vielleicht sogar drei Knöpfe ließ der Argentinier offen, er ließ seine blanke Brust blitzen, als herrschten in Stuttgart am Freitagabend mindestens 38,5 Grad. Vielleicht war Cardoso ob seiner gigantischen Aufgabe tatsächlich ein wenig warm: Als Interimstrainer sollte er versuchen, mit seinem vor lauter Krisengerede ganz schummrigen Hamburger SV zumindest einen Punkt aus Stuttgart mitzunehmen. Es gibt dieser Tage tatsächlich angenehmere Aufgaben.

Egal, was Cardoso in den vier Tagen seiner Interimstätigkeit mit dem HSV angestellt hatte: So schlecht kann es nicht gewesen sein. Dank einer starken zweiten Halbzeit gewann Hamburg 2:1 (0:1) beim VfB Stuttgart und reichte den letzten Tabellenplatz vorerst an den FC Augsburg weiter.

"Die drei Punkte waren verdient", sagte Cardoso nach der Partie, "es war zu spüren, dass die Mannschaft das Spiel unbedingt gewinnen wollte." Die Stuttgarter hingegen waren bedient. "Wir haben uns sehr blöd angestellt", sagte Serdar Tasci, "die Hamburger haben in der zweiten Halbzeit gut gespielt und es uns sehr schwer gemacht."

Cardoso überraschte gleich mit seiner Aufstellung. Im zentralen Mittelfeld setzte er auf Tomás Rincon und Robert Tesche, über rechts kam ein junger Mann namens Zhi Gin Lam, 20-jähriger Deutsch-Chinese aus der U23-Mannschaft des Klubs. VfB-Trainer Bruno Labbadia musste kurzfristig auf Tamas Hajnal verzichten, den muskuläre Probleme plagten. Ihn ersetzte Christian Gentner.

Stuttgart erwischte den besseren Beginn. Nach handgestoppten zwölf Sekunden drosch Cacau bereits den ersten Ball ans Hamburger Außennetz, fünf Minuten später musste HSV-Keeper Jaroslav Drobny gegen einen beherzten Schuss von Zdravko Kuzmanovic retten.

Bei Cardoso sorgte dies natürlich für Unbehagen. Dicht neben ihm saß übrigens Frank Arnesen auf der Auswechselbank. Jener Sportdirektor also, der seit seiner Verpflichtung eher unglücklich agierte, zahlreiche Spieler holte, die jedoch bislang nicht überzeugten, der Michael Oenning erst das Vertrauen aussprach, um ihn zwei Tage später doch zu feuern. Es hatte also etwas von einem Schulterschluss, den Arnesen übte: Er wollte Cardoso in dieser schwierigen Situation nicht alleine lassen.

In der 18. Minute wurde die schwierige Situation zunächst noch ein wenig schwieriger. Kuzmanovic zog erneut kraftvoll ab, Drobny konnte nur abklatschen und Martin Harnik, auch bekannt als Steve Urcle aus Österreich, schoss überlegt zum 1:0 ein. Vier Minuten später hätte Cacau bereits erhöhen können - doch der Nationalstürmer traf lediglich den Pfosten.

Es war jedoch keinesfalls so, dass der HSV wie ein Tabellenletzter auftrat. Das Mittelfeld stand durchaus solide, über Zhi Gin Lam und Gökhan Töre gelang der ein oder andere passable Vorstoß. Wer befürchtete, die Hamburger würden nach dem neuerlichen Rückschlag einbrechen, wurde überrascht.

Es war Abwehrmann Jeffrey Bruma, der schließlich den Hamburger Eifer belohnte. Nach einer Ecke von Gökhan Töre kam Bruma an den Ball, fast im Liegen brachte er das Spielgerät per Kopf mit Wucht aufs Tor, wo VfB-Keeper Sven Ulreich unvorteilhaft den Ball durchrutschen ließ (50. Minute).

Kurz darauf dann sogar die Führung: Wiederum nach einer Töre-Ecke konnten die Stuttgarter nicht klären, in hohem Bogen flog der Ball zu Tesche, der aus der Drehung volley abzog. Vor einer Woche hätte der Hamburger ganz sicher noch vorbeigetreten - doch diesmal schlug der Ball im linken, unteren Eck ein (68). Sollte der HSV tatsächlich gewinnen? Erstmals in dieser Saison, zum ersten Mal seit 13 Partien? Beim Debüt von Rodolfo Cardoso als Trainer?

Die Hamburger gewannen tatsächlich - hätten durch einen Freistoß von Mladen Petric (87.) und einen Distanzschuss von Romeo Castelen (89.) sogar noch mehr Tore schießen können. "Nach dem 1:1 haben wir einen ganz anderen HSV gesehen", jubelte auch Sportdirektor Arnesen nach dem Spiel. Auch für ihn war es das erste Erfolgserlebnis in Hamburg überhaupt.

Dann musste Arnesen doch noch mal ernst werden: Nach einem Bericht von bild.de soll der Niederländer Huub Stevens schon am Montag als neuer HSV-Coach vorgestellt werden, die Trainersuche beim HSV sei damit abgeschlossen.

Arnesen wehrte sich, zumindest ein bisschen, wiegelte ab - so richtig dementieren wollte er das Gerücht jedoch nicht.

Stevens selbst sagt: "Es gab Gespräche, aber es gab keine Gespräche, die bestätigen, dass ich HSV-Trainer bin." Hamburger Medien berichteten indes, der Fußball-Bundesligist müsse nur noch Details mit Stevens klären. Schon am Sonntag werde der 57-Jährige voraussichtlich einen Vertrag als Nachfolger des entlassenen Michael Oenning unterzeichnen.

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