Hamburger SV:Die nächste Stufe der Demoralisierung

Hamburger SV v SSV Jahn Regensburg - Second Bundesliga

Rabenschwarzer Sonntag: HSV-Torwart Julian Pollerbeck.

(Foto: Martin Rose/Getty Images)

Nach dem 0:5 gegen Regensburg gerät Trainer Christian Titz in die Kritik, weil er als seinen Auftrag das Schönspielen sieht.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Im Volksparkstadion hat es schon schlimme Niederlagen des Hamburger SV gegeben, nicht nur in den düsteren vergangenen fünf Jahren. Aber höher als 0:5 fielen sie nie aus, und die Gegner waren zweimal der FC Bayern (1974 und 2014) und einmal, im Jahr 1980, das damalige französische Spitzenteam AS St. Etienne mit Michel Platini im Uefa-Cup. Nun aber war es am frühen Sonntagnachmittag der bis dahin auf Rang 15 der zweiten Liga liegende SSV Jahn Regensburg. Und die Schlagzeile der Hamburger Ausgabe der Bild lautete am Montag: "Der tiefste Tiefpunkt der Vereinsgeschichte". Der HSV hat nach dem ersten Bundesliga-Abstieg im Mai eine weitere Stufe der Demoralisierung erreicht, obwohl die Elf noch immer auf Rang zwei steht.

Und wie es so ist, wenn man selbst als Zweitligist wieder bundesweit zum Gespött wird, erwartet Kapitän Aaron Hunt einen "hohen Wellengang" in der Hansestadt. Die Debatten erreichen auch den bis dato umjubelten Trainer Christian Titz, der mit seiner extrem offensiven Ausrichtung inklusive des Torwarts Julian Pollersbeck, der quasi der elfte Feldspieler ist, die spielerisch meist unterlegenen Gegner zum munteren Konterspiel einlädt.

Bei Pollersbeck ging das Dilemma am Sonntag auch los, weil Regensburgs Trainer Achim Beierlorzer längst analysiert hatte, wie man den spielfreudigen Keeper aus der Balance bringen kann. Nämlich, indem man ihn so bedrängt wie Jahn-Stürmer Sargis Adamyan, der ihm den Ball außerhalb des Strafraums abluchste und nach elf Minuten zum 0:1 ins Tor schoss.

Spekuliert Klubchef Hoffmann mit Roger Schmidt als Nachfolger?

Am Montag fiel das geplante Aqua-Jogging für die Profis aus, stattdessen wurde schon um 9.15 Uhr ein schmerzlicher Termin angesetzt, das Videostudium des sonntäglichen Desasters. Gleichwohl war Titz um Beruhigung bemüht: "Ich werde jetzt nicht die Spieler durchs Dorf treiben. Das finde ich deplatziert", ließ er wissen. Womöglich wird die Diskussion ohnehin diesmal mehr den Trainer treffen, der nach der Pleite selber sagte: "Es war beängstigend, wie wir verteidigt haben." Titz, der 50 schlaue Bücher über Fußball-Taktik geschrieben hat, muss als Profitrainer vielleicht lernen, dass sein erster Auftrag nicht Schönspielen, sondern der Aufstieg ist.

Er wird sich jedenfalls ein paar Fragen stellen müssen, eine hat Kapitän Hunt benannt. Man habe schon in den siegreichen Spielen viel zu viele Chancen zugelassen. Die Havarie habe sich quasi angedeutet, analysierte er, da solle man nicht "blauäugig" sein. Der System-Absturz hat auch mit den Ausfällen von Kyriakos Papadopoulos und Gideon Jung zu tun, die beide mit Knorpelschäden am Knie die komplette Hinrunde ausfallen. Die beiden hätten gewiss eine sehr solide Innenverteidigung abgegeben, während Rick van Drongelen, Leo Lacroix oder David Bates sogar in der zweiten Liga überfordert sind wie Azubis, die plötzlich den Chef geben sollen.

Allerdings haben sie in Matti Steinmann, einem Lieblingsspieler des Trainers, oft auch einen defensiven Mittelfeldspieler vor sich, der zwar einen guten Pass spielen kann, dafür aber deutliche Schwächen in Zweikampf und Tempo hat. Gegen Regensburg hat Titz diese Fehlbesetzung beim Stand von 0:2 nach einer halben Stunde korrigiert, da war es schon zu spät. Auch über andere Details wird gestritten. Etwa über die dauernde Rotation, die vielleicht bei einem Europacup-Teilnehmer sinnvoll ist, aber nicht bei einem Team, das gerade mal zwei englische Wochen bewältigen muss. Gegen Regensburg standen sechs neue Profis gegenüber dem in Dresden 1:0 siegreichen Team in der Startelf. Und auch um Pierre-Michel Lasogga, der in der zweiten Liga das Toreschießen wieder entdeckt hat, gibt es eine starke Fraktion, die ihn gerne von Anfang an stürmen sehen würde. Gegen Regensburg kam der Angreifer erst in der 46. Minute ins Spiel.

Womöglich ist diese Woche, die am Donnerstag mit dem Spitzenspiel in Fürth weitergeht und am Sonntag das Lokalderby gegen den FC St. Pauli als ersten Saison-Höhepunkt bereithält, für Titz' weitere Arbeit im Volksparkstadion schon wegweisend. Die frustrierten Anhänger haben sich beim Stand von 0:5 bereits am Stadtrivalen abgearbeitet, indem sie "Scheiß-St. Pauli"-Rufe anstimmten.

Entscheidend ist aber, wie die HSV-Führung den ersten Herbststurm wertet. Zu den Eigenschaften des Vorstandschefs Bernd Hoffmann zählt Geduld eher nicht. Mit Nachwuchschef und Titz-Fürsprecher Bernhard Peters wird gerade über einen Auflösungsvertrag verhandelt, und noch immer hält sich das Gerücht, dass Hoffmann am liebsten den früheren Leverkusener Trainer Roger Schmidt in Stellung bringen würde. Eine Trainerentlassung nach ein paar Spieltagen: Das wäre dann wieder der alte HSV.

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