Süddeutsche Zeitung

Hamburger SV:Der Ober-Minimalist

Der HSV festigt gegen Fürth den Ruf als effizientestes Team der zweiten Liga. Vor allem Rückkehrer Aaron Hunt gibt der Mannschaft Halt.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Aaron Hunt, 32, kennt Pfiffe des Publikums zur Genüge. Er hat sie in Bremen ertragen müssen, weil er mit seiner Körperhaltung "nicht immer gezeigt hat, dass er sich richtig reinhaut", wie ihn der ihm wohlgesonnene damalige Werder-Trainer Thomas Schaaf kritisierte. Er hat sie in Hamburg erfahren müssen. Erst, weil er 13 Jahre für den Erzrivalen aus der anderen Hansestadt spielte, das reichte. Dann, weil er etwa bei der 0:5-Niederlage gegen Jahn Regensburg "rausgepickt" wurde, wie er sagte. Doch die besonderen Erfahrungen mit unzufriedenen Fans haben ihn auch abgeklärt gemacht. Zu sehen war das am Montagabend beim 1:0 des Hamburger SV gegen die SpVgg Greuther Fürth, bei dem die Pfiffe auf keinen Fall Hunt, aber den meisten seiner Mitspieler galten.

"An Aaron können sich die anderen festhalten", lobt Trainer Hannes Wolf

Vielleicht war es das schlechteste der sieben weitgehend schlechten Rückrundenspiele des HSV, der in seiner derzeitigen Form ernsthaft um den Wiederaufstieg in die erste Bundesliga bangen muss. Nichts klappte, die Fürther übernahmen das Kommando. Bis zur 85. Minute, als Hunt den Ball nach einem Zuspiel von Kahled Narey derart cool zum 1:0 am Fürther Torwart Sascha Burchert vorbei dirigierte. Der HSV hat nun vor dem Derby am Sonntag gegen den Tabellenvierten FC St. Pauli zumindest den zweiten Platz zurückerobert.

Immer mehr wird der erfahrene Stratege in dieser jungen Mannschaft zum Glücksfall. Schon fünf Treffer hat der Mittelfeldspieler erzielt, viermal hat er damit einen Ein-Tore-Vorsprung der HSV-Minimalisten über die Zeit gerettet von insgesamt elf Siegen dieser knappen Art. Zuletzt fehlte er fast fünf Wochen mit einem Faszienriss. HSV-Trainer Hannes Wolf sehnte seine Rückkehr derart herbei, dass er ihm einen Lorbeerkranz an Komplimenten band. "Sein Ausfall hat uns schon getroffen", sagte Wolf. Er hoffe, dass Hunt sofort wieder auf einem Level ist, auf dem er der Mannschaft helfe. Hunt sei ein Spieler, "der vorne letzte und vorletzte Pässe spielt und Tore schießen kann", pries er den gebürtigen Goslarer. "An Aaron können sich die anderen festhalten."

Dabei war es sehr unwahrscheinlich, dass der in die Jahre gekommene Hunt diese Zweitligasaison beim HSV spielen würde. Mehrmals in den bisher dreieinhalb Hamburger Jahren stand ein Vereinswechsel fast bevor. 2017 war es der türkische Erstligist Trabzonspor, der ihn gern verpflichtet hätte, nachdem Hunt beim früheren HSV-Trainer Markus Gisdol keine Rolle mehr gespielt hatte. Am Ende sagte Hunt ab. Als beim HSV unter Wolfs Vorgänger Christian Titz wieder Fußball gespielt wurde und die Zeit der unter Gisdol und Bernd Hollerbach bevorzugten "langen Bälle" vorbei war, blühte Hunt derart auf, dass der dreimalige Nationalspieler sogar zum Kapitän befördert wurde.

Um diesen Aufwärtstrend zu erleben, hat er sogar wie Kollege Lewis Holtby sein stattliches Gehalt von mehr als drei Millionen Euro halbieren lassen. Am Montag ging es noch einmal gut, obwohl nicht nur Hunt die Leistung gegen Fürth als fußballerischen Offenbarungseid eingestuft hatte. Auch sein Coach Wolf war erschrocken: "Dass es Wellen gibt, ist normal. Aber dieses Tal war zu tief", zog er eine düstere Bilanz an diesem windigen Abend. Von der war aber Aaron Hunt ausgenommen, obwohl sich die jungen Mitspieler nur sehr bedingt an ihm festgehalten hatten und er selbst nach der Auszeit gerade mal so gut war, dass er als einer der wenigen HSV-Profis hin und wieder einen guten Pass spielte.

Dass die Stimmung vor dem Spitzenderby der zweiten Liga nicht schlecht ist beim HSV, war auch Schiedsrichter Christian Dingert zu verdanken. Der stellte Fürths früheren HSV-Profi Julian Green in der 67. Minute mit einer gelb-roten Karte vom Platz, und das war doppelt falsch. Erst war Green in Abseitsposition angespielt worden, da hätte Dingert schon abpfeifen müssen. Dann wertete er Greens Sturz nach einem Zweikampf mit Gideon Jung als Schwalbe, was ebenfalls eine eigenwillige Entscheidung war. Die Fürther fühlten sich derart heimgesucht, dass Sportdirektor Rachid Azzouzi schäumte: "Wenn die uns das vorher sagen, fahren wir erst gar nicht hierher."

Aaron Hunt war das am Ende egal. Aufstiegskandidaten gewännen halt auch solche missratenen Spiele, zitierte er aus dem Buch der Fußball-Weisheiten. So sahen es wohl auch die Fans, nachdem sie ihr Pfeifkonzert eingestellt hatten. Stattdessen riefen sie ihren Wunsch heraus: "Derby-Sieg, Derby-Sieg."

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SZ vom 06.03.2019
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