Hamburger SV:Demut schmückt den Dinosaurier

Hamburger SV

Hamburgs Spieler feiern gemeinsam den Torschützen.

(Foto: Axel Heimken/dpa)

6:2 gegen Stuttgart: Der HSV zeigt im Prestigeduell der Zweiten Liga, wie weit er mit seinem Wiederaufbau schon vorangekommen ist.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Wenn man vom neuen Hamburger SV redet, muss man auch von der neuen Hymne sprechen. Statt des arg überholten Liedes "Hamburg, meine Perle" von Lotto King Karl, in dem der HSV unter anderem dem FC Bayern noch immer die Lederhosen auszieht, obwohl es gegen den Rekordmeister zuletzt oft fast zweistellige Niederlagen setzte, heißt es im Werk der Punkrockgruppe Abschlach nun: "Mein Hamburg lieb ich sehr, sind die Zeiten auch oft schwer." Da klingt ungewohnte Demut durch, was angesichts der derzeitigen Zweitklassigkeit des ehemaligen Bundesliga-Dinosauriers angemessen ist.

Die neue Bescheidenheit tut dem Klub offenbar außerordentlich gut. Am Samstag hat der Tabellenführer HSV mit einem 6:2 im aufregenden Spitzenspiel gegen den VfB Stuttgart erneut bewiesen, dass die Zeiten wieder besser werden könnten - einschließlich der Rückkehr in Liga eins. Es passiert nicht oft, dass der strenge Trainer Dieter Hecking derart zufrieden ist, dass er seine eigenen Hinweise auf kleine Fehler selbst als Suche nach den "Haaren in der Suppe" tituliert. Er sprach davon, sein Team habe die Tore "herausragend herausgespielt" und auf die beiden Stuttgarter Gegentreffer im "Spiel der besten Mannschaften der Liga" stets die richtigen Antworten gefunden.

Selten gibt es in der zweiten Liga ein so attraktives Schauspiel zu bestaunen wie bei diesem Duell zweier gefühlter Erstligaklubs. Wobei die Hamburger zeigten, dass sie dem VfB in puncto Wiederaufbau vielleicht etwas voraus sind. Es fiel auf, dass den Stuttgartern die Balance zwischen Abwehr und Angriff fehlte, was ein wenig an die unglücklichen Zeiten des VfB-Trainers Alexander Zorniger erinnerte, der als Offensivverfechter scheiterte. Das von Hecking ausgemachte "unorthodoxe Offensivspiel" des VfB unter dem neuen Coach Tim Walter ging nicht auf, weil die HSV-Defensive deutlich konzentrierter agierte als die gegnerische Abwehr, der viele Missgeschicke unterliefen. Deshalb zog Walter eine ernüchternde Bilanz: Man habe "den HSV eingeladen, Tore zu schießen". Was nützte es da, dass die Schwaben 61 Prozent Ballbesitz hatten? Das Spiel diktierten sie trotzdem nicht.

Das hat auch damit zu tun, das die Hamburger unter dem neuen Sportvorstand Jonas Boldt und dem ebenfalls neuen Sportdirektor Michael Mutzel mit relativ wenig Geld eine neue Mannschaft zusammengestellt haben, in der Adrian Fein (20, Spiellenker, vom FC Bayern ausgeliehen), Sonny Kittel (Ingolstadt), Jeremy Dudziak (St. Pauli), Martin Harnik (Werder, ausgeliehen), Tim Leibold (Nürnberg) und Lukas Hinterseer (Bochum) sich bestens in das Konzept des neuen Trainers Dieter Hecking einführten. Zudem hat sich der schnelle Außenspieler Bakery Jatta, 21, so prächtig entwickelt, das der wieder herausragende Gambier (um dessen Alter und Identität viel spekuliert wurde und wird) schon mit der U21-Auswahl des DFB in Verbindung gebracht wird.

Der HSV hat einen Kader, der immer wieder Überraschungen bietet. Gegen die Stuttgarter tauchte plötzlich der fast vergessene Christoph Moritz in der Startelf auf und verhinderte mit gutem Stellungsspiel, dass der VfB seine Angriffe wie gewünscht aufbauen konnte. Allerdings kam den Hamburgern auch eine frühe Führung zugute, denn Referee Deniz Aytekin sprach ihnen einen Elfmeter zu, den vielleicht nur die Hälfte seiner Kollegen gepfiffen hätten: Maxime Awoudja hatte Dudziak nur minimal berührt, der Mittelfeldspieler fiel, und Kittel setzte den Strafstoß in der 13. Minute in die linke Ecke. Und noch einmal erwies sich, dass der 21 Jahre alte Awoudja in dieser Partie nicht der optimale Ersatz für den gesperrten Holger Badstuber war. In der 24. Minute ließ er sich von Jatta der Ball mopsen, und der verwandelte zum 2:0. Als der VfB in der 32. Minute per Kopfball von Nicolas Gonzales das 2:1 erzielte, antworteten die Hamburger vier Minuten später mit einem fantastischen Spielzug: Kittel vollendete zum 3:1, nachdem Jatta den Kollegen Moritz eingesetzt hatte und dieser präzise auf Kittel flankte. Der weist nun schon sieben Saisontreffer auf. Und als Gonzalo Castro kurz nach der Pause einen HSV-Eckball zum 4:1 ins eigene Tor setzte, schien es gelaufen zu sein.

Stimmte aber nicht ganz. Als Silas Wamangituka das 4:2 erzielte (63.) und kurz darauf Philipp Förster das 4:3, dachten viele Zuschauer an ein dramatisches Finale. Doch der Videoschiedsrichter wies auf das Handspiel des Zuspielers Gonzales hin, das Tor des VfB wurde aberkannt. Stattdessen konterte der frühere VfB-Profi Martin Harnik (73.) zum 5:2. Und als Adrian Fein in der Nachspielzeit das 6:2 gelang, war bei den HSV-Fans von schweren Zeiten nicht mehr die Rede. Sie stimmten den altehrwürdigen Song "Oh, wie ist das schön" an.

Am Dienstag kommt es schon zur Neuauflage an gleicher Stelle, diesmal im DFB-Pokal. VfB-Trainer Walter, der gerade die dritte Niederlage nacheinander hinnehmen musste, will trotzdem "nicht die weiße Fahne hissen". Sein Sportdirektor Sven Mislintat hingegen gratulierte dem HSV schon mal "zum ersten Aufstiegsplatz". Der Versuch, den Gegner in Sicherheit zu wiegen?

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