Süddeutsche Zeitung

Hamburger SV:Bakery Jatta beim HSV - Traum eines Flüchtlings

Von Peter Burghardt, Hamburg

Da sitzt also der junge Mann, über den Hamburgs Fußballfreunde staunen. Bakery Jatta, 17 Jahre alt. Herkunft: Gambia. Status: unbegleiteter minderjähriger Flüchtling. Bis vor ein paar Tagen war er ein unbekanntes Talent in einer Schar von Schutzsuchenden. Jetzt wurde dieser schlanke, große Westafrikaner über Nacht zur Attraktion und findet sich an einem verschneiten Mittag in diesem Büro in der niedersächsischen Provinz wieder.

Der Hamburger SV interessiert sich für ihn. Zeitungen würdigten seinem famosen Auftritt kürzlich im Probetraining beim HSV, wo Bakery Jatta ein Tor vorbereitet hat, Boulevardblätter liegen vor ihm. "Ein Traum", sagt er. "Es ist voll der Hype um den Jungen", sagt einer der vier erwachsenen Männer, die ihn inklusive Reporter an einem langen Besprechungstisch mit Kaffee und Gebäck einrahmen.

Über seine mutmaßliche Odyssee will Bakery Jatta vorläufig nicht sprechen

Bisher war dieses Phänomen ein Rätsel gewesen, die Gerüchte klangen märchenhaft. Durch Wüste und übers Meer geflohen. Nie im Verein gespielt. Noch keine 18. Und nun bald Fußballprofi in einer der besten Fußball-Ligen der Welt? Die Erkundung ereignet sich in der "Akademie Lothar Kannenberg", deren Zentrale neben einer Gaststätte, einer Bäckerei und einem Beauty Salon in einem Hinterhof der Samtgemeinde Bothel liegt. Kannenberg, 58, hat selbst eine erstaunliche Geschichte. Er war Fleischer, Türsteher, Alkoholiker, Boxer, drogensüchtig, krebskrank. Seit einer Therapie ist er Streetworker und gründete Unterkünfte, Ausbildungsstätten und Sportzentren für gewalttätige und mittlerweile auch Hunderte asylsuchende Halbwüchsige. Seine Erziehungsmethoden ("wecke den Löwen in dir!") sind umstritten, aber der Autodidakt Kannenberg bekam das Bundesverdienstkreuz und den Förderpreis für Kriminalprävention. An den Wänden hängen Fotos mit Angela Merkel und dem Boxweltmeister Arthur Abraham, den er entdeckt hat. Respekt Coach steht auf seiner blauen Trainingsjacke und der seines Mitarbeiters Fadhel Souafi, der sich um das neue Juwel der Einrichtung kümmert.

Bakery Jatta trägt modische Schuhe, Jeans, Kapuzenpulli, Afrolook. Anders als die meisten Spieler kam er indes offenbar durch die Sahara und über das Mittelmeer, eine lebensbedrohliche Route. Deutschland erreichte er im Sommer vergangenen Jahres anscheinend nur mit einer Tasche oder Tüte. "Wahnsinn", raunt sein Betreuer Fadhel Souaifi. Seine Heimat Gambia in Westafrika ist bettelarm, islamisch und wird von einem Regime beherrscht. Einzelheiten kann man allenfalls ahnen, denn für dieses Gespräch gibt es Regeln. Über seine mutmaßliche Odyssee soll und will Bakery Jatta, selbst Muslim, vorläufig nicht sprechen. "Wir reden später darüber", sagt er auf Englisch, seiner Muttersprache. "Wenn wir einen Reiz auslösen, können wir den falschen Nerv treffen", erläutert auf der anderen Tischseite Mahmut Aktas, der hier seinen Cousin und Spielervermittler Efe Aktas vertritt.

Das Manöver soll behutsam angelegt werden. Die unergründliche Fußballwelt ist voller enttäuschter Hoffnungen. Jedenfalls kam Bakery Jatta im Juli oder August 2015 über eine Bremer Erstaufnahme zur Akademie Kannenberg, wo seine Begabung dem Vernehmen nach schnell auffiel. Bremens Africa-Cup afrikanischer Zuwanderer gewannen die Gambier sogar. Er habe zu Hause zwar in keinem richtigen Klub gespielt, aber bei einer Art Fußballschule und ständig vor dem Haus. Auch sei sein Opa gut am Ball gewesen.

Die Akademie Kannenberg baute ihn mit Sondertraining auf und kontaktierte den Bremer Berater Aktas. Der brachte ihn im fremden Exil erst zu Werder, wo bereits Jattas Landsmann Ousman Manneh gelandet ist. Manneh soll 18 Jahre alt und ebenfalls aus Gambia geflüchtet sein - in einem Freundschaftsspiel schoss er vier Tore für den Erstligisten, musste jedoch nachher zur U23. Das Nachwuchsteam war Bakery Jatta zu wenig, so nutzte Aktas seine Kontakte zum HSV-Präsidenten Dietmar Beiersdorfer. Bereits bei der ersten Probe spielte der Prüfling nach einem Doppelpass den Stürmer Sven Schipplock frei, der traf. Obwohl Jatta zum ersten Mal Schnee sah und bei minus sieben Grad auch noch darauf Fußball spielen sollte. "In Gambia ist es nie kalt, berichtet er. "Der Junge kann kicken", befand Trainer Bruno Labbadia. "Er hat viele Sachen richtig gemacht." Die Hamburger überlegen, ihm eine nächste Chance zu geben und womöglich sogar einen Vertrag.

Ins Trainingslager in die Türkei flogen sie ohne ihn, seine Rechtslage ("Duldung") hätte die Reise auch gar nicht erlaubt. Anschließend will der HSV weiter sehen. Ein Job hätte für Bakery Jatta obendrein eine Aufenthaltsgenehmigung zur Folge, wobei er sich schon jetzt lieber als football player sieht denn als refugee, als Flüchtling. Er verehrt den Brasilianer Neymar, "mein Idol", und mochte Mario Götze am liebsten, als der für Borussia Dortmund trickste. Er kannte Deutschlands Fußball aus dem Fernsehen, aber vom HSV nur Ivica Olic, und den aus seiner Zeit bei den Bayern. Es half ihm Kapitän Johan Djourou, der als Baby von der Elfenbeinküste kam und mit 17 zu Arsenal ging. "Sie haben mich aufgenommen wie einen Bruder", schwärmt Bakery Jatta, der aus Gambia an den Rand des Volksparkstadions geriet. Er lernt Deutsch und mag Deutschland überhaupt, "die Deutschen sind so offen".

Er könne Bundesliga spielen, das hatte Jatta seinen Ratgebern auch verkündet, als sie sich auf der Tribüne zwei Spiele ansahen. "Der rockt das, der findet seinen Platz", glaubt Kannenberg. Dann drängen die Begleiter zum Aufbruch zurück nach Bremen - und erklären ihrem wertvollsten Schüler, was "Glatteis" bedeutet.

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SZ vom 09.01.2016/mane
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