Hamburger SV:Abstiegskampf ohne Kampf

Hamburger SV v Bayer 04 Leverkusen - Bundesliga

Abgewehrter Platzsturm: Ordnungskräfte hindern die HSV-Fans daran, den Rasen zu betreten.

(Foto: Martin Rose/Getty)

Beim 1:2 gegen Leverkusen wirken beim HSV selbst die erfahrenen Spieler überfordert - und die aufgebrachten Fans verunsichern die Mannschaft zusätzlich.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Die ewige Uhr im Volksparkstadion zeigte am Samstag 54 Jahre und 177 Tage an. So lange spielt der HSV nun ohne Unterbrechung in der Bundesliga, und die Digitaluhr läuft ständig mit. Doch der Abstieg naht, allein Köln ist in der Tabelle schlechter - und nach dem 1:2 (0:2) gegen Bayer Leverkusen verhinderte nur die Polizei einen Platzsturm. Sechs Punkte liegt der HSV nach dem zehnten sieglosen Spiel in Serie schon hinter Rang 16, der wenigstens zum Entscheidungsspiel um den Klassenerhalt berechtigt. Dies ist jener auch nicht besonders schöne Platz, auf dem der HSV seit Jahren Stammgast zu sein schien. Eine derart heikle Lage, das ist in Sport und Politik nicht anders, kommt meist der Opposition zu Gute.

Und so war es fast folgerichtig, dass am Tag nach der Niederlage beim Hamburger SV e.V. - dem Universalsportverein mit den 30 Sporarten - ein Wechsel auf dem Präsidentenstuhl stattfand. Herausforderer Bernd Hoffmann, 55, setzte sich mit 585 zu 560 Stimmen gegen Amtsinhaber Jens Meier, 51, durch. Damit wurde das Comeback eines guten Bekannten eingeleitet, Hoffmann war von 2003 bis 2011 bereits Vorstandsvorsitzender des HSV. Erwartet wird, dass Hoffmann die Hinwendung vom Breitensport zum Profifußball beschleunigen wird, wie er in seiner Antrittsrede andeutete: "Ein ,Weiter so' kann es nicht geben. Wir haben ein anderes Verständnis von Präsidiumsarbeit. Die Herzkammer des e.V. schlägt am Ende in der Fußball AG."

Hoffmann bekommt qua Satzung automatisch einen Sitz im Aufsichtsrat der AG. Er hat damit direkt Einfluss auf die Fußball-AG, an der der e. V. mit 76,19 Prozent beteiligt ist. Es ist quasi ein Comeback durch die Seitentür, denn Hoffmann macht keinen Hehl daraus, dass er den Aufsichtsrats-Vorsitz anstrebt. Die AG wurde 2014 gegründet, also nach dem Rückzug Hoffmanns, unter dem der HSV letztmals in der Champions League spielte. Warum es trotz AG weiter abwärts ging, liegt auf der Hand: Auch mit Hilfe des Geldes von Investor und Mäzen Klaus-Michael Kühne traf nicht nur der Aufsichtsrat strittige Entscheidungen. So kommt die von häufig wechselnden Verantwortlichen zusammengestellte Mannschaft seit Jahren nicht in die Spur.

Einerseits, weil mit Kühnes Geld wenig Sinnvolles angestellt wurde. Aber auch, weil man in diesem Winter trotz der misslichen Tabellenlage erstmals Kühnes Hilfe und damit personelle Verstärkung ablehnte. Hoffmann will nun massiv ins Getriebe des Klubs eingreifen, so fordert er, dass neben Vorstandschef Heribert Bruchhagen schnellstmöglich ein Sport-Vorstand installiert wird. Kein Wunder, dass sich die Situation im ständig aufgewühlten Gesamtverein auch am Samstag erneut auf dem Spielfeld spiegelte. Verunsichert nicht nur durch die schlecht gelaunten HSV-Fans liefen die Profis den spielerisch eine Klasse besseren und souverän bis fast arrogant aufspielenden Leverkusenern anfangs nur hinterher.

Lange sah es aus wie ein freiwilliger Abstieg ohne Kampf. Als der Brasilianer Douglas Santos kurz vor der Pause einen Fehlpass des Leverkuseners Dominik Kohr im Strafraum doch noch vertändelte, hatte es Leon Bailey leicht, den Ball zum 0:1 im HSV-Tor unterzubringen. Und als kurz nach der Pause Kai Havertz ein Zuspiel von Benjamin Henrichs spielerisch leicht zum 0:2 verwandelte, hatte man das Gefühl, eher falle das 0:3 als je ein Tor für den HSV.

Doch dann, als die Partie fast gelaufen zu sein schien, erwachten die Hamburger. In der 66. Minute scheiterte der eingewechselte Bobby Wood an Bayer-Torwart Bernd Leno. In der 71. Minute erzielte der ebenfalls eingewechselten André Hahn den Anschlusstreffer. Und dann machten die Hanseaten mit dem Mut der Verzweifelten noch einmal Druck, allerdings vergeblich. Auch harte Zweikämpfe, die vor gut einem Jahr beim 1:0-Sieg des HSV, so erinnerte sich Bayer-Coach Heiko Herrlich, "nicht mehr innerhalb der Grenzen gewesen" waren, stoppten die Gäste diesmal nicht. Gleichwohl zählte Herrlich auch diesmal nach dem Spiel einen Verwundeten. Schon in der 16. Minute musste Wendell ausgewechselt werden. Auch Sejad Salihovic hätte nach einem Foul an Kevin Volland die rote statt der gelben Karte sehen können. Und Sven Bender humpelte mal wieder, wie so oft, in die Kabine.

Was aber kann dem HSV, der am Vorabend vom 2:0-Sieg des Tabellen-Nachbarn Mainz in Berlin geschockt worden war, nun noch Hoffnung machen? Schließlich waren ja nicht nur Spieler wie der erst 18-jährige Jan-Fiete Arp mit der kritischen Lage überfordert, sondern auch erfahrene Leute wie Kapitän Gotoku Sakaim oder Innenverteidiger Mergim Mavraj. Erst als fast alles vorbei war "haben sie wieder die Moral gezeigt und alles reingehauen, wie ich es aus den ersten Spielen kannte", resümierte Hollerbach. Der neue Trainer will mit der Mannschaft über die ersten 60 Minuten intensiv reden.

Trotzdem ist es momentan schwer vorstellbar, wie der HSV am Samstag im Nordderby bei Werder Bremen bestehen will.

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