Süddeutsche Zeitung

Hamburger SV:Ab in die Sportschule

Die wohl letzte Chance in dieser Saison: Im Trainingslager in Barsinghausen sollen die fremdelnden Spieler der kriselnden Hanseaten rasch zu einer Einheit werden.

Von Tobias Schächter, Hoffenheim

Wenn ein Bundesligist während der laufenden Saison ein Trainingslager bezieht, ist dies meist ein Verzweiflungsakt. Diese Spielzeit ist zwar erst elf Spieltage alt, aber Markus Gisdol hat bereits erkannt, dass es für seinen Hamburger SV fast schon zu spät ist. Nach dem 2:2 bei der TSG Hoffenheim sagte der Trainer des HSV: "Es gibt vielleicht keine zweite Chance mehr in dieser Saison."

Gisdol ist seit sechs Spieltagen als Nachfolger von Bruno Labbadia im Amt und hat am Sonntag bei seinem alten Klub das erste kleine Erfolgserlebnis gefeiert. Ab Mittwoch geht es bis Freitag also ins Trainingslager nach Barsinghausen, in die Sportschule. Gisdol beschwört die Einheit vor dem Derby am Samstag gegen Werder Bremen. Ein Heimsieg könnte die Trendwende einleiten, glaubt Offensivspieler Nicolai Müller. Werder liegt ja nur vier Punkte vor dem HSV, der nächste Auswärtsgegner Darmstadt 98 hat nur fünf Punkte mehr. Das Pünktchen in Hoffenheim und das Programm machen dem HSV Hoffnung.

Wer Trainer Gisdol und seinen Spielern nach dem Abpfiff zuhörte, der hätte glauben können, der HSV habe gerade mindestens den DFB-Pokal gewonnen. Es mag verständlich sein, dass sich in so einer Situation alle Mut zusprechen und die Wörter "Zusammenhalt", "Teamgeist" und "Geschlossenheit" in einem fort verwenden. Allerdings wurde so auch klar, dass diese Grundwerte beim HSV bislang fehlten.

Es stimmt, dass Profis wie die Torschützen Filip Kostic und Nicolai Müller oder Lewis Holtby am Sonntag viel besser spielten als zuletzt. Zur Wahrheit gehört aber auch: Der HSV nahm auch deswegen einen Punkt aus Hoffenheim mit, weil die Gastgeber ihr schlechtestes Saisonspiel zeigten und die nach wie vor aberwitzigen Schwächen in der HSV-Abwehr nicht zu mehr Toren nutzten. Und Fakt bleibt: Der HSV ist weiterhin Tabellenletzter und ohne Sieg.

Das Trainingslager in Barsinghausen ist nun der letzte Ausweg und zugleich ein neuer Anfang. Gisdol hat nämlich schon viele Personal- und Positionswechsel vorgenommen, manche unfreiwillig wegen Verletzungen. Er hat Johan Djourou die Spielführerbinde weggenommen und Gotoku Sakai zum neuen Kapitän ernannt. Es gibt jetzt Präsenzzeiten auch nach dem Training, die ausländischen Profis müssen Deutsch lernen. Gisdol sagt: "Die Mannschaft steht über allem - das ist meine große Botschaft. Wir werden extrem auf Zusammenhalt und Geschlossenheit achten und diesen Weg kompromisslos durchziehen." Gisdol hat diesen Kader nicht zusammengestellt, Trainer und Spieler schienen bislang zu fremdeln. Nun will und muss Gisdol die Einheit forcieren, nur wegen eines Punktgewinns in Hoffenheim ist das Chaos im Klub ja nicht kleiner geworden.

Vorstandsboss Dietmar Beiersdorfer hat sich bei der Suche nach einem Sportchef bislang so sehr blamiert, dass er von Aufsichtsratschef Karl Gernandt öffentlich angezählt wurde. Weitere Finanzspritzen von Mäzen Kühne für notwendige Verstärkungen in der Defensive sind noch nicht gesichert. Und nach Mediendirektor Jörn Wolf kündigte in der vergangenen Woche auch der Marketing-Vorstand Joachim Hilke seinen Abschied zum Jahresende an. Eine Niederlage gegen Bremen würde die Unsicherheit bei diesem HSV auf die Spitze treiben.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2016
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