Hamburger SV:Starke Offensive und unverhoffte Harmonie

HSV: Simon Terodde jubelt gegen Fortuna Düsseldorf

Simon Terodde (rechts) jubelt mit Teamkollege Klaus Gjasula nach einem Elfmeter-Treffer

(Foto: dpa)

Der HSV ist klarer Tabellenführer der zweiten Liga, und es herrscht sogar Ruhe im Klub. Was ist da in Hamburg los?

Von Thomas Hürner, Hamburg

Stille kann ein gutes Zeichen sein, selbst wenn ringsum sowieso alles ein bisschen stillsteht. Was wäre in normalen Zeiten jetzt wieder los in der Hansestadt, die auch Weltstadt sein will? Und in der bisweilen ähnliche Ansprüche an den örtlichen Fußballklub gestellt wurden. Diese pandemische Tristesse hat nichts Gutes, aber wenn das Gute angeblich immer irgendwo zu finden ist, vielleicht hier: in normalen Zeiten, in denen der Fußball auch den Puls der Stadt bestimmt, wären auch rund um den Hamburger SV wieder trügerische Schwingungen zu vernehmen.

Wie oft hat es das schon gegeben? Knisternde Euphorie, die von ein paar Herren zweckentfremdet wird für deren persönliche Positionierung in den gewichtigen HSV-Gremien. Über die lokalen Medien streuen die Intriganten dann ein paar Gerüchte, was einen prominenten Milliardär veranlasst, sich ebenfalls an der Debatte zu beteiligen. Die Stadt beginnt zu diskutieren, die Mannschaft zu zerbröseln. Da helfen dann auch keine Meldungen mehr wie jene, die in diesem Wortlaut in der heutigen Zeit Irritationen auslösen dürfte: "Klub-Legende überraschend positiv", stand im Februar in einer Hamburger Zeitung. Gemeint war Felix Magath, und der hatte prophezeit: "HSV steigt trotz Derby-Pleite auf!" Es kam bekanntlich anders.

Die Tore schießt Simon Terodde, der zum Teil noch vom 1. FC Köln bezahlt wird

Am Freitag nun geht es für den HSV wieder um die Stadtmeisterschaft gegen den FC St. Pauli; ein Duell, das immer auch Milieustudie ist: Traditionsbeladener Ex-Gigant empfängt rebellischen Kiez-Klub, das vorerst letzte Mal vor 1000 Zuschauern. Im Selbstverständnis des HSV ein Duell von beträchtlichem Ungleichgewicht, was in dieser Saison bisher auch nicht widerlegt wurde: Die Hamburger haben mit fünf Siegen aus fünf Partien einen makellosen Saisonstart und eine vereinsinterne Bestmarke hingelegt. Und sind klarer Tabellenführer in der zweiten Liga. Trotzdem hat zuletzt keine Vereinslegende eine Aufstiegsdebatte angestoßen, ebenso wenig die Herren im Aufsichtsrat, auch von Milliardär, Mäzen und Chefkritiker Klaus-Michael Kühne war lange nichts zu hören. Ein kleiner Indikator für neue Genügsamkeit, mehr nicht. Dennoch: Es war jetzt lange ungewöhnlich still rund um den HSV.

"Ruhe und Kontinuität" hatte Jonas Boldt als Primärziel ausgegeben, als er vor eineinhalb Jahren seinen Dienst als Sportvorstand beim Hamburger SV antrat, wie so viele vor ihm auch. Das war insofern bemerkenswert, da Boldt während seiner vorherigen Tätigkeit als Kaderplaner von Bayer Leverkusen eine gewisse Neigung zur Ungeduld nachgesagt wurde.

Boldt, 38, gehört dennoch zu den selbstbewussteren Akteuren der Branche - und sieht sich nicht nur wegen seiner Körperlänge von etwa zwei Metern der immer noch großen Aufgabe gewachsen. Vor dem Stadtderby sagt Boldt am Telefon, dass man sich beim HSV nicht mehr "nur vom reinen Ergebnis leiten" lassen wolle. Und: "Wir werden nicht mehr nur von der Hand in den Mund leben."

Was HSV-Trainer Daniel Thioune anders macht

Es dürfte allerdings auch nicht viel anderes übrig bleiben: Jahrelang wurde in Hamburg notorisch über die eigenen Verhältnisse gewirtschaftet. Im Sommer sprang auch noch der Hauptsponsor ab, und der genervte Mäzen Kühne möchte nicht mehr den Erhalt des Stadionnamens mit vier Millionen Euro jährlich bezuschussen. Der Mannschaftsetat wurde deutlich heruntergeschraubt, von angeblich 30 auf 23 Millionen. Der Stadtrivale steht übrigens nicht viel besser da: Als erster Profiklub hat St. Pauli einen KfW-Staatskredit erhalten.

Beim HSV galt es im Sommer, die Scherben aufzusammeln, die der grotesk verpatzte Aufstieg hinterlassen hatte. Trainer Dieter Hecking warf hin, obwohl Boldt gerne mit ihm weitergemacht hätte. Zur Verwunderung einiger Beobachter wurde ein eher unbekannter Nachfolger präsentiert, Daniel Thioune, vormals VfL Osnabrück. Ein Coach, der hervorragend mit dem "angepassten Weg" des HSV harmoniere, sagt Boldt. Thiounes Pflichtspiel-Einstand ging mit einem 1:4-Pokaldesaster in Dresden gründlich daneben, doch seitdem spielte der HSV so gut wie lange nicht: ordentlich gestaffelt in der Defensive, variabel und durchaus ansehnlich im Angriff. Unter Hecking wirkte das Hamburger Spiel zwar meistens routiniert, aber auch steril, vor allem gegen Ende ohne jegliche Inspiration. Und wenn's drauf ankam, naiv und fahrig.

Thioune, 46, hingegen verändert die fußballerische Arithmetik, wenn er es geboten sieht. Nach einem 3:0 gegen Erzgebirge Aue machte eine kleine Geschichte die Runde: Ein Auer Profi, hieß es hinterher im Volksparkstadion, habe sich immer wieder bei sei seinem Gegenspieler nach dem System erkundigt, verwirrt vom Variantenreichtum des Hamburger Fußballs.

Gerichtsfeste Belege lassen sich dafür zwar nicht vorlegen, es ist aber dennoch ersichtlich, dass es vor der Saison auch darum gegangen war, "alte Hierarchien" aufzubrechen, wie Boldt es formuliert. Mittelfeldmann Aaron Hunt, 34, wurde von Thioune als Kapitän abgesetzt, was einen befreienden Effekt auf den Spieler zu haben scheint. Der neue Kapitän indes, Außenverteidiger Tim Leibold, scheint sich wohlzufühlen mit der zusätzlichen Verantwortung; Kreativmann Sonny Kittel tänzelt wieder durch die gegnerischen Reihen, auch die Zugänge fügen sich bislang ins Bild: Moritz Heyer, wie Trainer Thioune aus Osnabrück gekommen, stabilisiert wahlweise Abwehr oder defensives Mittelfeld. Und Stürmer Simon Terodde, ausgeliehen aus Köln, hat bereits sechs Treffer erzielt. Dass der Erstligist angeblich weiter einen Großteil seinen Gehalts bezahlt, ist eine fast schon ironische Pointe fürs Narrativ des neuen, puritanischen HSV.

Klingt alles wieder viel zu schön, um wahr zu sein, wie so häufig in Hamburg, ehe die Stille von krachenden Debatten weggeblasen wird. Sportvorstand Boldt jedenfalls würde seinen im kommenden Sommer auslaufaufenden Vertrag gern verlängern, im Aufsichtsrat wird offenbar noch gezögert. Durchaus ein Thema in Hamburg, aber wie groß wäre es in normalen Zeiten gewesen?

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