Süddeutsche Zeitung

Hamburger Olympiabewerbung:Den Bürger umarmen

  • Hamburg will in seiner Olympiabewerbung alles richtig machen und die Hamburger von Grund auf an den Planungen für das Großprojekt beteiligen.
  • Schon jetzt stellen die Planungsbüros erste Entwürfe vor. Dabei wird klar, wie unterschiedlich die Wünsche der Bürger sind - und dass die Frage nach den Kosten erst spät beantwortet werden kann.
  • Im November sollen die Bürger bei einem Referendum über die Bewerbung abstimmen.

Von Hannah Beitzer, Hamburg

Die Bebauung des Tempelhofer Feldes in Berlin ging spektakulär in die Hose, weil die Berliner nicht mitmachten. Die Münchner, Garmisch-Partenkirchener, Berchtesgadener und Traunsteiner watschten die Politik im Volksentscheid zu Olympischen Winterspielen ab. Und die monatelangen Proteste gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 sind auch noch nicht vergessen.

Da drängt sich der Eindruck auf, dass es schon bessere Zeiten für städtebauliche Großprojekte in Deutschland gab. Trotzdem bewirbt sich die Stadt Hamburg für die Olympischen Sommerspiele im Jahr 2024. Wichtiger als die Frage, ob die Hansestadt tatsächlich eine Chance hat, scheint zurzeit die Frage: Geht das überhaupt noch, so ein Vorhaben in Deutschland? Oder haben die Deutschen darauf einfach keinen Bock mehr?

Hamburg muss zeigen, dass Großprojekte noch funktionieren

Hamburg will zeigen, dass es geht: indem Politik und Planer die Bürger von Anfang an einbinden. Und so präsentierte Dorothee Stapelfeldt, Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, gemeinsam mit den zuständigen Planungsbüros, Sportstaatsrat Christoph Holstein und Oberbaudirektor Jörn Walter den Hamburgern in einer öffentlichen Bürgerversammlung erste Pläne für die "Olympic City" auf dem Kleinen Grasbrook.

Bis ins Detail erklärten die Planer ihre Ideen, zeigten den 650 Zuschauern Skizzen zur Verkehrsanbindung und mehrere Entwürfe für das Olympiastadion: zur Stadt hin offen, als Park mit viel Grün in der Mitte oder doch mit einem Heliumballon als Dach? Sicher ist bisher nur, dass die Stätten nach den Spielen umfunktioniert werden sollen. Hamburg hat sich der Nachhaltigkeit verschrieben und will kein teures Olympiastadion, das nach den Spielen leersteht und nichts als Kosten verursacht. Stattdessen soll zum Beispiel auf dem Kleinen Grasbrook ein komplett neuer Stadtteil entstehen.

"Wir wollen olympische Stätten schaffen, die auch nach ihrer Nutzung sinnvoll sind", sagt Senatorin Stapelfeldt. Der Senat verkauft Olympia offensiv als städtebauliche Chance, es geht in der Bürgerversammlung so viel um neue Wohnungen und Parks, dass man zwischendurch fast vergisst, dass vorher noch die Olympischen Spiele in der Stadt wären.

Kritik gibt es aus allen Richtungen

Trotzdem gibt es natürlich haufenweise Bedenken. Die Hafenwirtschaft fürchtet, Flächen zu verlieren. Bürger der anliegenden Stadtteile Veddel und Wilhelmsburg fürchten steigende Mieten - was die Stadt mit dem Versprechen abzufedern versucht, dass ein Drittel der neuen Wohnungen geförderter Wohnbau sein sollen. Und was ist eigentlich mit den jahrelangen Bauarbeiten, fragt ein Wilhelmsburger. Ein anderer Zuschauer beklagt hingegen, wie wenig ehrgeizig die Pläne seien. Warum das Stadion zurückbauen und nicht einfach weiter als Stadion nutzen? Schon an diesem Abend ist klar, dass die Politik unmöglich alle diese Bedenken restlos wird ausräumen können. "Irgendwann müssen wir dann auch zu einer Entscheidung kommen", sagt Staatsrat Holstein. Eine Entscheidung, die allen gefällt, wird das nicht sein - wie das halt immer ist, wenn sich eine Stadt verändert.

Offen bleibt an diesem Abend auch die kritischste aller Fragen: die nach den Kosten. Noch kann der Senat dazu wenig sagen, es handelt sich bisher bei den Plänen ja nur um Entwürfe. Das Hamburger Versprechen, dem Gigantismus bisheriger Olympischer Spiele ein bescheidenes Konzept entgegenzusetzen, nehmen dem Senat noch nicht alle ab.

Was steckt hinter dem Olympia-Referendum?

Das alles in einer für alle zugänglichen Bürgerversammlung zu diskutieren, ist mutig. Wie sehr eine solche Veranstaltung entgleisen kann, haben die Hamburger zuletzt während der Diskussion um die umstrittene Busbeschleunigung erlebt. Doch in diesem Fall funktioniert es, die Wortbeiträge sind höflich, der Umgang respektvoll. Rings um den Zuschauerraum stehen Tafeln, auf denen die Hamburger Anmerkungen hinterlassen können.

Die Verantwortlichen scheinen begriffen zu haben, dass Großprojekte eben nicht nur an Kosten und schlechten Plänen scheitern, sondern auch daran, dass Bürger "die da oben" als arrogant und selbstherrlich erleben - seien es nun Politiker oder Sportfunktionäre. Hamburg will diesen Verdacht überhaupt nicht erst aufkommen lassen. Bevor es zu einem von Bürgern erzwungenen Volksentscheid über die Bewerbung - wie zum Beispiel in München - kommt, lässt die Stadt die Wähler gleich von vornherein abstimmen, am 29. November soll es ein Olympia-Referendum geben.

Dafür hat die Hamburger Bürgerschaft mit großer Mehrheit die Verfassung geändert, und zwar nicht nur für das Olympia-Referendum. Auf Anregung oder mit Zustimmung des Senats kann die Bürgerschaft künftig mit Zwei-Drittel-Mehrheit ein sogenanntes Bürgerschaftsreferendum auch zu anderen wichtigen Themen beschließen.

Kritik an der Verfassungsänderung kommt ausgerechnet von denen, die sonst immer mehr direkte Demokratie fordern. Der Verein Mehr Demokratie e. V. zum Beispiel befürchtet, dass von oben initiierte Referenden ähnliche Initiativen von Bürgern im Keim ersticken könnten. Den Bürger so lange umarmen, bis ihm die Luft wegbleibt - das ist wohl die pessimistische Interpretation der Hamburger Charmoffensive. Und es bleibt auch noch die Frage nach den Kosten: Voll und ganz werden sie nämlich bis zum Abstimmungstermin im November noch nicht bekannt sein, beklagt ein Kritiker auf der Bürgerversammlung.

Ein bisschen Vertrauen in die Fähigkeiten von Politik und Planern muss also nach wie vor sein - aller Beteiligung zum Trotz.

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