Hamburg:Wundersame Wandlung

Fussball

Hanseatische Maßarbeit: Ivo Ilicevic zirkelt den Ball an Theodor Gebre Selassie vorbei zur frühen Führung ins Bremer Tor.

(Foto: Frank Peters/Witters)

Teamgeist statt Egoismus, Spielfluss statt Krampf: Fast-Zweitligist HSV ist dank Trainer Bruno Labbadia wieder erfolgreich. Die Mannschaft hat nun einen Plan, wie auch die Bremer zu spüren bekommen.

Von Jörg Marwedel, Bremen

Die Vergleiche mit früher können den Geschäftsführer Sport des SV Werder, Thomas Eichin, richtig wütend machen. Besonders wenn eine Bremer Legende, der einstige Nationaltorwart Tim Wiese, in Erinnerung an bessere Zeiten vor dem 103. Bundesliga-Nordderby gegen den Hamburger SV davon sprach, hier träfen nun "Not und Elend" aufeinander. Die Not der Bremer wurde, obwohl Eichin sie vor der Partie am liebsten verschwiegen hätte, beim 1:3 gegen den HSV und der fünften Heimniederlage hintereinander tatsächlich offenkundig. Doch das angebliche Elend der Hamburger entpuppte sich eher als ein bemerkenswerter Aufwärtstrend mit einem ansehnlichen Fußball, den man dem HSV seit Jahren nicht mehr zugetraut hatte.

Sogar der hyperselbstbewusste Lewis Holtby fordert: "Wir müssen weiter demütig sein."

Bruno Labbadia dachte nach dem Spiel noch einmal mit Schaudern an den Beginn seiner zweiten Zeit als Trainer der Hamburger im April. 0:1 hatte seine neue Mannschaft damals im Weserstadion verloren, es blieben nur noch fünf Saisonspiele übrig mit fünf Punkten Rückstand auf einen Nicht-Abstiegsplatz. Da habe er auf der Bus-Rückfahrt schon mal düstere Gedanken gehabt, gestand er nun. Ihm sei zum Beispiel durch den Kopf gegangen: "In zwei Spielen ist es vielleicht schon vorbei." Seit Samstag hat der zweimal fast abgestiegene HSV nur noch zwei Punkte Rückstand auf einen Champions-League-Qualifikationsplatz. Eine fast wundersame Wandlung binnen siebeneinhalb Monaten, obwohl der Coach noch immer Werder Bremen als "direkten Konkurrenten" bezeichnet und nicht Borussia Mönchengladbach.

Was man in Bremen und eine Woche zuvor beim 3:1-Sieg gegen Borussia Dortmund sehen konnte: "Die Arbeit", die Labbadia gern als Grund für den Aufschwung anführt, war auf dem Rasen wirklich sichtbar. Es gab einen durchdachten Konterfußball-Plan und jeder Profi wusste, wohin er laufen musste. Und wenn es dann einmal gut läuft, passieren auch Dinge wie das frühe 1:0 in der dritten Spielminute, als Ivo Ilicevic nach Zuspiel von Pierre-Michel Lasogga mit einem gekonnten Schlenzer in den Torwinkel trifft. Oder ein Freistoß von Michael Gregoritsch, der mit Hilfe des Kopfes von Werder-Kapitän Zlatko Junuzovic im hohen Bogen zum 2:0 ins Netz fliegt (27.).

Und als die Bremer nach der Pause zumindest vorübergehend doch noch der Kampfeswille packte, was mit dem 1:2 durch Anthony Ujah (62.) belohnt wurde, konterte der HSV sechs Minuten später ziemlich genial. Der prächtig aufgelegte Ilicevic spielte dem in der eigenen Hälfte startenden Flitzer Nicolai Müller den Ball so präzise in den Lauf, dass dieser von keinem Werder-Spieler mehr aufzuhalten war; weder vom eigentlich für das Absichern vorgesehenen Philipp Bargfrede noch vom machtlosen Keeper Felix Wiedwald. "Wir haben", sagte Labbadia stolz, "Werder im richtigen Moment den Gnadenstoß gegeben." Insgesamt tauchten viermal HSV-Profis allein vor Wiedwald auf, weil sie den aufgerückten Defensivverbund Werders ausgetrickst hatten.

Das war auch deshalb möglich, weil Labbadia es hinbekommen hat, dass niemand mehr als Egoist gegen das Team arbeitet, was lange Zeit eines der größten Probleme beim HSV war. Plötzlich leisten die schon als Fehleinkäufe abgestempelten Lewis Holtby und Nicolai Müller wertvolle Beiträge für die ansehnlichen, deutlich flüssiger vorgetragenen Kombinationen. Holtby agiert als Daueranspielstation im Mittelfeld endlich "so gut, wie er sich schon immer gesehen hat". So vergiftete kürzlich der Fernsehreporter Marcel Reif das Lob für den veranlagten Profi. Der wunderbar extrovertierte Holtby hat den positiven Entwicklungsprozess seiner Mannschaft sehr bescheiden kommentiert: "Wir müssen weiter demütig sein. Denn Hochmut kommt vor dem Fall."

Diese Einstellung hat Labbadia seinen Spielern inzwischen penetrant eingeimpft. Und dass sie es annehmen, hat auch damit zu tun, dass er "selber ein Vorbild ist", wie Holtby sagt. Den Profis imponiert, dass er morgens um sieben Uhr schon joggt, um selber so fit wie möglich zu sein. Es beeindruckt sie, wenn der frühere Torjäger in seiner Coaching-Zone quasi der zwölfte Spieler ist, der praktisch noch selbst zum Kopfball hochsteigt oder seine Profis in kritischen Phasen beruhigt. Und dass er die Ausfälle wichtiger Spieler "nicht zum Thema macht", wie er selbst sagte, hat aufbauenden Einfluss auf deren Ersatzleute. In Bremen verletzte sich in Lasogga schon nach 25 Minuten der sechste Stammspieler nach Dennis Diekmeier, Aaron Hunt, Emir Spahic, Gojko Kacar und Albin Ekdal. Er kugelte sich die Schulter aus nach einem Foul von Junuzovic und wird lange ausfallen.

Doch Spahic-Vertreter Cléber, das Diekmeier-Double Gotuko Sakai oder Mittelfeld-Hilfskraft Gideon Jung erledigten allesamt ihren Job in bester Manier. Was natürlich viel leichter fällt in einer Mannschaft, die sich inzwischen "am Ball enorm verbessert hat und nun die nötige Ruhe besitzt", wie Kapitän Johan Djourou feststellte. Der neue Teamgeist des HSV wird noch anderen Gegnern als dem Nord-Rivalen Probleme bereiten. Etwa am kommenden Samstag dem FSV Mainz 05.

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