Guido Burgstaller vom FC St. Pauli:Guido der Lokomotivführer

FC St. Pauli v FC Schalke 04 - Second Bundesliga

Immer mit vollem Einsatz: St. Pauli-Stürmer Guido Burgstaller.

(Foto: Martin Rose/Getty)

Der FC St. Pauli ist die dominante Kraft der zweiten Liga - dank der Tore und den Führungsqualitäten von Stürmer Burgstaller.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Die Kunstgattung "Streetart" gehört im Hamburger Stadtteil St. Pauli zum gewöhnlichen Erscheinungsbild, an jeder Ecke gibt es teils irre und wunderschöne Kreationen. Das neueste Werk mit Kultpotenzial, das in Stickerform etliche Laternenmasten und Stromkästen ziert: ein Mann mit grimmiger Miene, der sich mit seinen Händen das Hemd und die Krawatte vom Leib reißt, sodass ein Superheldenanzug mit dem einem großen "S" auf der Brust sichtbar wird. Clark Kent alias Superman?

In der Tat, die Parallelen wirken frappierend zwischen der US-amerikanischen Comicfigur und "Super Burgi", der unrasierten und dauergrantelnden Version aus Österreich. Denn Guido Burgstaller, Stürmer in Diensten des FC St. Pauli, steigt derzeit auch in Sphären auf, in denen erhöhte Verwechslungsgefahr mit einem Vogel oder einem Flugzeug besteht - zumindest, wenn man die zweite Bundesliga zur Referenzgröße und das Toreschießen zur Superkraft erklärt. Zwei seiner 14 Saisontreffer erzielte Burgstaller am Samstag beim 2:1-Heimerfolg gegen seinen persönlichen Endgegner, seinen ehemaligen Klub FC Schalke 04, er schoss sich selbst an die Spitze der Torschützenliste und den Kiezklub zur vorzeitigen Herbstmeisterschaft.

Burgstaller ist der Paradefall eines charakterstarken Zweitliga-Profis

Es waren jeweils Gesamtkunstwerke, wie sie auf den ersten Blick nur Oldschool-Sturmtanks à la Burgstaller beherrschen: Vor dem ersten Tor schob der 32-Jährige seinen Körper zwischen Ball und Gegner, für ein klassisches Abschirmmanöver mit dem Hintern, ehe er den Ball flach links unten ins Eck donnerte (20.). Beim zweiten Tor sprang Burgstaller aus einem Dickicht von Gegenspielern am höchsten, per Haarschopf-Streichler verpasste er dem Ball die entscheidende Flugkurve ins Netz (39.).

Burgstaller ist der Prototyp einer Stürmerspezies, die vor allem im deutschen Unterhaus blüht: Er begibt sich gerne in krachende Kopfballduelle, er nimmt die Ellenbogen seiner Gegner wie Ritterschläge entgegen, seine Treffer zelebriert er mit einer profanen Faust-in-die-Luft-Jubeleinlage. Es sind jedoch nicht nur seine fußballerische Merkmale, die ihm seit seiner Ankunft vor eineinhalb Jahren eine exponierte Stellung auf dem Kiez verleihen. Burgstaller gilt als der Paradefall eines charakterstarken Zweitliga-Profis, der seinen Einfluss sowohl auf dem Rasen als auch in der Kabine geltend macht.

"Das war schon ein besonderes Spiel für mich", sagte Burgstaller

"Es ist unglaublich, wie er auf die Mannschaft wirkt", lobte am Samstag der Co-Trainer Loic Favé, der mit seinem Assistentenkollegen Fabian Hürzeler den wegen eines positiven Corona-Tests außer Gefecht gesetzten St.-Pauli-Chefcoach Timo Schultz vertrat - ein Handicap übrigens, von dem auch der Kontrahent aus Gelsenkirchen betroffen war: Schalke-Trainer Dimitrios Grammozis war aus demselben Grund gar nicht erst ans Millerntor gereist, was zu dem kuriosen Umstand führte, dass gleich beide Teams ihre taktischen Anweisungen aus dem Home-Office erhielten.

Insofern verfügte St. Pauli über einen Trumpf, den man gar nicht hoch genug einschätzen kann. Burgstaller ist nicht nur eine anerkannte Leitfigur und ein gefürchteter Vollstrecker, er war gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber auch bis in die Haarspitzen motiviert. "Das war schon ein besonderes Spiel für mich", sagte Burgstaller, der sich überdies an eine "schöne Zeit" und "kein ganz so schönes Ende" bei Königsblau erinnerte. Von 2017 bis 2020 stand der Stürmer in Diensten des FC Schalke, damals noch ein Klub mit internationalen Ambitionen. In Gelsenkirchen gab es jedoch große Zweifel an der Erstliga-Kompatibilität Burgstallers, weshalb der Österreicher recht unrühmlich an die zweitklassigen Paulianer weitergereicht wurde - ablösefrei und mit den unausgesprochenen Abschiedsworten "Auf Nimmerwiedersehen".

Der FC St. Pauli ist seit Wochen die dominante Kraft in der zweiten Liga

Inzwischen, das machte auch die Partie am Samstag deutlich, scheinen Burgstaller und der FC St. Pauli wie ein Schnellzug an den Schalkern vorbeigerauscht zu sein. Zwar gab es in der Schlussphase noch ein, zwei Gelegenheiten für die Gäste, um den Ausgleich zu erzielen - in der zweiten Liga gibt es aber kein anderes Team, das eine solche Klarheit und zugleich so viel Ästhetik in seinem Spiel vereint wie der Kiezklub. Keine Spur vom häufigen Kampf-und-Krampf-Kick im Unterhaus, und die fußballerische Stringenz hat sich längst auch in der Tabelle manifestiert: Seit geraumer Zeit galoppiert St. Pauli der vermeintlich größeren Konkurrenz davon, der Vorsprung vor dem FC Schalke beträgt inzwischen neun Punkte - und beim Hamburger SV reagieren die Verantwortlichen längst gereizt oder verschämt, wenn sie auf die rasante Entwicklung des Stadtrivalen angesprochen werden.

Womit man wieder bei Burgstaller wäre. "Wir brauchen nicht groß drumrum reden", sagte der Stürmer am Samstag: "Wenn du erst mal da vorne bist, dann willst du auch da vorne bleiben." So weit aus der Deckung gewagt hatte sich bislang noch niemand bei St. Pauli, der Begriff "Aufstieg" wird ähnlich strikt gemieden wie der Name "Lord Voldemort" im Harry-Potter-Universum.

"Super Burgi", so konnte man das auch verstehen, meldet sich schon mal bereit zum Dienst.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: