Günther Netzer, der zu den besten und schillerndsten Spielern der deutschen Fußball-Geschichte zählt, wird am Samstag 75 Jahre alt. Gefeiert wird nur im kleinen Kreis, mit Ehefrau Elvira und Tochter Alana. Früher war das anders. Da liebte der Gladbacher Diskotheken und schnelle Autos. Trotzdem stand er jedes Wochenende auf dem Fußballplatz und spielte den Gegner mit seinem unverwechselbaren Stil aus.
Mit neun Jahren kommt Netzer zum 1. FC Mönchengladbach, kickt dort in der Jugend. 1963, im Alter von 19 Jahren, winkt ihm sein erster Profivertrag. Zwei Jahre später steigt er mit Gladbach in die höchste Spielklasse auf - und dominiert bald gemeinsam mit dem FC Bayern die Liga. 1970 und 1971 gelingt dann der große Coup: Netzer wird mit den Rheinländern zweimal in Folge Deutscher Meister. Als Sahnehäubchen folgt 1973 der Pokalsieg.
Und das kam nicht von ungefähr. Denn Netzer ist zum Spielmacher und zur Führungsfigur auf dem Feld gereift, strahlt eine gehörige Portion Autorität aus. Insbesondere seine weiten Pässe und Vorstöße "aus der Tiefe des Raumes", im Fußballsport auch als Vertikalspiel bekannt, zählen zu seinen Alleinstellungsmerkmalen. Sie machen ihn schließlich zum Fußballer des Jahres 1972 und 1973.
Doch nicht nur auf dem Rasen, auch abseits des Platzes nimmt man Netzer wahr. Sein extravaganter Klamotten- und Lebensstil sorgt für Aufsehen, als glühender Diskothekenliebhaber eröffnet er sogar seinen eigenen Tanzschuppen namens "Lovers' Lane". Daneben gilt er als Autonarr, posiert gerne vor seinen Ferraris. Unter der Vereinsführung der Fohlen genießt der Ausnahmespieler mit der langen Matte auf dem Kopf (die er bis heute in ähnlicher Form trägt) außerdem viele Sonderrechte.
Der wohl legendärste Moment in Netzers Karriere ereignet sich im DFB-Pokalfinale 1973 gegen den 1. FC Köln. Es ist das letzte Spiel Netzers für Gladbach, doch Fohlen-Trainer Hennes Weisweiler lässt den Mittelfeldstar zunächst auf der Bank sitzen. Netzer ist damit nicht einverstanden. Nach 90 Minuten steht es 1:1. "Ich spiel dann jetzt", sagt Netzer zu seinem Coach - und wechselt sich selbst ein. Er erzielt das entscheidende Tor zum 2:1-Endstand.
Nach zehn Jahren, 230 Spielen und 82 Toren in der Elf vom Niederrhein wechselt die Ikone 1973 als erster deutscher Fußballspieler überhaupt zu Real Madrid. Ein Jahr später stößt Paul Breitner zu den Königlichen dazu. Auch in Spanien gewinnt Netzer zweimal den Meistertitel und einmal den Pokal.
Mehr als zehn Jahre lang ist Netzer zudem Teil der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft (37 Spiele, sechs Tore). 1965 absolviert er sein erstes Länderspiel gegen Österreich. Der Höhepunkt seiner Karriere im DFB-Team: die Europameisterschaft 1972. Die Deutschen gewinnen im Viertelfinale gegen England. Estmals glückt der deutschen Elf ein Sieg in England, deswegen ist danach oft von der sogenannten Wembley-Elf die Rede - mit Franz Beckenbauer als Libero, Günther Netzer als Stratege und Gerd Müller im Sturm. Das Finale gewinnt die DFB-Elf mit 3:0 gegen die Sowjetunion. Bei der Weltmeisterschaft 1974 kommt der aus der Form geratene Netzer nur einmal zum Einsatz. Bundestrainer Helmut Schön vertraut stattdessen Wolfgang Overath. Zwar wird Deutschland am Ende Weltmeister. Netzer erklärt jedoch, er fühle sich wegen der kurzen Einsatzzeit nicht wie ein solcher.
Bis heute ist Netzer ein gern gesehener Gesprächspartner im Fußballsport. Nach seiner Zeit als Spieler moderiert und kommentiert er dreizehn Jahre lang mit dem (Sport-)Journalisten Gerhard Delling die Spiele der DFB-Elf. Die beiden sind vor allem für ihre provokanten, aber auch amüsanten Reibereien vor der Kamera berüchtigt. Bis zur Fußball-Weltmeisterschaft 2010 ist das Duo im Einsatz. Anschließend beendet Netzer sein Engagement als TV-Experte. Netzer ist bis heute als Medienunternehmer tätig, bei der Sportrechte-Agentur Infront agiert er als Executive Director. 2018 wird er zudem in die erste Elf der Hall of Fame im deutschen Fußballmuseum aufgenommen. Über seine Karriere sagt Netzer: "Ich hatte viel Glück."